Sagt mal, was ist eigentlich in Polen los?

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    • Offizieller Beitrag

    Ich hab gerade den Eindruck, dass das Land eine ganz ungute Richtung nimmt und bekomme ein ganz mulmiges Gefühl. Das Vorgehen Kaczynski macht einen sehr gezielten Eindruck - schnell und in eine eindeutige Richtung. Hat eine von euch mehr Einblicke?

    Hermine und drei Jungs (04, 07 und 09)

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    demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen

    Willy Brandt, 1969

  • Das würde mich auch sehr interessieren. Ich bin eigentlich nicht sehr ängstlich, wenn rechts-konservative Parteien in Parlamenten mitreden. In Polen geht es aber alles sehr schnell, gezielt und professionell. Austausch von Richtern, nächtliche Aktionen.....gar nicht gut. :/ Was haltet ihr eigentlich von einem Unterforum "Politik und Gesellschaft"?

    Einmal editiert, zuletzt von Rubikon ()

  • Danke für den Artikel, Esche.


    Mir flog das, was gerade in Polen passiert zusammen mit den Regionalwahlen in Frankreich so um die Ohren (auch wenn im 2. Wahlgang das Schlimmste abgewendet scheint - das ist nur ein schwacher Trost, denn de Facto ist auch Frankreich massiv nach rechts gerutscht und wie's aussieht, tun das eine Menge Länder um uns herum, die ich für demokratisch hielt und auch noch halte), dass ich aufpassen muss, nicht der Paranoia anheimzufallen: Darf ich noch laut und vernehmlich meine politischen Ansichten äußern oder wann werde ich als linke Bazille unschädlich gemacht, die sich gestern noch in einem meinungsfreien Rechtsstaat wähnte?


    Ich hatte in diesem Sommer gehofft, dass sich angesichts der Flüchtlingszuwanderung mein Land hinwendet zu einer bekennend heterogenen, offeneren Zivilgesellschaft. So ganz hab ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Und dieses Denken prägt überall in Europa Menschen, die sich für eine offene Gesellschaft engagieren. Um uns herum scheint das politisch aber eher in das Gegenteil umzuschlagen - mit welchen Konsequenzen für die Gesellschaft, für die Einzelne? Und wann kommt das bei uns an? Was kann ich tun, um das abzuwenden?

  • Aoide, Polen ist mit Frankreich nicht zu vergleichen. Einerseits sind "die Polen" stockkatholisch und stinkekonservativ, andererseits aber auch Anarchisten. Wie in dem Artikel der SZ beschrieben, gab es Polen als Land lange Zeit nicht und die Polen sind es gewöhnt, um/für ihre Rechte zu kämpfen - die Mauer wäre niemals gefallen, hätten nicht 1980 in Danzig die Werftarbeiter gestreikt. Die Bevölkerung wird sich ihre Freiheiten nicht mehr nehmen lassen, um die sie wirklich jahrhundertelang gekämpft haben. Polen ist tatsächlich nicht Ungarn (oder Russland). "Die Polen" gehen viel eher auf die Strasse (... zünden das Rathaus an, bauen Barrikaden, kippen tote Tiere, deren Produkte oder Exkremente vors Parlament - ok, das ist wie in Frankreich).


    Es gibt eine starke Spaltung zwischen Stadt- und Landbevölkerung und die jungen Leute sind frustriert, die sind entweder ins Ausland abgewandert oder haben die PIS gewählt, weil es kaum Jobs gibt, die vernünftig bezahlt werden und sie wollen, das sich irgendwas ändert.


    Ja, es gibt fürchterliche Xenophobie in Osteuropa, aber das liegt mit an der jahrzehntelangen Abschottung im "Ostblock" und an der gesellschaftlichen / wirtschaftlichen Umbrüchen nach 1990. Der polinische Trubopatriotismus kommt daher, dass es Polen lange als Staat gar nicht gab / geben durfte. Und es ist ganz furchtbar, was da ins Parlament gewählt wurde, das ist so als würde der Bundestag aus CSU, AfD, NPD und dem rechten, neoliberalen Flügel der FDP bestehen. Aber ich mache mir da um die Demokratie keine Sorgen, im Gegensatz zu Ungarn.

    "Und hast du die Ausrufezeichen bemerkt? Es sind fünf. Ein sicheres Zeichen dafür, daß jemand die Unterhose auf dem Kopf trägt."

  • Deine Worte in Gottes Ohr Esche...auch mich hat das Vorgehen der frisch gewählten polnischen regierung geschockt, GsD hat es aber in Polen selbst teile derjenigen die diesen Haufen gewählt haben geschockt...Ich denke darüber ähnlich wie Du, und hoffe sehr, dass wir da richtig liegen.


    Kiwi

  • Aoide, Polen ist mit Frankreich nicht zu vergleichen.

    Das war auch nicht meine Absicht! Wobei sich die Länder mal sehr nahe waren, in vielerlei Hinsicht.


    Frankreich ist mir sehr nahe und vertraut, dennoch würde ich mich hüten zu sagen, ich kenne es und weiß, wie "die Franzosen" ticken. (Das könnte ich ebensowenig über "die Deutschen" sagen, nichtmal über "die Rheinländer" oder so). Aber gerade die persönliche Nähe zu Frankreich lässt mich Parallelen ziehen auch zu der Gesellschaft, in der ich gerade zu Hause bin - wie die meiste Zeit meines Daseins im tiefsten Westen Deutschlands. Und was mir dabei immer wieder schmerzhaft auffällt ist, dass es hoffähig geworden zu sein scheint, rechtsnationale Sprüche abzulassen und segregative Bestrebungen auszusprechen - für mich ist zumindest Letzteres ein antidemokratisches Signal. Wenn das gebildete und mir lange vertraute Menschen (und mir liebe) in meinem Umfeld auf einmal tun, dann entsetzt mich das. Ich hab keine schlauere Strategie, als laut zu widersprechen. Und ernte häufig genug Unverständnis dafür, Argumente des Sinnes, dass ich mein "jugendliches Revoluzzertum" noch nicht abgelegt hätte. Als wenn es nur eine Frage der Zeit wäre, wann man vom aufrecht denkenden Demokraten zur völkisch-nationalen Dumpfbacke wird.


    Vor ein paar Jahren hätte ich soetwas nicht für möglich gehalten. Und sehe nun in zwei - da hast du, ich wiederhole mich, vollkommen Recht, Esche - sehr unterschiedlichen Ländern, wie sich die Rechten, die Antidemokraten breit machen. Und lese, dass im Kontext zum Beispiel der Flüchtlingsaufnahmefragen auch in anderen Ländern deshalb eigentlich demokratische Politiker nahe am braunen Fahrwesser schippern, damit sie nicht von den ganz rechten Kräften bei den nächsten Wahlen ausgebootet werden, um im Bild zu bleiben.


    Ja, das macht mir Angst.

    Ja, es gibt fürchterliche Xenophobie in Osteuropa, aber das liegt mit an der jahrzehntelangen Abschottung im "Ostblock" und an der gesellschaftlichen / wirtschaftlichen Umbrüchen nach 1990.

    Das ist sicher eine wesentliche Ursache. Aber es denken doch immer noch die einzelnen Menschen für sich, auch da. Wenn nun so viele das Antidemokratische laut aussprechen und salonfähig erscheinen lassen, rennen die weniger Denkfähigen denen hinterher. Und, wie oben beschrieben, leider nicht nur die.

  • Im Feuilleton der ZEIT Ausg. 51/2015 ist ein langer Artikel zu Polen. Wobei in dem "die Kirche" wieder an allem schuld ist. Das mag mit ein Grund sein, aber es ist auch so, dass die Generation unter 30 kaum vom polnischen "Wirtschaftswunder" profitiert. Die Arbeit, die es gibt, ist so schlecht bezahlt, dass sich davon kaum leben lässt.

    "Und hast du die Ausrufezeichen bemerkt? Es sind fünf. Ein sicheres Zeichen dafür, daß jemand die Unterhose auf dem Kopf trägt."

    Einmal editiert, zuletzt von Esche ()

  • Das mag mit ein Grund sein, aber es ist auch so, dass die Generation unter 30 kaum vom polnischen "Wirtschaftswunder" profitiert. Die Arbeit, die es gibt, ist so schlecht bezahlt, dass sich davon kaum leben lässt.

    Das ist meines Erachtens der Hauptgrund und das ist auch genau die Parallele zu den anderen Staaten: die soziale Schere geht massiv auseinander. Wenn wir hier nicht endlich gegensteuern, werden wir in Europa - auch in Deutschland - noch ganz andere Zeiten erleben, von denen wir dachten, die gäbe es nur in Geschichtsbüchern.

  • Aber gerade die persönliche Nähe zu Frankreich lässt mich Parallelen ziehen auch zu der Gesellschaft, in der ich gerade zu Hause bin - wie die meiste Zeit meines Daseins im tiefsten Westen Deutschlands. Und was mir dabei immer wieder schmerzhaft auffällt ist, dass es hoffähig geworden zu sein scheint, rechtsnationale Sprüche abzulassen und segregative Bestrebungen auszusprechen - für mich ist zumindest Letzteres ein antidemokratisches Signal. Wenn das gebildete und mir lange vertraute Menschen (und mir liebe) in meinem Umfeld auf einmal tun, dann entsetzt mich das. Ich hab keine schlauere Strategie, als laut zu widersprechen. Und ernte häufig genug Unverständnis dafür, Argumente des Sinnes, dass ich mein "jugendliches Revoluzzertum" noch nicht abgelegt hätte. Als wenn es nur eine Frage der Zeit wäre, wann man vom aufrecht denkenden Demokraten zur völkisch-nationalen Dumpfbacke wird.

    Oh, ich kann jeden einzelnen Satz unterschreiben, leider. Vor allem den in bezug auf gebildete und mir lange vertraute Menschen... Lieb sind sie mir nicht mehr, ich kann das einfach nicht trennen, Freundschaft und politische Einstellung. Ich hab's versucht, aber es geht nicht. Dann wär ich nicht mehr ich selbst.


    Und lese gespannt hier mit, da ich Polen das erste Mal diesen Sommer ein bißchen kennengelernt hab. Naja, kennen gelernt ist zu viel gesagt, was man halt so sieht in 9 Tagen Krakow und einem kurzen Zwischenstopp in Warschau. Mir sind außerordentlich freundliche und herzliche Menschen begegnet und auf den ersten Blick war Krakow eine moderne, junge Stadt mit vielen, vielen Studenten. Auf den zweiten und in Begegnung mit einigen Menschen sah ich aber auch viel Armut und viel Widerspruch.


    Die mir erzählten Gehälter der Menschen paßten nicht zu den absolut überhöhten Preisen (manchmal teurer als in Deutschland) in überaus modernen (moderner als hier) Einkaufzentren, teilweise von Deutschen geplant und gebaut.


    Der halbe Zug von Krakow nach Berlin war übrigens voll mit Polen, die in Deutschland in der Pflege arbeiten für sehr wenig Geld.


    Gehört eigentlich alles nicht hierher, aber ich lese sehr interessiert mit da ich mir die gleichen Sorgen wie Aoide mache.


  • Die mir erzählten Gehälter der Menschen paßten nicht zu den absolut überhöhten Preisen (manchmal teurer als in Deutschland) in überaus modernen (moderner als hier) Einkaufzentren, teilweise von Deutschen geplant und gebaut.

    Das ist genau das Problem. Das Wirtschaftssystem wurde in den 1990igern knallhart neoliberal umgebaut und da sind viele Menschen hinten runter gefallen. Und so modern die Städte sind, wenn man "aufs Land" fährt, kann man den Eindruck haben, man hat eine Zeitreise nach 18irgendwas gemacht. Inkl. Pferdefuhrwerke. Die Landbevölkerung ist von den meisten gesellschaftlichen Entwicklungen abgehängt und das Klientel für "Radio Marija". Da wird dann auch gerne die Wahlempfehlung des Pfarrers von der Kanzel befolgt (Klingt wie ein Klischee, ist aber so). Der Gegensatz ist die junge, gebildete, frustrierte Schicht in den Städten, die meist auch Auslandserfahrungen haben. Das ist nicht mit Frankreich zu vergleichen.

    "Und hast du die Ausrufezeichen bemerkt? Es sind fünf. Ein sicheres Zeichen dafür, daß jemand die Unterhose auf dem Kopf trägt."

  • Frankreich ist mir sehr nahe und vertraut, dennoch würde ich mich hüten zu sagen, ich kenne es und weiß, wie "die Franzosen" ticken.
    (Das könnte ich ebensowenig über "die Deutschen" sagen, nichtmal über "die Rheinländer" oder so).

    dito.


    die soziale Schere geht massiv auseinander. Wenn wir hier nicht endlich gegensteuern, werden wir in Europa - auch in Deutschland - noch ganz andere Zeiten erleben, von denen wir dachten, die gäbe es nur in Geschichtsbüchern.

    sehe ich auch so.
    und das gilt nicht nur diese "ostblockländer" (/sarkasmus off ), sondern für viele weitere regionen dieser welt.


    für den autor des faz-artikels ist die katholische kirche schuld, für andere die sowjetzeit oder gar das heutige russland. warum das eine jetzt wahrer und das andere falscher sein soll, erschließt sich mir nicht. ZU einfach sind alle diese erklärungen sowieso.


    ich bin der meinung, dass es so monokausal nicht ist und nie war in der geschichte.

  • ich kann das einfach nicht trennen, Freundschaft und politische Einstellung. Ich hab's versucht, aber es geht nicht. Dann wär ich nicht mehr ich selbst.

    das geht mir genau so. darum haben eine langjährige freundin aus der ukraine und ich uns getrennt.


    ich ertrage das nicht, dieses neu-nazitum und diese unfassbare simplifizierung von politischen fragen mit eindeutigen schuldigen...

  • Danke für die ganzen Infos Esche! Es interessiert mich sehr. Hätte ich mehr Kapazitäten frei momentan, würd ich Polnisch lernen und das Land mehr bereisen.

    das geht mir genau so. darum haben eine langjährige freundin aus der ukraine und ich uns getrennt.


    ich ertrage das nicht, dieses neu-nazitum und diese unfassbare simplifizierung von politischen fragen mit eindeutigen schuldigen...

    Ja, seufz. Unerträglich, absolut unerträglich. Bei mir geht's bis in die eigene Herkunftsfamilie, mein Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er es wüßte. Mir blieb nur Kontaktabbruch. Da ist nichts zu entschuldigen.

  • the Same here...die politische Einstellung spaltet Freundschaften auf, aber gewisse Dinge so d für mich nicht tolerierbar, da muss ich mich abgrenzen.


    Und Du hast völlig recht viva, die Gründe für solche Entwicklungen sind und waren niemals monokausal...


    Kiwi

  • Sorry, ich verstehe das Problem nicht ganz. Mal abgesehen von der Geschwindigkeit hat es die Vorgängerregierung wohl nicht anders gemacht (so verstehe ich den Artikel).



    Auch die Richter des Bundesverfassungsgerichtes in D werden durch die jeweilige Regierung berufen. So wie ich das verstanden habe, sind jeweils acht Richter pro Senat, mindestens sechs müssen anwesend sein.
    Und auch bei uns gilt im Prinzip eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Es müssen mindestens fünf von acht Richtern der gleichen Meinung sein. (5,33 sind zwei Drittel von 8) Nur in ganz speziellen Fällen braucht es die "qualifizierte Zwei-Drittel-Mehrheit Mehrheit" von 6:8.
    Wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit bei einer höheren Anzahl von Richtern (so wie in Polen vorgesehen) nicht sogar besser?
    (weil eindeutiger als bei uns?)



    Edit: mir macht übrigens die derzeitige europäische Gesamtentwicklung nicht nur Sorgen sondern richtiggehend Angst.