Sz Artikel zum Nationalsozialismus (Zeitzeuge)

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  • Liebe Raben,


    Im letzten Magazin der Sueddeutschen war ein Artikel von Lars Reichardt über seinen Stiefgrossvater, der während des NS Regimes schlimmes erlebt und nach dem Krieg darüber Zeugnis abgelegt hat. In dem Artikel geht es darum, dass das in der Familie totgeschwiegen wurde und erst zum Tageslicht kam, als andere einen langen Brief des Stiefgrossvaters in einem Nachlass fanden. Der Brief ging an Görings Anwalt, der um eine Einschätzung des Stiefgrossvaters gebeten hatte, ob es wirklich so schlimm gewesen wäre. Dieser hat das daraufhin auf acht Seiten dargelegt.


    Warnung: die Zitate aus dem Brief sind heftig. Mir geht der Artikel sehr nach. Ich möchte ihn aber trotzdem empfehlen, auch weil er zeigt, dass Verfolgung auch nach der Befreiung tiefe Narben hinterlassen kann.


    http://sz-magazin.sueddeutsche…in-Mann-mit-Vergangenheit


    Viele Grüße
    Annaclara

  • Auch mir geht der Artikel sehr nah. Danke fürs teilen.


    Ich habe ähnliches (wenn auch von der "anderen" Seite und somit doch nicht zu verlgeichen) erlebt bei uns in der Familie. Mein Opa war in sowjetischer Kriegsgefangenschaft. Auch er hat nie über das Erlebte geredet. Auch er hat nie mit uns gespielt. Meine einzige Erinnerung an ihn ist auch, wie ich ihm zur Begrüssung die Hand reichen musste um dann mit meiner Oma ins andere Zimmer zum spielen zu gehen. Durch meinen Vater weiss ich auch wie überfordert er mit seinen Kindern immer war. Ich weiss nicht b er mit meiner Oma darüber gesprochen hat, sie hat auch immer geschwiegen.


    Auch mein Opa ist schon lange tot und bald wird es gar keine Zeitzeugen mehr geben umso wichtiger finde ich solche Aufzeichnungen. Ich wundere mich ob auch wir eine ganz "falsche" Einschätzung von ihm haben bzw. wüsste gerne wie er vor dem Krieg als Mensch war.

    Liebe Grüße #sonne


    "I travel a lot; I hate having my life disrupted by routine." (C.S)

  • Ich bin sehr intensiv in dem Thema drin, hat mich als Kind schon interessiert und ich hab meinem Opa buchstäblich Löcher in den Bauch gefragt.
    Später hab ich für Jugendlichen AntiFa Seminar gemacht und im Zuge dessen sehr viele Zeitzeugen persönlich kennengelernt. Das waren immer prägende Erlebnisse. Und für unsere Jugendlichen von Wert und Nachhaltigkeit.
    Danke fürs verlinken!

  • Immer wieder unglaublich. Ganz abgesehen von dieser wahnsinnigen Vernichtungsmaschinerie (die mit NICHTS zu vergleichen ist) hat der Krieg auch noch viele, viele traumatisierte Soldaten und Familien hinterlassen.


    Mein Uropa war in der SPD und damit quasi seit 1933 arbeitslos (vorher Bahnbeamter), kurz sogar im KZ. Einer von seinen 3 Söhnen ist in Russland gefallen, der jüngste starb mit 15 bei einem Bombenangriff. Mein Opa musste in ein Himmelfahrtskommando nach Afrika, als dort eigentlich schon alles verloren war. Das war die Bedingung dafür, dass er als politisch Unzuverlässiger, überhaupt heiraten durfte (meine Oma war schon schwanger mit meiner Mutter).
    Er kam 1947 aus der Gefangenschaft, da war meine Mutter 4.
    Ich habe ihn auch als etwas kauzig in Erinnerung. Er war jedenfalls schwer traumatisiert, das ist sicher. Letztlich hat er sich auch das Leben genommen, wenige Jahre nachdem seine geliebte Frau gestorben ist.


    Der Uropa hat die Heimkehr des einzigen überlebenden Sohnes gar nicht mehr erlebt. Wahrscheinlich (es wurde nie drüber gesprochen) hat er sich auch das Leben genommen.


    Für meine Uroma war meine Mutter ihr Ein und Alles... Verständlicherweise.

  • krebbel, wie schrecklich ;(


    Ich durfte in einem Seminar einmal Zeitzeugen kennenlernen. Ein Erlebnis, das mich sehr berührt hat.
    Die Dozentin weinte einige Male während des Seminars, obwohl ich sie sonst als sehr kompetente und starke Frau kennengelernt habe. Aber auch nach Jahren der Arbeit mit den Zeitzeugen war sie oft tief betroffen und erschüttert, wenn sie das Erebte hörte.


    edit: ich weiß leider kaum etwas über die Kriegsvergangeheit meiner Großeltern. Manchmal ist Unwissen darüber auch Schutz. Ein mir naher Mensch wünschte er hätte nie von der Vergangenheit der Großvaters erfahren.
    Der erste Mann meiner Oma ist 2 Wochen vor der Geburt des ersten Kindes gefallen. Das hat sie so oft erzählt :(

  • Bezüglich des Holocausts muss ich auch sagen, dass es mich immer wieder entsetzt. Ich kann es einfach nicht verstehen, wie so etwas in dieser Konsequenz und Grausamkeit "passieren" konnte.


    Und was Krieg mit Familien anstellt, dass ist einfach furchtbar. Ich mag gar nicht an das denken, was in anderen Teilen der Welt gerade abgeht... ;(

  • Bei uns war es ähnlich: meine Großeltern sind/waren vermutlich alle schwer traumatisiert - die Eltern von meiner Mutter sind/waren es mit Sicherheit:


    Mein lieber Opi #kerze hat eigentlich nie darüber gesprochen, aber man hat es ihm deutlich angemerkt: hin und wieder konnte er sehr ulkig sein, Späßchen und Faxen machen - aber meistens nur für ein paar Momente, dann war er wieder sehr ernst und still. Es war wie eine Art Schranke, die plötzlich runtergegangen ist und ihn in seinem Trauma eingesperrt hat, so dass er plötzlich nicht mehr lachen konnte.
    Er war noch ganz jung gewesen, als er als Soldat nach Russland musste.
    Er hat nie darüber gesprochen, einige wenige Dinge hat er mal aufgeschrieben: von ständiger Todesangst, von Kugeln, die überall um ihn herum einschlagen, von blutjungen Soldaten - halben Kindern - die auf Himmelfahrtskommandos geschickt werden...


    Opis geliebter und bewunderter großer Bruder ist gleich gefallen nachdem er eingezogen worden war (direkt nach der Hochzeit und ohne Kinder zu hinterlassen - meine jüngste Tante war das "Trostkind" und "Ersatzkind" für meine Großtante) und hat eine Witwe hinterlassen, die bis zu ihrem Tod vor etwa acht Jahren nicht glauben konnte, dass ihr Mann tot ist.


    Gromu - Opis Frau - hatte den großen Feuersturm vor siebzig Jahren miterlebt. Hautnah und in allen entsetzlichen Einzelheiten. Von ihrem dicht besiedelten Arbeiterviertel standen hinterher nur noch ein Haus und die Kirche.
    Gromu hat tagelang auf einer Kirchenbank übernachtet und nicht gewusst, ob ihre Angehörigen noch leben oder auch verbrannt waren. Eine Tante wollte sie dann nach Dresden holen - aber Gromu wollte in ihrer Heimatstadt bleiben und ihre Ausbildung weitermachen (das hat ihr möglicherweise das Leben gerettet)...
    Und vorher und bis Kriegsende gab es auch noch den Albtraum der ständigen Bespitzelung, des nie-sicher-seins, der ständigen Gefahr: Uropa war in der Bekennenden Kirche aktiv, Uroma war Mitglied in der KPD (was sie allerdings nicht daran gehindert hat, außerdem in Uropas Kirche einzutreten). Und was passieren konnte, wusste Gromu spätestens, seit ihr Musiklehrer abgeholt worden war - verraten von seiner eigenen Frau.
    Gromu hat bis heute Albträume von dieser Zeit und kann nie Nachrichten über Kriege oder gar Geschichtsdokus sehen, weil dann sofort alles wieder hochkommt.



    Opa #kerze hat ganz gern vom Krieg erzählt - für uns Kinder aber nur die "harmloseren" Sachen, zum Beispiel als er bei einem russischen Metzger zur Zwangsarbeit eingeteilt worden war und die Frau des Metzgers (die selbst mehrere Söhne im Krieg hatte) Opa sofort unter ihre schützenden Fittiche genommen hatte - Opa war gerade mal achtzehn, aber war so klein und dünn, dass er kaum älter als vierzehn ausgesehen hat.
    Dann sollte Opa mal Prügel kriegen und die Frau hat zu ihrem Mann gesagt, "das mach ich allein mit ihm" und hat ihn ins Schlafzimmer gebracht, die Tür von innen verriegelt und dann mit dem Stock ein Kissen geprügelt, während Opa dazu gejammert und geschrieen hat.
    Später hat er dann aber auch von seiner Zeit im Gefangenenlager erzählt, von dem schrecklichen Hunger und der Latrine, die nur ein Balken über einem Loch war und wer zu schwach war um sich festzuhalten, ist da einfach drin verschwunden...
    Vom Krieg selbst... - das fällt mir jetzt erst auf, darüber hat er nie was gesagt.


    Oma war zu Kriegsbeginn etwa 11.
    Sie erzählt oft von ihrer liebevollen Mutti (der Vater, der ein strammer Nazi war, kommt in ihren Erzählungen nicht vor) und von ihren vielen Geschwistern, von den freundlichen Nachbarn und den Tieren die sie gehabt hatten... - aber die Geschichten haben immer immer und immer haargenau den gleichen Wortlaut, wie auswendig gelernt.
    Meine Tante hat mal vermutet, dass Oma unter diesen ganzen teilweise fast bullerbü-ähnlichen Geschichten das eigentliche Grauen, was sie erlebt hat, versteckt: die Tiefflieger, die sie und ihre kleine Schwester einmal auf dem Nachhauseweg beschossen haben, die Fliegerangriffe in einem selbstgegrabenen "Bunker", der eigentlich kaum mehr als ein Erdloch war, die Bomben auf ihr Elternhaus... - davon spricht sie nie: solche Sachen haben wir nur durch Zufall von ihrer älteren Schwester erfahren.

  • Da ist eine ganze Generation traumatisiert worden und sie mussten nach dem Krieg schlicht funktionieren, um zu überleben …


    Mein Großvater ist 1944 in Russland vermisst. Seine jüngste Tochter (meine Mutter) hat er nie kennengelernt und sie ihn nicht. Er soll als er einmal auf Fronturlaub war, zu meiner Oma gesagt haben, dass sie nur beten könnten, dass Hitler den Krieg verliert. Mehr ist nicht überliefert. Klar in den Feldpostbriefen wird er kaum was kritisches geschrieben haben und nach dem Krieg gab es ja keine Gelegenheit mehr.

  • Meine Großeltern (alle vor 1910 geboren) haben beide Kriege mitgemacht. ;(
    Oma ist mit ihren beiden Kindern während der Angriffe aus Schlesien geflohen. Meine Mutter kann noch heute nicht gut Sirenen ertragen. In meiner Kindheit gab es ja alle Nase lang Probealarme. :/
    Viel erzählt haben sie nicht, nur vom (über)leben auf dem Land, den Vertriebenen, die sie aufnehmen mussten oder die sie selbst waren.
    Meine Eltern haben den Krieg als Kinder erlebt, auch ihnen merkt man das noch an.

    LG
    Marion mit zwei Mädels 04/04 und 05/06

  • Ich finde es immer noch schwer zu fassen, wie viel da verdrängt wurde und wie man damit überleben kann. Diese Bullerbü-artigen Geschichten kenne ich von meiner Schwiegerfamilie und wehe das wird angezweifelt. Würde es ihnen besser gehen, wenn sie das Verdrängte hochkommen lassen? Könnte es heilen? Aber da ist eben auch diese Angst vor der Schuld (in unserem Fall nicht der persönlichen, dazu waren sie zu jung, aber eben die Angehörigen, die Leute im Dorf, als Deutscher allgemein);


    Ich kann dieses Unterdrückte manchmal nicht gut aushalten und es fällt mir dann schwer, als Zuhörer der xten Bullerbü-Geschichte herzuhalten. Ich habe auch schon nachgefragt, wie es ihnen mit dem einen oder anderen Erlebnis ging. Ob sie jemanden hatten, mit dem sie sprechen konnten. Da sind dann immer nur ratlose Gesichter.

    Viele Grüße
    Elena mit Mini1 (*2004) und Mini2 (*2006)

  • Danke für's Verlinken. Die Erinnerungen sind so wichtig, auch wenn ich das Geschehene niemals ganz fassen werden kann. Die Dimension des Grauens ist so unglaublich.


    Bei meiner Oma klingt die Kriegszeit auch wie ein einziger Abenteuerurlaub - Fakt ist aber, das sie mehrmals knapp dem Tod entkommen ist und viele ihrer Freudinnen hat sterben sehen.
    Aus meinem Opa bricht es ab und zu hervor, er kann nicht ganz so nahestehenden Personen leichter berichten (meinem Mann z.B.) Gelegentlich überwältigen ihn aber die Emotionen, besonders wenn er aus Alltagssituationen heraus erinnert wird - das war als Kind für mich schlecht auszuhalten, vor allem weil es nie vorhersehbar war.
    Ich weiss mit beiden Bewältigungsmechanismen nicht gut umzugehen, versuche aber intensiv zu zu hören, wenn sie denn Mal erzählen. Initiativ zu fragen traue ich mich bei meinem Opa nicht, weil es ihn so völlig aus der Bahn werfen kann. :(

  • Ach Leute... für Hartgesottene Interessierte empfehle ich "Gebranntes Kind sucht das Feuer" von Cordelia Edvardson. Das ist noch viel, viel schlimmer. Das ist das erste Buch, was mich wirklich verstehen lassen, hat, wie es war - nicht wissen, sondern verstehen. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich dieses Verständnis gebraucht habe.

  • Ach Leute... für Hartgesottene Interessierte empfehle ich "Gebranntes Kind sucht das Feuer" von Cordelia Edvardson. Das ist noch viel, viel schlimmer. Das ist das erste Buch, was mich wirklich verstehen lassen, hat, wie es war - nicht wissen, sondern verstehen. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich dieses Verständnis gebraucht habe.

    Das ist das von der Tochter von Elisabeth Langgässer, oder? Muss ich auch mal lesen...

  • Ja.


    Das Schlimmste an diesem Buch ist außer persönlichem - es ist nicht nur ihr widerfahren, sondern abertausenden nebendran auch. Man liest wirklich diese völlig seelenlose Maschinerie daraus. Das Gruseligste, was ich bisher je gelesen habe.