Arm aber glücklich?

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  • Ich danke euch für eure Antworten. Das meiste davon hatte ich schon auf dem Schirm, mir sind aber noch einige Dinge klar geworden. Zum Beispiel die genannte Wahlfreiheit. Jemand, der arm ist, hatte keine Wahlfreiheit, sich bestimmte Dinge nicht zu kaufen. Jemand mit mehr Geld kann das trotzdem tun. Ich würde mich für meinen jetzigen Lebensstil auch weitestgehend so entscheiden, wie er jetzt ist, wenn ich mehr Geld hätte. Ganz einfach, weil ich Dinge wie "viel Konsum" an sich einfach unglaublich anstrengend finde. Andere Dinge, die mit Armut verknüpft sind, wie wenig Energie, treffen mich da schon viel schwerer. Geld würde mir da aber nicht so viel nützen (davon abgesehen, dass ich manche Dinge externalisieren könnte, worüber ich auch tatsächlich nachdenke). Von wegen Diskriminierung und Perspektivlosigkeit, das ist mir alles klar, das trifft mich nicht im gleichen Ausmaß. Es ging mehr eher um die konkrete Geldmenge (mir ist auch bewusst, dass das mit älteren Kindern ganz anders aussieht, das hatte ich nicht dazu geschrieben, sorry).


    Meine Angabe stimmt übrigens, *eigentlich* müsste ich als Studentin mit Kind ein wenig mehr haben als eine ALGII-Empfängerin mit Kind, dummerweise warte ich da schon seit geschlagenen acht Monaten auf ein rumtrödelndes und unfähiges Jobcenter. #augen


    Was mir auch aufgefallen ist, dass ich mir eher Dinge leiste, die mit "eher viel Geld" verknüpft sind (und auch gewisse Privilegien habe, die andere ALGII-Bezieher*innen nicht haben), dafür aber andere Dinge nicht, die für viele selbstverständlich sind. Wie Fernseher, Musikanlage, irgendwelchen sonstigen Elektronikkram neben Laptop und Smartphone, Möbel, Auto, viel Platz, Kosmetik, Friseur, "hier und da mal irgendwas kaufen". Abgesehen vom Grundbedarf wie Essen, Hygiene und Co. plus manchmal ein Geschenk und Geld für "Gesellschaftsteilhabe" (auch wenig) hab ich tatsächlich fast nichts. Ich kaufe keine Bücher, keine CDs, kein was auch immer. Meine Wohnung steht größtenteils leer und ich empfinde es immer noch als zu viel Kram und das stresst mich. Meine ideale Wohnung würde so aussehen: Klick.


    Ich vermisse ein wenig die Beiträge von Glockenbaum zum Thema, was man denn unbedingt so braucht. :) Ich finde zum Beispiel nicht, dass größere Kinder unbedingt jedes ein eigenes Zimmer braucht. Klar, das kann auch illusorisch sein, weil meines noch so klein ist, aber wenn ich daran denke, wieviel Prozent der Weltbevölkerung in diesem Alter tatsächlich ein eigenes Zimmer haben und dass ich nicht erkennen kann, dass das schadet, finde ich es dann doch nicht unbedingt notwendig. Nett, wenn vorhanden, notwendig, nein. Hedonic Treadmill muss auch noch bedacht werden (dazu hatten ja schon einige was geschrieben).

  • Hera, die Sache mit dem eigenen Zimmer ist nicht so einfach. Ich hatte keins. Ja, es hat mich gestört, weil ich Null Privatsphäre hatte (ein Sofa zum Schlafen im WoZi, ein paar Fächer im gemeinsamen Kleiderschrank, ein Regal für Schulkram und so und das war´s dann). Wenn ich mal meine Ruhe haben wollte, bin ich ins Bad gegangen (und das ging auch nur deswegen, weil das WC nochmal getrennt davon war). Später hatten wir einen Schrebergarten, das war als Teenie mein Rückzugsgebiet. Ich hab wirklich drunter gelitten, nicht mal eine kleine Ecke für mich haben und die Tür hinter mir schließen zu können. Mir hätten schon 6qm gereicht, Hauptsache meins. Von 17 bis 20 hab ich mir dann das Zimmer mit meiner 3 Jahre jüngeren Schwester geteilt, auch das war ziemlich mühsam - Freundebesuch, unterschiedlicher Musikgeschmack, ich bin ein Abendmensch, sie ein Frühaufsteher, klar, wir haben uns irgendwie arrangiert, aber einfach ist anders.
    Und ich komme als einem Land, wo viele Kinde kein eigenes Zimmer haben und es auch nicht als zwingend nötig angesehen wird - ich vermute mal, das ist eher eine Frage des Charakters als der Sozialisierung, ich bin eher introvertiert, also hat es mich auch gestört, permanent jemanden um mich zu haben. Anderen macht das vielleicht gar nicht so viel aus.
    Insofern wäre ich sehr dafür, meinen Kindern einen eigenen Raum zu ermöglichen, klar, nicht mit 2 und mit 4 auch noch nicht unbedingt, je nach Kind, aber J. findet es gut, wenn sie Besuch von Freundinnen hat und sie für sich sein können. Schlafen ist dann nochmal eine andere Sache, die beiden schlafen auf eigenen Wunsch in einem Zimmer - aber ich habe die Möglichkeit, sie bei Bedarf auch trennen zu können und bin sehr dankbar dafür.

    LG H. mit J. (volljährig) und S. (Teenie)

  • In unseren Breitengraden kann man darüber hinaus auch nicht einfach so ins Freie, um außerhalb der 4 kleinen Wände mal einen Rückzugsort zu haben.
    Also, bei nordeutschem Dauernieselregen stelle ich mir das in der kühlen Jahreszeit nicht so schön vor.


    Eine Freundin von mir wohnte einige Jahre in NY. Sie und ihr Freund hatten eine winzige Bleibe, aber mit einer kleinen zubetonierten Fläche raus; das war ihr extra Wohn- (und Grill-)zimmer. Ergibt ein deutliches Plus an Wohnqualität. Trotz Beton.

  • es kommt auch ganz stark auf die Infrastruktur und das soziale netz an. wohne ich z.B. in einer gegend mit vielen kostenfreien oder günstigen angeboten (sozialpass, kleidermarkt, usw.) oder wohne ich irgendwo, wo jede Unternehmung mit kindern teuer wird, wo es keine Spielplätze gibt, wo es keine billigen läden gibt. und habe ich ein soziales netz, in dem z.B. gebrauchte Kleidung weitergeben wird. das macht einen enormen unterschied.

  • Die Frage, mit wie viel Geld ich selbst (und meine Familie) leben koennen ist ja ganz anders, als wenn ich versuche diese Frage fuer die Masse zu beantworten.


    Wenn man weniger als der Median im sozialen und nachbarschaftlichen Umfeld verdient wird man sich unwohl fuehlen. In soweit kann es durchaus wichtig sein Menschen zu finden, die mit weniger gluecklich sind.


    Wir selbst sind eine doch recht grosse Familie, mit derzeit nur einem Einkommen. Ich brauche nicht viel Luxus im Leben; ich gehe nicht gerne einkaufen, ich repariere gerne Dinge, ich (und mein Mann) mache gerne Dinge selbst, wir haben keinen Trockner und Spuelmaschine (aus Prinzip), und unser Haus ist sehr klein (von einer deutschen oder amerikanischem Standpunkt), aber mit grossem Garten.


    Wieviel rueckzugsmoeglichkeiten es gibt (und ein mensch denkt er braucht und wo er sie findet) ist meiner Erfahrung nach sehr kulturell gepraegt. Man kann da durchaus recht kreativ werden. Nicht jedes Familienmitglied braucht ein eigenes Zimmer (oder gar 2! pro Kind, wie es in den letzten Jahren ueblicher zu werden scheint).


    Kuehler Nieselregen ist natuerlich nicht so toll um rauszugehen, aber tragisch doch nun auch wirklich nicht. Regensachen und warme Sachen drunter und schon ist man ausgeruestet. Gerade die kleineren Kinder (unter 10?) sind doch gerade oft im Regen oft sehr viel beschaeftigt draussen mit Pfuetzen, Schnecken, Regenwuermern, Zelten bauen etc.


    Nur ist es fuer uns definitiv so, dass wir einen sehr guten Grundstock haben (Kleidung ist vorhanden, Haus mit Garten mit gutem Umfeld), und somit macht ein geringes Einkommen derzeit uns keine groesseren finanziellen Probleme.

    Birth is not only about making babies. Birth is about making mothers - strong, competent, capable mothers who trust themselves and know their inner strength.

  • Danke asreileeth für deinen Erfahrungsbericht. :) Ich hab eine Frage - du sagst, dir hätte auch einfach schon ein sehr kleiner Rückzugsort gereicht, ich dachte, bei meinen Gedanken zu wieviel Platz wirklich notwendig ist, mehr an die Gesamtmenge des vorhandenen Raums als an die konkrete Zimmeraufteilung. Ich weiß jetzt gerade gar nicht, ob beispielsweise 60qm mit einem großen und zwei sehr kleinen Zimmern mehr kosten als 60qm mit zwei normal großen Zimmern. #gruebel War dir nur das eigene Zimmer an sich wichtig oder ging es generell um mehr Platz?


    Wieviel Platz als notwendig erachtet wird, ist ja kulturell auch sehr verschieden - ich denke da an die USA, wo die Hausgröße steigt und steigt und seit jeher viel größer ist als in Deutschland. Aber wieviel Platz benötigt wird, ist auch eine Frage dessen, wie oft man zu Hause ist. (Dass man z.B. bei ALGII-Bezug gar nichts davon hat, sich bewusst für eine günstigere, weil kleinere oder was auch immer, Wohnung zu entscheiden, ärgert mich massiv.) Was wiederum eine Frage dessen ist, wie gut der nahe öffentliche Raum begehbar ist oder wie oft man auf der Arbeit/in der Uni oder wo auch immer ist, die Kinder in Betreuungseinrichtungen... Ich würde bei Nieselregen nicht freiwillig rausgehen. ;)


    Ich danke euch jedenfalls sehr für eure Ausführungen. :) Das sind so viele kleine Dinge, in denen andere schlechter gestellt sind als ich, die mir zwar einzeln bewusst sind, aber ich glaube, ich hatte bisher nicht so sehr den Blick dafür, wie sich das alles summiert. Ein Freund von mir hat mir mal vor einiger Zeit (vor zwei Jahren?) gesagt, wie unfair es wäre zu behaupten, dass die Summe X doch gar nicht so wenig Geld ist, da ich zwar mit sehr wenigem finanziellem Kapital ausgestattet sein mag, dass ich das alles aber durch genügend Reichtum an kulturellem und sozialen Kapital wieder ausgleichen kann (Kapitalbegriff nach Bourdieu). Da war ich viel verständnisloser als jetzt und hab auch nicht so nette Sachen von mir gegeben. #schäm Nach dem Lesen von Erfahrungsberichten von Menschen, die eine working-class-Herkunft haben, kann ich zwar vieles vom Kopf immer noch nicht viel mehr nachvollziehen, aber zumindest hab ich mir geschworen, nie wieder irgendeinen dummen unsensiblen Kommentar von mir zu geben. #schäm


    Auch wenn ich Kaffeemaschine, Fernseher und ein Festnetztelefon (wenn Handy schon vorhanden) für ziemlich unnötig halte, kann das für andere Menschen aufgrund eines anderen sozialen Settings zum nicht verhandelbaren Grundbedarf gehören, für die sind dann Biolebensmittel nicht finanzierbarer Luxus (den sie dennoch gerne hätten). Für mich ist es genau andersherum, mit dem Unterschied, dass ich die genannten Dinge gar nicht haben wollen würde. Allein wieviel Energie das kostet, sich um den Kauf zu kümmern. #pinch


    Aber vielleicht entstammt dieser Drang, mich nicht als arm zu sehen, gerade der Abgrenzung? #gruebel So nach dem Motto, "mir geht es zwar manchmal mies, aber immerhin nicht so wie die" im Bezug auf working-class? So von wegen Abgrenzungsdrang der Mittelschicht? Hm. Kraft fehlt mir definitiv oft. Und auch das kostet Geld. Meine Tochter hat vor einigen Monaten die Kamera runter geworfen, zwei Mal, nachdem sie sich selbst vom Fensterbrett geangelt hat. Ich hätte sie davon abhalten können, ich hab es gesehen, aber ich war einfach zu fertig, um das zu tun. Eine neue hab ich immer noch nicht gekauft. #schäm Jetzt gibt es halt keine Fotos, außer einige wenige mit iPhone gemacht in mieser Qualität. #schäm #schäm #schäm
    Aber dennoch, Aussagen wie "dass es zum Leben nicht reicht" kann ich nicht wirklich nachvollziehen, (auch wenn ich jetzt besser verstehen kann, dass es für manche Menschen ziemlich wenig ist). Menschen im ALGII-Bezug gehören immer noch zum reichsten Sechstel des Planeten.

  • zum reichsten sechstel des planeten...


    ja. aber wenn du in einem land lebst, in dem eine billige wohnung schon zuviel kostet, dann spielt es keine rolle, wenn in den townships von südafrika das leben noch schlimmer ist und die leute dort das, was du in einem monat kriegst in einem jahr bekommen. denn du musst dir ja dann in d eine bleibe suchen, nicht in südafrika.

    mit elfchen 04/09 und minielfchen 03/12


    quand ta thèse te pousse à bout et que tu veux tout arrêter kannste vergessen.


    #rose 49,7

  • Ich empfinde, daß sich das im Laufe meines Lebens verändert hat. Als ich Studentin war, hat es mir nichts ausgemacht "von der Hand in den Mund" zu leben. Viel zu improvisieren. mal nichts zu essen, oder nur Nudeln mit Ketchup. da htte ich ja auch noch die Gewissheit, daß das nach meinem Studium besser wird, ich arbeite und mahr Geld verdiene.
    Als wir in meiner Schwangerschaft mit dem dritten Kind in die Arbeitslosigket gerutscht sind ,hatten wir etwa den HarztIV-Satz zum Leben. Ja, wir konnten als Famile davon leben. Sogar zimlich problemlos, ich hatte im Alltag nicht das Gefühl arm zu sein. Was mich zu diesem Zeitpunkt aber zu schlaflosen Nächten gebracht hat: Wir konnten keinerlei Rücklagen bilden. Als die Waschmaschine kaputt gegangen ist, sind zum Glück die Schwiegereltern eingesprungen. Und er Gedanke an das eigene Alter, die fehlende Vorsorge, das war auch schlimm.
    Aber glücklich war ich damals trotzdem. Den Mann meines Lebens an meiner Seite, drei gesunde Kinder, unbezahlbar.


    Meine Mutter ist richtig arm aufgewachsen. Sie kam aus einem kleinen Dorf in Kroatien, hatte oft Hunger, nie passende Schuhe oder warme kleidung. Und trotzdem war sie sehr glücklich hatte eine gute Kindheit, Eltern, die sie liebten. Aber für ihre eigenen Kinder hätte sie das niemals freiwillig gewählt, dashalb kam sie nach Deutschland.


    LG,
    adpat

    ..

    3 große (2005, 2007, 20010) und

    1 kleine Maus (2017)

  • Hera, wir hatten früher (in dem anderen Leben ;-)) häufiger die Situation, daß am Ende des Geldes noch viel Monat über war (ich erinnere mich heute noch mit Schrecken dran, wie ich auf dem Weg zum Lebensmittelladen den letzten Geldschein verloren habe, sehrsehr lange danach gesucht habe, natürlich nicht gefunden, meine Mutter mußte dann von der Nachbarin bißchen was leihen, damit wir wenigstens Brot kaufen konnten für die letzte Woche bis zum Gehalt) - und wir hatten rein vom Einkommen her auch nicht weniger als die anderen ringsrum, das hat im Normalfall für bescheidenes Leben gereicht, aber jede Zusatzausgabe wie die gestorbene Waschmaschine oder ein neues paar Schuhe, weil die alten kaputt waren, hat gleich ein großes Loch ins Budget gerissen.
    Insofern kann ich es ziemlich gut verstehen, wenn jemand auf H4 sagt, das Geld reicht nicht zum Leben. Es würde wahrscheinlich reichen, wenn nichts extra käme. Es kommt aber immer was (Elektrogeräte kaputt, NK-Nachzahlung, Zahnsanierung fällig und wenn man eh schon wenig hat, kann man auch nichts ansparen).
    Und es hilft einem nicht viel, wenn man vom Einkommen her zu dem reichsten Teil der Weltbevölkerung gehört, wenn die Lebenskosten in dem Weltteil, wo man wohnt, nun mal auch dementsprechend hoch sind. Mit H4 von hier könnte man in Usbekistan blendend leben, klar - aber was nützt das jemandem hier in D?


    Platzbedarf - wir hatten 3 Zimmer und hätten mindestens eins mehr gebraucht. Die qm-Zahl für für 3 Zimmer wahrscheinlich relativ durchschnittlich. Zwei Räume mehr wäre noch besser gewesen, da meine Schwester zusammen mit meiner Oma auch nur allermax. 10qm zur Verfügung hatte - zusammen, nicht jeweils.


    Wenn ich mich hier bei uns im Wohngebiet umgucke - nein, ich glaube wirklich nicht, daß man 160qm Wohnfläche für 2 Personen braucht, die dazu den ganzen Tag nicht zuhause sind. Aber ich bin echt froh, daß wir genügend Räume haben, so daß jeder von uns bei Bedarf einen Rückzugsraum hat. Müßten wir hier jeden Tag auf 60qm verbringen, würde ich wahrscheinlich irgendwannmal die Wände hochgehen. Und der persönliche Wohlfühlbedarf des Einzelnen ist sehr unterschiedlich....

    LG H. mit J. (volljährig) und S. (Teenie)

    • Offizieller Beitrag

    zum reichsten sechstel des planeten...


    ja. aber wenn du in einem land lebst, in dem eine billige wohnung schon zuviel kostet, dann spielt es keine rolle, wenn in den townships von südafrika das leben noch schlimmer ist und die leute dort das, was du in einem monat kriegst in einem jahr bekommen. denn du musst dir ja dann in d eine bleibe suchen, nicht in südafrika.


    #ja


    Genau!


    Und wenn dann an Dingen gespart werden muss, die das Kind MASSIV aus der Gesellschaft ausgrenzen (Schule, Zahnarzt...) und es ihm schwer machen werden, dieses familiäre Paket abzuschütteln, dann ist dieses Kind im hier und jetzt arm - und da ist es für dieses Kind unerheblich, dass andere Kinder gar nicht zur Schule gehen können.


    (Wobei ich ganz klar sagen muss: wir sind an unserem Wohnort unglaublich verwöhnt, gerade um beim Beispiel Schule zu bleiben: als "echte Schulausgaben" hatte ich in den vergangenen 3 Jahren (!!!) keine 50 Euro: 4-5 Paar Turnschlappen, die auch als Hausschuhe dienen und 3 Badekappen. Den Schulranzen habe ich nicht mitgezählt, weil ich den ja auch gebraucht billiger haben hätte können, zur Not - aber ALLES andere, Stifte, Hefte etc... übernimmt hier komplett die Schule! Das ist eine unglaubliche Erleichterung für Eltern mit schwachem Einkommen und eine wunderbare Methode, Herkunftsunterschiede gleich abzufedern - wir sind da sehr dankbar)


    Liebe Grüsse


    Talpa

  • Genau. Ich finde auch, man muss die Armut immer im Vergleich zur Gesellschaft sehen. Wenn alle gleich arm sind, ist es vermutlich leichter zu ertragen als wenn man arm ist und neben einem die reichen Nachbarn wohnen, die einen dann auch noch schief angucken und Vorwürfe machen etc. Und man kriegt ja auch dann zu hören: "Man darf sich kein Kind anschaffen, wenn es finanziell nicht total abgesichert ist etc.". Das macht es auch nicht besser. Gerade in den ganz armen Ländern sind sie ja nicht so kinderfeindlich wie hier. Und die Hilfsbereitschaft scheint auch höher zu sein, gerade innerhalb der Familie. Hier ist sie gleich Null. Das ist halt mit der Preis für größere Freiheit als in den armen Ländern...


    Talpa, das klingt bei Euch immer alles so toll, das würde in D niemals klappen. Da würden gleich die Stammtisch-Hyänen daherkommen und über die bösen Sozialschmarotzer herziehen... Das gäbe mehr Ärger als Gutes... :(

  • Ich glaube der Vergleich ist so, als würdest Du Mobbing mit Kinderprostitution vergleichen.


    Na klar wirkt Mobbing im Vergleich dazu wie nen Luxusproblemchen, aber es ist einfach mal psychische Qual und Verletzung! Und die Folgen können verheerend sein.


    Diese Wohlstandsgesellschaft hier bringt ganz andere Probleme mit sich. Es fängt beim Schulbesucht an - in einem anderen Land gehen Kinder gern zur Schule, sind froh, wenn sie die Chance bekommen, hier gibt es sogar eine Schulpflicht, die macht es aber nicht unbedingt besser. Ich würd mein Kind lieber an eine Schule wie in Hilfsgebieten schicken anstatt sie diesem Druck und Stress in vielen der heutigen Schulen auszusetzen. Vom Druck der Gesellschaft mal ganz abgesehen..


    Hinzu kommt einfach eine Bloßstellung, Ausgrenzung und Entwürdigung durch ALG2-Bezug. In der Schule sind nicht alle gleicharm und wenn, dann sind es meist soziale Brennpunkte, die sich noch mit ganz anderen Problemen rumschlagen.


    Diese Gesellschaft hier hat Regeln und, wenn wir Teil sein wollen, müssen wir mitspielen, ansonsten spüren wir den Gegendruck. Das für sich zu entscheiden, weil man kann, ist etwas anderes, als es leben zu müssen, weil man keine Wahl hat, weder für sich noch für seine Kinder.


    Es gibt ja nicht umsonst so dermaßen viele psychische und auch physische Erkrankungen in unserer reichen Gesellschaft.


    Ich denke, es ist auch mit der Punkt, dass einem das Lebensgefühl genommen wird. Warum ist wohl die Glotze ein Grundrecht? Es lässt einem wenigstens noch die Träume! Eigener Grund und Boden zB. ist in vielen armen Ländern normal, Nähe zur Natur, Gesang, Märchen, Abenteuer des Lebens.


    Hier versauern die Ungewollten in ihren grauen Blöcken und können wählen mal aufn Spielplatz zu gehen oder sich die schönen Autos auf der Straße zu betrachten. Will nen Kind auf nen Baum klettern, wird gleich mit Vermieter oder Polizei gedroht, wenn es der falsche ist. Es ist echt schwer ein Stück Natur zu ergattern, wenn man arm ist.


    Hat man sowas, muss man es natürlich abgeben, wenn man Hartzer wird. Man kann auch nicht einfach mal ein kleines Geschäft eröffnen, wie es in den armen Ländern zB. häufig möglich ist, weil man eben immer irgendwo Miete oder viele Steuern zahlen muss und die Bürokratie alleine schon für Depressionen sorgen kann.


    Das Leben in Deutschland ist einfach so wahnsinnig kompliziert. Zu kompliziert für viele Menschen, die einfach die Kraft nicht haben, das Wissen, die Hoffnung.


    ach ja, noch vergessen, weil Lemony grad was kluges schreibt: hier sind wir oft allein! Wieviele Großfamilien gibt es denn noch? in danderne Ländern ziehen Tanten und Onkeln, Omas und Opas die Kinder mit auf. Hier ist man als Mama und Papa allein auf sich gestellt und muss die Kinder in Sammelstellen abgeben, außerhalb der Familie. Wenn man dazu nicht bereit ist, bekommt man kein Geld mehr. Einfach mal so unterstützt werden darf man natürlich auch nicht!


    ich finde es immer wieder eine Häme, dass Alg2-Kinder keinerlei Geldgeschenke oder etwas, was nicht unbedingt nötig ist, geschenkt bekommen dürfen, ohne Abzüge, während aber ALLE Kinder ALLER Familien ganz unabhängig vom Einkommen fast in derselben höhe des Regelsatzes für ein kleines Kind Kindergeld erhalten! Das vergessen übrigens viele, die sich über sozialleistungsempfänger aufregen - sie erhalten selbst mindestens Kindergeld und dann aber auch noch teilweise mehr Elterngeld als ne ganze Familie ALG2 erhält, und das obwohl der Partner die Familie gut ernähren kann.

  • @ milbenfuß: Das hast du sehr schön geschrieben. Ich finde es auch immer doof, wenn den Armen hier auch noch ein schlechtes Gewissen gemacht wird, wenn sie sich über ihre Armut beklagen (oder wenn jemand mal die Lage ankreidet). So, als hätten sie nicht mal dazu noch das Recht... :|

  • Ich glaube schon, das Geld im weitesten Sinne "glücklich" macht. Einfach nur, weil KEIN Geld zu haben, um die Existenz zu kämpfen extrem belastend ist und schlaflos machen kann.
    Ein gutes Einkommen, das einem Kühlschrankfülle und bezahlte Rechnungen sichert, hat für mich Wohlfühlcharakter.


    Es ist jedoch statistisch erwiesen, dass die glücklichsten Menschen ca. 60.000 € Jahreseinkommen haben. Darüber hinaus macht ein "Mehr" nicht im prozentualen Verhältnis glücklicher. Da müsste Bill Gates ja dann ständig im Karrée hüppen #freu

    Too many assholes, not enough axes!

  • habe jetzt nur einige wenige beiträge gelesen.


    ich denke, der slogan, dass geld nicht glücklich macht, kommt aus personenkreisen, die reich sind und es auch gern bleiben möchten.
    man möge sich den volksaufstand vorstellen, wenn alle leute dahinterkämen, dass glück doch mit finanziellem wohlstand zusammenhängt und dass ungleichverteilung von reichtum kein naturgesetz ist (und ausserdem stetig zunimmt).

  • Ich auch. Das ist toll geschrieben. "Armut ist kein Naturgesetz". Genauso ist es. #top


    Und die Reichen werden immer reicher und die Armen ärmer. Dazu gibts ja auch Statistiken.

    • Offizieller Beitrag

    Lemony: ach, auch hier ist nicht alles Gold was glänzt. Der Bildungsstand der Eltern ist auch in der Schweiz der grösste Faktor für den Erfolg der Kinder... und es gibt ne Menge Dinge, die armen Familien das Leben schwer machen - teure Krankenkassen, Wohnungen, Nahrungsmittel...


    Aber Schule ist zumindest in unserer Stadt gut organisiert.


    Liebe Grüsse


    Talpa

  • talpa: ich konnte das ja viele jahre lang vergleichen und muss sagen, die gefühlte ungleichheit in deutschland ist sehr viel größer. in der schweiz habe ich mich selbst mit assistentenlohn an der (für schweizer verhältnisse!) armutsgrenze "reich" gefühlt, wir haben uns damals trotzdem tolle urlaube, eine schöne wohnung, essengehen, eine hochzeit in st. moritz etc. geleistet, hier in d. wäre das nicht möglich. absolut nicht.


    frag mich nicht, woran das liegt, aber die gefühlte ungerechtigkeit ist hier in deutschland um längen größer.
    für mich ist das schweizer modell ein echter hoffnungsträger in der welt.