Gewaltfreie Erziehung, Ruhig bleiben

Liebe interessierte Neu-Rabeneltern,

wenn Ihr Euch für das Forum registrieren möchtet, schickt uns bitte eine Mail an kontakt@rabeneltern.org mit eurem Wunschnickname.
Auch bei Fragen erreicht ihr uns unter der obigen Mail-Adresse.

Herzliche Grüße
das Team von Rabeneltern.org
  • Liebe Rabeneltern,


    ich habe einen kleinen Sohn (11 Monate alt) und habe schon seit einigen Wochen das Gefühl, dass ich mit der Gewaltfreiheit gewisse Probleme haben könnte, obwohl ich ihn gerne ohne jede Form physischer, psychischer oder verbaler Gewalt erziehen möchte. Wenn er beim Wickeln nicht mit macht oder auch sonst mal wieder seine schwierigen Stunden hat und sich bei mir all der Stress anstaut, raste ich aus und schrei ihn an. Das ist nicht meine erwünschte Erzeihungsmethode. Ich kann mich einfach irgendwann kaum mehr beherrschen und es tut mir auch sehr leid. Ich habe ihm auch schonmal einen Klaps gegeben, als er beim Stillen richtig zugebissen hat. Das war natürlich nicht kontrolliert. Trotzdem habe ich Angst, dass sich das in eine bestimmte Richtung entwickelt. (Momentan presse ich kurz an mich heran. Dann lässt er locker und es baut auch etwas Schmerz ab und es ist ja auch nur während des Zahnens dass er das macht)


    Allgemein gesabt: Ich kann auf ein gewisses Ausmaß von nervlischer Belastung / Schmerz etc. einfach nicht gelassen und gewaltfrei reagieren. Ich denke zwar, dass der Kleine sehr genau spürt, dass er von mir immer und bedingungslos geliebt wird und spürt, dass ich aus dem eigenen Temperament her ausflippe und nicht um ihn zu verletzen. Trotzdem bin ich mit meinem eigenen Verhalten sehr unglücklich. Gibt es gute Tipps, wie man sich kontrollieren kann. Das ganze trifft mich sehr, weil ich ansonsten irgendwelchen Personen, die mich auf der Straße dumm anmachen, keineswegs gegenüber ausraste sondern eher gehemmt bin, obwohl deren Wohl mir ziemlich egal ist. Warum ist es dann so schwer sich diesem unschuldigen kleinen geliebten Wesen gegenüber auf die Zunge zu beißen?

  • Liebe Inima,


    zunächst einmal möchte ich Dir sagen, dass ich es klasse finde, dass Du Deine Situation ernst nimmst und sie nicht mit einem lapidaren "Kann schon mal passieren" abtust.
    Aufgrund Deiner Zeilen glaube ich nicht, dass bei Dir eine grundlegende Tendenz dahingehend zu erkennen ist, dass Du Dich mit Deinem Vorsatz einer gewaltfreien Erziehung schwerer tust, als andere dies auch tun.


    Wenn ich Dich richtig verstehe, dann treten die Situationen, in denen Du in Gefahr läufst, die Beherrschung zu verlieren, in erster Linie dann auf, wenn sich der Stress, wie Du selbst schreibst, zu stauen beginnt. Und ich glaube, beinahe jede Mutter kann Dir diese Momente gut nachempfinden. Neue Aufgaben, Herausforderungen, Schlafmangel, weniger Zeit für die Dinge, die man früher gerne gemacht hat - all dies kann sich im Laufe der Zeit nahezu unbemerkt zu einem größeren Berg stauen. Und wenn dann auch noch das Kind s c h o n w i e d e r weint, ohne dass man genau weiß, wieso eigentlich, wenn es beim Anziehen um sich schlägt oder, wie in Deinem Fall, beim Stillen zubeißt, dann gerät man häufig an einen Punkt, an dem das sonst so gut kontrollierte Nervensystem kollabiert.


    Dass Anschreien oder gar "Klapsen" keine Lösungen sind, weißt Du selbst. Dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn man trotz allerbester Vorsätze an einen Punkt kommt, wo man danach feststellt, dass man genau so eigentlich nie hat reagieren wollen, das dagegen solltest Du Dir ins Bewusstsein holen. Es bringt wenig, wenn Du in einer Situation, in der Du ohnehin schon unter Druck stehst, den Druck noch dadurch erhöhst, indem Du Dich selbst allzu sehr kasteist, weil Du Deinem Kind gegenüber laut geworden bist.
    Damit möchte ich Deine Situation nicht mit: "Das kommt in den besten Familien vor" abtun.
    Denn auch wenn ich Dir zustimme und sage, dass ein Kind, das geliebt wird und dem man diese Liebe auch immer wieder vermittelt, dies im Allgemeinen auch grundlegend spürt, so möchte ich Dir doch widersprechen, was den Punkt betrifft, dass ein Kind klar differenzieren kann, warum es in einer bestimmten Situation angeschrien oder "geklapst" wird.
    Dein Kind ist 11 Monate alt, und ich gehe nicht davon aus, dass es Dein Verhalten so einzuordnen vermag, dass es Schreien oder Schlagen nicht ausschließlich auf sich bezieht.
    Wenn wir ganz ehrlich sind - selbst Erwachsenen fällt es schwer, sich in Situationen, in denen sie verbal oder sogar körperlich angegangen werden, auf eine Metaebene zu begeben und sich selbst zu sagen: "Das hat nichts mit mir zu tun, mein Gegenüber möchte mich nicht kränken/verletzen, sondern er reagiert so, weil..."


    Ich denke daher ebenfalls, dass es sinnvoll wäre, wenn Du nach Wegen suchst, um ein Entgleisen der Situation bereits im Vorfeld zu verhindern.


    Zuallererst ist dafür sicher wichtig, den Druck wieder abzubauen, der sich bei Dir aufbaut.
    Hast Du ausreichend Unterstützung? Können Dein Mann oder Verwandte/gute Freunde Dir Deinen Sohn hin und wieder für einige Stunden abnehmen, so dass Du die Zeit nutzen kannst, um Deine Reserven wieder aufzuladen? Hast Du die Möglichkeit, Dein Kind gerade auch in Situationen, in denen Du merkst, dass Du zunehmend angespannter wirst, für eine gewisse Zeit abzugeben?
    Bekommst Du es selbst mit, wenn der Druck zu hoch wird, so dass Du rechtzeitig gegensteuern kannst?


    Bekommst Du ausreichend Schlaf? Ist es möglich, dass Dein Mann "Nachtdienste" übernimmt, und Dir den Sohn nur zum Stillen bringt?
    Kommst Du genug raus? Mit Kind (spazierengehen, mit anderen Müttern und deren Kindern etwas unternehmen) und auch ohne (mal wieder einige Zeit alleine verbringen, lesen, einkaufen, Essen gehen)?


    Ich denke, dass Auszeiten für Dich selbst in Deiner Situation absolut grundlegend sind.
    Langfristig wird es Dir besser damit gehen, jetzt Zeit und Energie darauf zu verwenden, eine geeignete Person zu finden, der Du Dein Kind auch mal für eine gewisse Zeit anvertrauen kannst (das kann auch eine liebevolle Babysitterin sein), als Dich jetzt immer weiter und weiter zusammenzureißen - bis eben doch der Knoten wieder platzt.


    In Situationen, in denen Du merkst, dass Deine Ungeduld und Dein Frust ansteigen, ohne dass Du Dich für einige Zeit daraus zurückziehen könntest, wäre es gut, wenn Du in einer ruhigen Stunde mal überlegst, was Dir helfen könnte, zumindest mal den allernötigsten Dampf abzulassen.
    Vielleicht kannst Du eine Freundin anrufen? Oder Deine Mutter? Vielleicht hilft es Dir, wenn Du Deinen Sohn sicher auf eine Decke legst, in den Nebenraum gehst und da ein paar Kissen auf den Boden wirfst oder die Wand anschreist? Vielleicht gehörst Du auch eher zu den Menschen, die sich nach innen retten, von zwanzig an runterzählen oder sich auf eine besonders angenehme Situation konzentrieren?
    Ich selbst habe mich aus Situationen, in denen ich an meine Grenzen kam, häufiger dadurch herausmogeln können, indem ich anfing, laut Kinderlieder vorzusingen, oder ich habe mir mein Kind ins Tragetuch gepackt und zu einer mir angenehmen Musik getanzt.


    Versuche herauszufinden, was zu Dir passen könnte.
    Es ist wichtig, dass Du auf Dich und Deine Bedürfnisse hörst und so gut es eben möglich ist, darauf eingehst. Nur wenn Du Energien übrig hast, kannst Du Deinem Kind gegenüber die Mutter sein, die Du sein willst.


    Versuche Dir auch immer wieder ins Bewusstsein zu holen, dass Dein Kind nichts tut, um Dich absichtlich zu verletzen oder zu ärgern.
    Auch wenn Dir das vom Kopf her klar ist (und Du Dir beispielsweise sein Zubeißen beim Stillen nachvollziehbar mit seinem Zahnen erklären kannst), so gerät man doch schnell unbemerkt in angespannten Situationen in ein Fahrwasser, in dem man das Verhalten des Kindes eben doch persönlich nimmt.
    Besuchst Du mit Deinem Sohn eine Krabbelgruppe?
    Der Austausch mit anderen Müttern kann dazu beitragen, die eigene Situation wieder etwas zu erden und einen realistischeren Blick auf das Ganze zu bekommen.
    Wenn man beispielsweise erfährt, dass auch andere Mütter mit kleinen Beißern zu kämpfen haben, fühlt man sich damit nicht mehr ganz so allein - und den ein oder anderen Tipp wirst Du unter Umständen auch erhalten.


    Du stellst an Dich hohe Ansprüche, wenn es um Dein Kind geht, und das finde ich gut.
    Stelle diese hohen Ansprüche auch an Dein Verhalten Dir selbst gegenüber. Sei nicht zu streng mit Dir.
    Ich bin sicher, dass Du eine liebevolle Mutter bist, und Du solltest Dir selbst gegenüber auch eine liebevolle Freundin sein.


    Ich wünsche euch alles Gute. :)