Ich finde, unser Grundproblem als Frauen heute ist, zumindest geht es mir so, eine Zerrissenheit. Ich greife mal das Wort "modern" auf, das derfabian verwendet hat. Wir haben heute Einstellungen und Möglichkeiten, die früher deutlich begrenzter waren. Aufgrund medizinischen Fortschritts (zumindest hier ist es Gott sei Dank nicht mehr so "normal" wie früher, im Kindbett zu sterben), wir haben als Frauen die Möglichkeit, Bildung zu erwerben, zu studieren, zu arbeiten und ohne Mann zu leben, weil wir in aller Regel keinen Mann mehr zum wirtschaftlichen (und sozialen) Überleben brauchen.
Aber all diese Errungenschaften haben eine Kehrseite. Das "Wochenbett" z.B. Mir war das vor meinen Geburten nicht wirklich ein Begriff, bzw. mir war nicht wirklich klar, was genau der Sinn ist und wie lange das dauern sollte. Ich dachte, das ist halt so eine Woche nach der Geburt, in der die Mutter im Bett bleibt oder so. Das ist heute soweit in den Hintergrund gerückt, dass anscheinend so manche werdende Mutter darüber aufgeklärt werden muss, was es damit auf sich hat. Früher, als Geburten noch viel lebensgefährlicher waren, war es noch viel mehr im Bewusstsein, dass die Frau Schwerstarbeit geleistet hat und jetzt Schonung braucht. Vielleicht auch, weil früher mehr Schwangerschaften eintraten, so dass der weibliche Körper generell mehr gefordert war. Sicher gab es auch früher Frauen, die diese Belastung besser weg gesteckt haben. Aber so wie wir im Forum die Frage stellen "wer leidet am meisten?" so denke ich, dass in diesem Fall die Orientierung nicht an den Frauen erfolgen sollten, die das gut wegstecken, sondern an denen, die mehr "leiden". Ich muss sagen, ich habe v.a. die erste Geburt als absolute Grenzerfahrung erlebt.
Ich hätte es gut gefunden, im Geburtsvorbereitungskurs mehr auf diese Grenzerfahrung vorbereitet zu werden. Ich hatte nämlich einen Kaiserschnitt nach vielen vergeblichen Stunden Probierens an einer "natürlichen" Geburt, inklusive PDA, Wehentropf, Saugglocke etc. Im Nachhinein betrachtet hätte ich viel früher sagen müssen, dass ich nicht mehr kann - aber ich war zu sehr beeinflusst von dem Anspruch, dass eine Geburt doch natürlich erfolgen sollte. Und die ganzen Tipps von wegen Lieblingsmusik mitbringen etc. Die waren in meinem Fall nicht hilfreich, da ich während all der Stunden nicht gut genug drauf war, um Musik zu hören. Hätte sich diese romantisierte Vorstellung von Geburt nicht so in meinem Kopf festgesetzt, wäre es nicht der Arzt gewesen, der sagte, nach Versuch xy müssen wir abbrechen und einen Kaiserschnitt machen, sondern ich hätte das selbst viel früher gesagt und meinem Kind und mir ein paar unschöne Stunden erspart. Wie fertig mich das alles gemacht hat, habe ich ehrlich gesagt, erst nach der 2. Geburt realisiert. Auch die endete in einem Kaiserschnitt. Aber da habe ich selbst die Notbremse gezogen, als ich merkte, dass es ähnlich verläuft wie bei der ersten Geburt. Ich war danach nicht annähernd körperlich und mental so fertig wie nach der ersten Geburt - und da hat es Monate gedauert, bis es mir besser ging, ich habe es nur nicht gerafft.
Was ich sagen will: Wir haben mehr Möglichkeiten als früher. Aber die Ansprüche an uns sind enorm gewachsen. Wir sollen arbeiten, wir sollen tolle Bilderbuchgeburten hinkriegen. Eine Frau, die es nicht schafft, zu stillen, fühlt sich mies, weil sie ihrem Kind die beste Art der Ernährung vorenthält und um die "richtige" Beziehung zum Kind fürchtet (von Frauen, die nicht stillen wollen, reden wir lieber erst gar nicht).
Ich frage mich oft, ob das Leben nicht doch schöner wäre, wenn ich so leben würde wie die Generation meiner Mutter. Da waren die meisten Mütter in meinem Umfeld tatsächlich zuhause, der Kindergarten hatte ja auch unmöglichliche Öffnungszeiten oder nur für wenige Stunden arbeiten. Dieses ständige Gehetze mit Kindern und Beruf ist nämlich auch verdammt anstrengend und man hat immer das Gefühl, es irgendwo nicht gut genug zu machen. Aber es gibt auch keinen Weg zurück. Ich zumindest möchte die Tatsache, dass ich studiert habe, in einer Berufstätigkeit umsetzen, und ich möchte mich nicht allzu abhängig von einem Mann machen. Aber manchmal denke ich, es wäre vielleicht irgendwo einfacher. Und dann erinnere ich mich daran, wie froh ich war, nach sechs Monaten wieder zu arbeiten und andere Themen zu haben als Kinder, Windeln und Brei (überspitzt formuliert).
Das sind aber alles Dinge, die ich erst rückblickend so sagen kann. Ich empfinde es inzwischen tatsächlich auch als eine Form der Manipulation, dass wir Frauen möglichst natürliche und tolle Geburten haben sollen und über die Folgen eines Kaiserschnitts in den Geburtsvorbereitungskursen nur rudimentär aufgeklärt werden (denn Kaiserschnitt ist ja was Schlimmes, das man nicht haben will - dass es hierzulande aber viele Leben rettet und wir dankbar sein können, dass wir diese Möglichkeit haben, im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, das wird nicht zum Thema gemacht). Ich habe auch erst mit Jahren Verspätung beim Ostöopathen gelernt, dass Kaiserschnitte auch Rückenprobleme verursachen können. Ändert nichts daran, dass der notwendig war, aber wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich schon in den Jahren zuvor vielleicht anders gehandelt und Behandlungsmöglichkeiten gesucht. Aber in dem Perfektionismusanspruch an uns Frauen geht sowas unter bzw. wird halt nicht thematisisiert.
Das meine ich mit Zerrissen. Wir können die Tatsache, dass wir als Frauen unserem Körper vielleicht noch stärker "ausgeliefert" sind als Männer, bzw. die Tatsache, dass wir den harten Teil der Reproduktioinsarbeit leisten, mit allen medizinischen und emanzipatorischen Errungenschaften nicht ändern. Wir wollen Gleichberechtigung, haben aber vielleicht den Fehler gemacht zu glauben, Gleichberechtigung hieße, mehr so zu leben wie Männer. Die haben aber diesen körperlichen Teil einfach nicht und müssen sich deshalb nicht damit rumschlagen. Haben aber noch in vielerlei Hinsicht die Deutungshoheit bzw. gelten als "default" für den Menschen. Hier müssten wir ansetzen, um wirkliche Gleichberechtigung zu erzielen.
Und hier im Thread wird ja deutlich, dass auch Frauen nicht alle "gleich" sind. Das ist ein gewisses Dilemma. Wenn Frauen wie ainu sagen, sie hätten keine Einschränkungen gewollt, weil sie eben keine Probleme mit Geburt etc. hatten, dann muss ich das erst mal glauben. Aber wie gehe ich damit um? Wie löse ich es, dass solche Frauen nicht bevormundet werden, also das Recht behalten, dann wieder arbeiten zu gehen, wenn es ihnen gut geht, ohne dass andere Frauen nicht dem Druck ausgesetzt sind, das als Maßstab nehmen zu sollen?