Hey liebe Raben,
ich bin so dermaßen bis an die Substanz frustriert, dass ich diesen für mich neuen Weg des öffentlichen Schreibens einmal ausprobiere. Ich habe jetzt ein paar Tage darüber nachgedacht, und oft sind es ja doch Impulse von Außen, die weiterhelfen und vielleicht bekomme ich von Euch ein paar Denkanstöße. Eigentlich schätze ich die Anonymität des Netzes und habe auch jetzt ein paar Bedenken, dass mich jemand zuordnen kann. Ich kann einfach nur um Diskretion bitten. Bitte entschuldigt außerdem ein bisschen meine Ausdrucksweise, ich möchte mit meinen Urteilen hier niemanden abwerten oder angreifen, mir geht es tatsächlich nur um meine persönliche Perspektive.
Vorweg meine aktuelle Lebenssituation:
Ich bin 38 Jahre alt. Ich habe vier Kinder im Alter von 1-13 Jahren.
Ich studiere Bildungswissenschaft im Master (jetzt erahnen einige sicher schon das Problem) und schreibe gerade meine Abschlussarbeit zum Thema berufliche Übergänge (haha). Ich habe sechs Jahre an der Uni als Hiwi gearbeitet. Meinen Bachelor habe ich in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften gemacht, zuvor habe ich eine Buchhändlerinnen-Ausbildung absolviert. Ich wohne in einem sogenannten "Mittelzentrum" in Norddeutschland.
Meine Jobperspektive ist quasi gleich null. Ich bewerbe mich seit einem Jahr neben Baby und MA auf alle regionalen Stellen, die irgendwie passen. Durch meinen wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Hintergrund mit pädagogischer "Ergänzung" bin ich eigentlich für vieles irgendwie ein bisschen qualifiziert, aber für nichts so richtig. Einmal habe ich es für eine - sorry - popelige Projektstelle mit TVL 11 sogar ins Vorstellungsgespräch geschafft - und bin da offenbar nicht gut angekommen. Problem ist einfach, dass ich für so sozialwissenschaftliche Stellenanforderungen die persönlichen Kompetenzen nicht so mitbringe. Ich bin keine gute Netzwerkerin. Ich bin nicht immer angepasst. Ich wirke manchmal unsicher und dadurch inkompetent. Es ist für andere schwer, den roten Faden in meiner Biographie zu erkennen - für mich ja auch. Ich bin vielseitig interessiert und kann mich in fast alles gut reinarbeiten.
Ich hasse es, für meine Situation bemitleidet zu werden. Ich hasse es, Absagen zu bekommen. Ich hasse es, mich ständig mit meinen Schwächen auseinandersetzen zu müssen (warum bin ich nicht souverän in Vorstellungsgesprächen, warum habe ich kein berufliches Selbstvertrauen, warum reichen meine Qualifikationen nicht, warum bin ich so introvertiert, warum bin ich so alt, warum habe ich damals nicht wie angedacht Medizin studiert, warum habe ich nicht irgendwas anderes studiert, warum habe ich aus meinen Talenten so wenig gemacht, warum lebe ich hier (komme ursprünglich aus eine prosperierenden Großstadt), warum kann ich nicht wie jeder Dulli einfach einen Job haben, der ansatzweise meinen Fähigkeiten entspricht und mich und meine Kinder ernährt ?)
Aktuell habe ich eine Absage für ein Praktikum bei einem gewerkschaftlichen Bildungswerk hier vor Ort erhalten. Ich hätte dort für einen Mindestlohn gearbeitet. Obwohl ich meiner Ansicht nach passgenau für solch eine Tätigkeit qualifiziert bin. Obwohl ich seit 20 Jahren Gewerkschaftsmitglied bin. Obwohl ich keine komplette Berufseinsteigerin bin, alle Office-Anwendungen beherrsche und wirklich schnell eingearbeitet bin. Begründung war: Durch das hohe Arbeitsaufkommen hätte man keine Kapazitäten, sich um mich zu kümmern. Man, ich brauche das nicht. Ich brauche einen Rechner, eine grobe (!) Zielvorgabe und ich mache was draus. Ich beobachte und lerne sehr gut, ich will doch einfach nur arbeiten und ein bisschen Geld verdienen. Es reicht einfach sonst nicht. Mein Mann ist Sozpäd und verdient auch nicht die Welt. Wir müssen unser Auto und unser Reihenhaus abbezahlen. Nächsten Monat geht meine jüngste in die Krippe, damit ich meine MA schreiben kann und ich weiß nicht, wie ich das plus Studienbeiträge bezahlen soll. Ich kenne alle Unterstützungsmöglichkeiten, wenn wir Glück haben, bekommen wir ab nächstem Jahr Wohngeld. Ich finde das so kacke und bin gerade nur am heulen. Ich schicke das jetzt einfach mal ab, es tut mir auf jeden Fall schon mal sehr gut, hier ein bisschen rumgejammert zu haben, das merke ich direkt.