Das Windel-Komplott

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  • Hallo Rabenforum,


    meine Tochter wird im Dezember vier Jahre alt. Es gibt zwei Dinge, die mich bei ihr sehr beschäftigen.


    Zum einen das Thema Windeln. Vor zwei Jahren hatten wir ganz spielerisch, ganz entspannt das Töpfchen entdeckt. Sie saß manchmal lange darauf, schaute sich Bücher an, machte manchmal Pipi, manchmal auch nicht. Sie hatte keinerlei Berührungsängste mit dem Töpfchen, war aber noch weit vom Sauber werden entfernt. Kurz nach ihrem zweiten Geburtstag kam ihr Bruder auf die Welt. Seitdem verweigert sie es komplett, sich aufs Töpfchen oder auf die Toilette zu setzen. Sie möchte es erst gar nicht probieren. Sie wird sehr wütend, wenn man versucht, sie dazu zu bewegen, es einfach mal auszuprobieren. Diesen Sommer hatte ich die Hoffnung, dass es vielleicht ganz entspannt und natürlich klappen könnte, wenn sie im Garten nackt herum laufen würde. Sie wollte das aber gar nicht. Sie verlangte fast immer ihre Windel. Wenn sie im Planschbecken war, ging sie zum Pipi machen hinaus. Sie wollte es aber auf der Wiese machen, nicht auf dem Töpfchen. Im Urlaub dann lief sie fast den ganzen Tag nackt herum. Manchmal sagte sie mir, sie habe Pipi in den See gemacht. Manchmal sah ich sie hinter dem Wohnwagen Pipi auf das Gras machen. Manchmal kam sie auch und wollte eine Windel anziehen. Sie konnte es aber anscheinend auch mal für etwas längere Zeit anhalten.
    Ihr kleiner Bruder sitzt inzwischen manchmal auf dem Töpfchen. Das findet sie auch gut. Aber sie selbst möchte es nicht. Sie kann es natürlich nicht erklären, warum. Aber sie sagt häufig, dass sie ihre Windel erst abgeben möchte, wenn sie sechs Jahre alt ist.
    Phasenweise habe ich schon versucht, sie dazu zu motivieren, es einfach mal wieder zu probieren. Immer mit dem Hinweis, dass es nicht schlimm ist, wenn es nicht gleich klappt und dass man auch wieder eine Windel anziehen kann, wenn sie das möchte. Ich habe sogar einmal "Bestechungs-Unterhosen" gekauft. Sie fand sie gleich toll und ließ sich von mir überreden, die Windel mal auszulassen. Innerhalb von zwei Stunden waren alle Unterhosen durchgepieselt. Dann gibt es wieder Phasen, da lasse ich sie mit dem Thema ganz in Ruhe. Ich möchte sie damit nicht stressen und nicht unter Druck setzen. Aber ich frage mich manchmal, ob wir den Zeitpunkt für ein ganz entspanntes und natürliches Trockenwerden nicht schon verpasst haben. Vielleicht muss man sie ja doch irgendwie dazu motivieren, es immer mal wieder ansprechen.
    Was meint ihr?
    Kann ich mich zurück lehnen und darauf vertrauen, dass sie von alleine kommt, wenn sie so weit ist? Sie ist im allgemeinen eher der Typ, der Dinge dann tut, wenn sie es auch kann. Das war beim Laufenlernen auch der Fall. Sie lief spät, dafür aber gleich ziemlich sicher.
    Oder kann es sein, dass sich bei ihr irgendwelche Ängste, irgendwelche Gedanken gebildet haben, die sie blockieren und davon abhalten, es mal zu versuchen? Aber auch wenn es so ist, kann ich dann etwas anderes tun als zu warten, bis sie eben so weit ist? Oder kann ich ihr vielleicht doch gewisse Ängste nehmen? Ist es überhaupt möglich und ist es nötig zu verstehen, was in ihrem Kopf vor geht?
    Kann das noch immer mit ihrem Bruder zu tun haben? Er ist jetzt auch schon bald zwei Jahre alt.
    Kann es sein, dass sie einfach einen so starken Willen hat, dass sie sich quasi in den Kopf gesetzt hat, ihre Windel nicht abzugeben?
    Oder bin ich einfach viel zu ungeduldig? Kann ich auf meine Tochter vertrauen oder sollte ich sie ab und zu mal versuchen, aus der "Reserve" zu locken? Im Moment denke ich mal so, mal so. Je nach Tagesform.


    Das andere, was mich sehr beschäftigt, hat vor Allem mit dem Kindergarten zu tun. Meine Tochter ist zu Hause sehr lebhaft, lacht gerne, singt und tanzt gerne, spricht sehr viel und auch für ihr Alter schon sehr gut, hat Wutanfälle, schreit, streitet sich, versöhnt sich wieder usw. Also ein ganz "normales" Kind! Sie hat schon als Baby sehr stark gefremdelt und bis vor kurzem fast nicht mit Fremden, vor Allem nicht mit Männern, gesprochen. Das ist jetzt besser geworden. Im Kindergarten ist es allerdings so, dass sie zwar viel mit den anderen Kindern spielt, aber Angebote der Erzieherinnen nicht wahrnimmt. Sie beteiligt sich nicht am Morgenkreis, singt nicht mit, turnt nicht mit, tanzt nicht mit. Sie bastelt auch nicht und beteiligt sich nicht an kleinen Aufführungen. Ich weiß nicht, ob mir das nur so vorkommt, aber sie ist da eigentlich die einzige, die nicht mit macht. Manchmal sieht man ihr direkt an, dass sie gerne würde. Sie kann sich aber nicht überwinden, dann auch mitzumachen. Jetzt ist sie seit einem Jahr im Kindergarten und an diesem Verhalten hat sich noch nichts geändert.
    Ein anderes Beispiel ist der Kindersport. Bei Gruppen, in denen die Eltern nur zuschauen, möchte sie gar nicht mitmachen. Wir gehen zusammen zum Schwimmkurs. Das ist toll für sie, denn ich bin mit im Wasser. Wenn ich mit ihr alleine im Schwimmbad bin, traut sie sich teilweise Dinge, die sie im Schwimmkurs verweigert, weil sie eben im Schwimmkurs von der Leiterin vorgegeben werden. Ob sie das verweigert, weil es ihr zu viele Menschen sind, weil sie Angst hat oder weil sie es sich nicht zutraut, kann ich nicht sagen. Da sie aber die einzige ist, die bestimmte Übungen ständig verweigert, kommt mir das manchmal schon komisch vor.
    Wie bewertet ihr das?
    Ist das Verhalten dem Alter entsprechend?
    Ich möchte sie nicht ständig mit anderen vergleichen, aber ich nehme schon wahr, dass sie oft vorsichtiger, ängstlicher, zurückhaltender ist als viele andere Kinder in ihrem Alter. Das war schon ganz früh so, im Babyalter. Ist das am Ende meine Schuld??
    Natürlich ist es auch hier müßig und anstrengend, verstehen zu wollen, welche Gedanken in ihrem Kopf vorgehen. Sie kann sie ja auch noch nicht äußern. Aber ich mache mir nunmal diese Gedanken. Und ich kann sie auch nicht einfach abstellen.
    Wenn mir das eine Freundin erzählen würde, würde ich sicher sagen: "Deine Tochter ist völlig in Ordnung, wie sie ist. Nimm sie doch so. Sie ist doch eine eigene Persönlichkeit. Da kann man nicht von Schuld sprechen. Wir machen doch alle unsere Fehler."
    Aber leider fällt es mir sehr schwer, mich zu entspannen und sie in dieser Hinsicht so zu nehmen, wie sie ist.


    Ich hoffe, dass alles, was ich geschrieben habe, einigermaßen nachvollziehbar ist. Und ich freue mich auf Antworten!!


    Liebe Grüße,
    Anne

  • Eben hat sich etwas zugetragen. Dass muss ich jetzt noch kurz erzählen.
    Letzte Woche waren wir im Schwimmkurs. Meine Tochter war ziemlich ängstlich, da die meisten im Kurs, die auch ungefähr im gleichen Alter sind, schon alleine ins Wasser springen und auch alleine tauchen, fühlte sie sich wohl etwas überfordert. Ich versuche dann aber immer, ihr Mut zu zusprechen. Das hat sie wohl noch mehr gestresst. Sie hat sich dann aber doch überwunden und viele neue Dinge ausprobiert. Sie war danach sehr stolz auf sich und richtig gelöst.
    Heute steht wieder der Schwimmkurs an. Sie wollte heute gar nicht hin gehen. Sie s agt, sie möchte nur noch mit Schwimmflügeln ins Wasser. Sie möchte nur mit uns schwimmen, nicht im Kurs. Jetzt hat sie sich darauf eingelassen, mit ihrem Papa hin zu gehen. Er hat ihr aber versprochen, dass er sie nicht los lässt und sie im Wasser immer auf dem Arm behält.
    Es ist häufig so, dass sie Dinge sich nicht traut, sie dann aber doch nach langem Zögern probiert. Dann ist sie ganz begeistert und macht es immer wieder. Beim nächsten Mal hat sie dann aber doch wieder Angst davor.
    Woher kommt das??

  • Danke für Deine ausführliche und lebendige Beschreibung, das hilft sehr, um einen Eindruck zu bekommen!


    Für mich bieten sich gerade zwei Sichtweisen an:
    Die eine ist, dass Ihr in einem Machtkampf gelandet seid. Du hast ja über die letzten Jahre häufiger Versuche gestartet, sie zum Trockenwerden zu bewegen. Und Deine Tochter hat alle erfolgreich vereitelt. Manchmal passiert es dann, dass das Thema in den Hintergrund tritt und die Frage "wer bestimmt über was?" zentral wird. In diesen Fällen hilft es, den Druck aus der Angelegenheit zu nehmen. Das ist manchmal auch für Erwachsene eine ganz schöne Überwindung. Es heißt, dass man der Klügere ist und (erst mal) komplett nachgibt. Obwohl man ja "Recht hat", obwohl womöglich sogar man ganz genau weiß, dass... :) Und doch hilft es bei einem Machtkampf nicht. Aber den Druck rauszunehmen hilft. Es bedeutet, dass Du Dich für eine längere Zeit - vielleicht ein halbes Jahr - wirklich innerlich davon vollkommen verabschiedest, dass Deine Tochter trocken wird. Du stellst Dich innerlich drauf ein, dass sie noch mindestens ein halbes Jahr Windeln wollen und brauchen wird. Und - ganz wichtig! - du kommst zu einer Haltung, dass das ganz ok ist für Dich.
    Dann steigst Du nämlich aus aus dem Machtkampf, läßt locker und meistens erledigt sich das Problem wirklich. Entweder, weil Deine Tochter trocken wird - oder weil es Dich nicht mehr stört, wenn es noch ein paar Monate dauert. Die andere Möglichkeit ist genau die, die Du auch schon in Erwägung gezogen hast: Deine Tochter hat ihren eigenen Kopf und einen starken Willen. Sie möchte - und kann! - selbst entscheiden, wann sie trocken wird und wird das auch tun. In diesem Fall hilft genau die gleiche Strategie wie im ersten: Druck rausnehmen, entspannen, abwarten.



    Was aber, wenn Du feststellst, dass Du das einfach nicht kannst. Dass Dich das Thema so dermaßen nervt, dass Du beim Gedanken, es könnte noch sechs Tage (geschweige denn sechs Monate!) dauern, einfach nur die Wände hochgehst? Dann braucht man natürlich ein anderes Herangehen! Aber so hörte es sich nicht an. (Oder?)


    Was die Frage nach Scheu und Ängstlichkeit angeht, möchte ich genau dem zustimmen, was Du selbst schon geschrieben hast: Deine Tochter ist ein individueller Mensch mit individuellen Vorlieben und Abneigungen und sie geht die Dinge auf ihre eigene Art an. Wenn Du sie unterstützt und liebevoll für sie da bist - und so hört es sich an, finde ich - dann wird sie in ihrer eigenen Zeit auch an Dinge herangehen. Die einzige Einschränkung ist wieder der Druck - wenn Kinder spüren, dass immer viel Druck ausgeübt wird ("nun geh doch mal ... nun versuch doch mal ...") dann kann es sein, dass das das genaue Gegenteil bewirkt, nämlich dass die Kinder nun erst recht nicht wollen. Denn dazu, sich etwas zu trauen, kommt man besser, wenn man entspann ist. Das geht aber nicht, wenn
    jemand von hinten schiebt.


    Dein Beispiel aus dem Schwimmkurs deutet für mich in die gleiche Richtung: Deine Tochter hat ihr eigenes Tempo. Wenn sie gedrängt wird und nachgibt, dann rächt sich das, indem sie danach mehr verweigert. Auch hier würde ich den gleichen Weg versuchen: für lange Zeit den Druck rausnehmen und gucken, was passiert.


    Druck macht man nicht nur mit Worten, sondern auch mit stillschweigenden Erwartungen, wenn es schwer fällt, diese loszulassen, hilft es manchmal, zu überlegen, wie es mir als Kind ging: welche Erwartungen hatten andere an mich, wie war das, wie sind andere damit umgegangen, wieviel Druck gab es und wie war der für mich, was hätte ich mir von meinen Eltern gewünscht, unter welchen Bedingungen hätte ich getan was meine Eltern von mir wollen... Manchmal gibt es ganz interessante Entdeckungen! :)


    Ich habe den Eindruck, Du hast da ein willensstarkes wunderbares Kind, das schon sehr gut weiß, was im Moment gut für es ist. Und das ist eine sehr sehr wertvolle Eigenschaft, die es für's ganze Leben zu bewahren gilt #blume

  • Hallo nochmals,


    danke für die Rückmeldung, sie hat mir sehr geholfen und mich darin bestärkt, die Sache weiterhin so locker wie möglich anzugehen. Oder eben einfach gar nicht anzugehen. So locker wie möglich heißt natürlich, mal lockerer und mal weniger locker, je nach Tagesform sozusagen...
    Es fällt mir zeitweise nicht so leicht, das Thema, auch gedanklich, ruhen zu lassen. Meine Zweifel, ob ich nicht doch etwas unternehmen muss, etwas tun sollte, um meine Tochter zu motivieren, haben sich aber deutlich gelegt.
    Die Gedanken zum Druck, auch stillschweigendem Druck, den man gar nicht bewusst ausübt, haben mich nachdenklich gemacht. Ich beobachte mich in letzter Zeit in dieser Hinsicht sehr häufig. Auch hier ist es nicht so einfach, die eigenen Erwartungen (die sich evtl. auch an denen von Erzieherinnen u.Ä. orientieren...) zurück zu stecken und meiner Tochter in ihrer Geschwindigkeit zu folgen.
    Aber Du hast Recht, es ist nicht so, dass ich so genervt bin, dass ich die Wände hoch gehe. Und ich denke eigentlich auch, sollte es einmal so weit kommen, dann werde ich wahrscheinlich auch Maßnahmen ergreifen. Und zwar Maßnahmen, hinter denen ich stehe und die vermutlich dann auch etwas bewirken können.
    Im Moment hilft mir tatsächlich, im nächsten halben Jahr einfach gar keine Fortschritte zu erwarten. Und siehe da: plötzlich fallen mir doch kleine Fortschritte auf. #super


    "Ich habe den Eindruck, Du hast da ein willensstarkes wunderbares Kind, das schon sehr gut weiß, was im Moment gut für es ist. Und das ist eine sehr sehr wertvolle Eigenschaft, die es für's ganze Leben zu bewahren gilt."
    Ich werde es mir hinter die Ohren schreiben!!!! Und ich arbeite daran!!!



    Vielen dank nochmals,
    herzliche Grüße,



    Anne