Mein Großer hatte von Anfang an Probleme mit dem Essen. Er war ein (un)happy starver (er hat eine enorm hohe Schmerztoleranz und Hunger nimmt er nicht wahr, er äußert sich durch Agression und schlechte Laune, weshalb Zufüttern auch nicht half, weil das Kind einfach immer nur drei Schlucke trank... um 20 Minuten später wieder zu schreien).
Nun ja, an die (Pulver)milch hat er sich nach einem Jahr gewöhnt, nur gegessen hat er in homöpathischen Dosen. Homöopathisch im Sinne von: ein halbe Nudel, ein Biss in ein Hörnchen und einen Apfel zumindest mal angeguckt. So alle paar Tage hat er mal mehr gegessen. Versuche, die Milch einfach wegzulassen führten dazu, dass er auf die 3%Perzentile abrutschte. Also bekam er wieder die Flasche.
Nun ja, immer schön langsam aß er etwas mehr, mal eine ganze Kartoffel, mal 4 Nudeln. aber seine 600ml Milch hat er nach wie vor gebraucht. Ich habe ihn einfach gelassen seit er 3,5 Jahre alt war.
Der kleine kam und war ein Allesprobierer und Vielesser. Das hat mir viel meiner doch vorhandenen Schuldgefühle genommen. Am Verhalten des großen hat es rein gar nix geändert. (For the record: medizinisch war alles abgeklärt, alles in Ordnung)
Er hat auch im Kindergarten kaum gegessen mit den anderen Kindern zusammen. Ich habe ihm die abartigsten Sachen mitgegeben, weil eine gewisse Chance bestand, dass er davon etwas essen würde: harte Nudeln, kalte selbstgemachte Pommes, so was eben. Auch mit Süßkram konnte man ihn nicht wirklich locken. Bis er so 4,5 war, hat so eine Gummibärchentüte, die man in der Apotheke für's Kind bekommt 2 - 3 Tage gereicht. Und sie lag offen rum. Eine zeitlang hat er sich ausschließlich nahezu von gefrorener Minipizza ernährt.
Wir haben getricktst und gemacht, damit dem Jungen Essen zwischen die Kiemen schieben, ehe er agressiv wird.
Seit einem Jahr gab es ein paar Speisen, die er doch immer ganz gut gegessen hat, aber nur in spezieller Zubereitung. Und neues probieren? Ähm, nein. Der kleine hat mit einem Jahr mehr an fester Nahrung zu sich genommen als der damals 4jährige.
Im Februar, kurz vor seinem sechsten Geburtstag hat er die Flasche von heute auf morgen aufgegeben. Ganz ohne mein Zutun. An seinem Essverhalten hat sich nix geändert.
Vor sechs Wochen passierte dann folgendes:
*polterpolter* Kind stürmte die Treppe runter. Es war 17.00 Uhr: "Maaaaamaaaaaa! Ich will endlich Abendessen! Ich habe Huuuuunger!"
Ich: 8I 8I 8I Das waren Worte, dich ich noch nie aus seinem Munde gehört habe.
Kind:"Was gibt es überhaupt zu Essen?"
Ich:"Ich wollte Spaghetti mit Hackfleischsoße machen."
Kind:"Juhuu! Ist es schon fertig?"
Ich: "Äh, ich habe noch gar nicht angefangen"
Kind weinend:"Ich habe aber soooo Hunger!!"
Ich überprüfte zunächst anhand einiger Testfragen, ob ich das richtige Kind aus dem Kindergarten geholt hatte. Dann haben wir das Abendbrot dann eine Stunde vorgezogen und der Junge hat eine Monsterportion verdrückt.
Nächster Morgen:
Er: "Mama?"
Ich: "Ja?"
Er: "Was kochst du denn heute abend?"
Ich 8I : "Das habe ich noch nicht entschieden. Hast du einen Wunsch?"
Er: "Au ja, können wir mal wieder Eintopf machen?"
Ich: "klar!"
Nachmittags half er begeistert mit beim Kochen und aß noch viel begeisterter den Eintopf.
Und nu ist es fast jeden Tag so, dass das Kind spätestens um 17.00 Uhr sagt, es hätte so großen Hunger und sich auf das Essen freut. Er probiert Gerichte, die interessant aussehen und riechen, freiwillig. Er isst Massen. Und er ist seitdem viel ausgeglichener. Auch in den Kindergarten muss ich ihm jetzt viel mehr mitgeben. Der Junge isst Obst und Gemüse 8I! Viel! Er verlangt es sich. Er futtert Karotte und Paprika, inhaliert Kirschen und Erdbeeren. Auch Süßkram ist interessanter geworden, aber im Vergleich nur in Maßen.
Paradoxer Weise hat er nix zugenommen, sondern stattdessen einen noch viel größeren Bewegungsdrang (der war vorher schon nicht gerade klein). Und geistig arbeitet er auch viel mehr, seit er gut lesen kann. (Mir fällte gerade auf, dass der Durchbruch mit dem Essen zeitgleich mit dem vielen Lesen kam - ob da die Kalorien bleiben?) . Aber er bleibt gut gelaunt dabei.
Er muss nicht mehr akademisch eine Checkliste durchlaufen: Ich bin agressiv - bin ich müde? hungrig? sauer? (Das hat mit 4 Jahren auf dem Spielplatz zu Sätzen geführt:"Mama, ich will jetzt den xxx hauen, ich glaube ich muss jetzt etwas essen!". Er spürt es jetzt.
Ach, ich genieße es gerade. Und kochen macht wieder Spaß!