Hallo liebe Raben,
ich bin neu hier, finde aber beim Einlesen den Umgangston so nett und kompetent, dass ich euch gerne mal mein Herz ausschütten möchte. Falls ich dabei irgendwelche Gepflogenheiten misachte, entschuldigt bitte und sagt mir am besten gleich, was nicht passt, ich bin absolut lernwillig
Also -- ich bin promovierte Sozialwissenschaftlerin an der Uni, mache also brotlose Kunst, das aber total gerne. Seit gut anderthalb Jahren habe ich eine tolle Tochter. Als wir übers Kinderkriegen geredet haben, war für mich klar, dass ich auf jeden Fall wieder arbeiten will, das war auch in der Beziehung völlig klar. Der Papa hat erst zwei Wochen nach der Geburt seine erste Stelle angefangen, weshalb auch logisch war, dass er maximal die beiden Vätermonate Elternzeit nehmen konnte. Ich habe nach sieben Monaten wieder auf zehn Stunden angefangen zu arbeiten; als die kleine Erbse ein Jahr alt war, ist sie in die Kita gekommen und ich habe auf eine halbe Stelle aufgestockt. Weil man an der Uni ja fast auschließlich projektbezogen und befristet arbeitet, hatte ich eigentlich gar kein Anrecht darauf, die Elternzeit nachzuarbeiten, aber nette Chefs, die das irgendwie doch ermöglicht haben. Die nachgearbeitete Elternzeit und damit mein Vertrag laufen zum Herbst hin aus. Danach gibt es erstmal keinen Anschluss, mein Prof ist emeritiert und es wird jemand neues mit neuem Mitarbeiterstab auf die Professur kommen. In der nachgearbeiteten Zeit war ich eigentlich nur mit Stückwerk befasst, habe also so gut wie gar nichts für meine eigene Weiterqualifikation gemacht und damit auch nichts, aus dem irgendwo eine Weiterbeschäftigung entstehen könnte.
Mir hat die Prekarität der Wissenschaft eigentlich nie was ausgemacht. Halb- bis Dreijahresverträge, -- naja, es ist ja immer was nachgekommen. Auf ner halben Stelle gezahlt werden und für eine ganze arbeiten, -- naja, dafür ist man flexibel, selbständig und macht Sachen, die einen wirklich interessieren. Man muss irgendwann weg (mindestens mal in eine andere Stadt, wenn nicht am besten ins Ausland), wenn man in der Wissenschaft vorankommen will, -- naja, ist doch spannend und man sieht was von der Welt. Man muss sechs Jahre nach der Diss untergebracht sein, sonst kriegt man keine Haushaltstelle mehr, -- naja, dann muss man halt gut sein.
Seit ich eine Familie habe, nervt mich die Prekarität wahnsinnig. Ich will mal planen können. Ich will wissen, dass ich für die nächsten Jahre untergebracht bin. Ich will mein Kind und meinen Freund nicht durch die Republik schleifen, ohne zu wissen, für wie lange. Ich will keine blöden Vertretungsprofessuren in Hinterpusemuckel übernehmen und meine Tochter nur drei Tage die Wochen sehen. Und ich kann nicht mehr so arbeiten, wie ich es vorher getan habe: solange, bis es halt fertig und gut war. Jetzt lasse ich punkt viertel vor vier den Stift fallen, egal, was ich grade tue, um die Erbse von der Kita holen zu können.
Aber: ich liebe meinen Beruf, ich mache super gerne Lehre, ich forsche total gerne, und ich bin in beidem gut.
Unsere Kita ist toll, total flexibel und extra auf berufstätige Eltern ausgerichtet. Ich leiste mir eine Putzhilfe. Unsere Tochter ist ein wahnsinnig liebes, wirklich pflegeleichtes Kind. Eigentlich habe ich wirklich gute Grundvoraussetzungen. Aber ich bin andauernd überfordert, schaffe nichts im Verhältnis zu dem, was ich schaffen möchte, und setze mich konstant unter Druck. Und parallel reden wir über ein zweites Kind...
Gibt es hier Leute, die auch gerne, aber in einem (auf lange Zeit) total unsicheren Arbeitsfeld arbeiten? Wie geht ihr damit um? Ist es vermessen einfach zu glauben, dass man die gleichen Maßstäbe an sich ansetzen kann wie vorher? Muss man einfach Kompromise schließen? und wo? Ist es sinnvoller, sich was zu suchen, was zwar langweiliger ist, aber dafür mehr Sicherheit bietet? und findet ihr es nicht auch zum Schreien, dass man sich vornehmen kann, was man will, plötzlich hat man wieder die verfluchten althergebrachten Geschlechterstrukturen reproduziert??? Trotz Reflexion und gemeinsamen Entscheidungen? einfach, weil jede einzelne Entscheidung genau so grade Sinn gemacht hat?
Ihr seht, ich bin grade etwas frustriert und ziemlich verloren. Ich weiß, dass ihr keine Patentantworten habt, aber vielleicht gibt es den einen oder die andere, die für sich in einer ähnlichen Situation eine gute Lösung gefunden haben? Es würde mich schon freuen zu lesen, dass ich mich mit diesen Fragen nicht allein rumkämpfe...
Dank euch schonmal fürs Zuhören!
Aomame