Patchworkfamilie und verschiedene Erziehungsansätze

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  • Hallo,


    ich habe eine Frage und hoffe mir hier Lösungsansätze zu finden. Ich selbst bin Mutter einer 8-jährigen Tochter und bin seit 1,5 Jahren mit meinen Freund zusammen. Dieser hat auch zwei Kinder, einen Jungen der 9 Jahre alt ist und ein 11-jähriges Mädchen. Seine Kinder sind im Wechsel bei der Mutter und beim Vater. Meine Tochter ist nur jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater. Wir leben nicht zusammen, verbringen aber sehr viel Zeit miteinander und die Kinder verstehen sich auch super untereinander.


    Nun zu meinem Problem: Mein Freund hat eine sehr freie Erziehungsweise. Ich dachte, dass ich schon frei erziehe, aber bei ihm gibt es sehr wenige Regeln oder Traditionen. Ich bringe einfach mal ein paar Beispiele: Wenn es dort Essen gibt ist es so, dass der Tisch nicht wirklich gedeckt wird, sondern irgendjemand ein paar Teller und Besteck in der Mitte des Tisches hinstellt. Es gibt nicht unbedingt immer so viel Stühle am Tisch, wie Personen die am Essen teilnehmen sollen. Alle kommen angerannt und nehmen sich, was sie brauchen. Dabei greift sein Sohn mit den Händen ins Essen und isst dann meist auch mit den Fingern. Die Hände werden dann am Pulli abgewischt, es sei denn man gibt ihm schnell genug eine Serviette. Hände waschen vor dem Essen oder danach gibt es schlichtweg nicht – bei allen drei Kindern.


    Eine andere Sache ist, dass sein Sohn immer mit Sachen ins Bett geht. Das hat den Vorteil, dass er sich morgens nicht wieder anziehen muss und Abends auch keine Vorbereitungen für das Ins-Bett-gehen treffen muss. Seine Klamotten selbst sind oft dreckig und zerrissen, ganz klar – er ist ein Junge und spielt und tobt. Es kann aber passieren, dass er ein und dieselben Klamotten über eine Woche trägt, Tag und Nacht. Meine Tochter fängt nun auch teilweise damit an und das ist der Punkt, an dem es mich stört. Ich habe sie jetzt gelassen, habe ihr aber auch erklärt, dass ich das nicht generell für eine gute Vorgehensweise halte, da man so den Dreck der Klamotten mit ins Bett trägt und zudem ein Schlafen in einer Jeans auch nicht so bequem ist.


    Die Wohnung meines Freundes ist insgesamt recht zweckmäßig eingerichtet und in meinen Augen geht da niemand wirklich gut mit den Dingen um. Ich selbst lege viel Wert auf Einrichtung und möchte, dass Möbel lange halten. Dabei meine ich nicht, dass ich wirklich super ordentlich bin, oder dass man nicht auch mal ein Bett zum Hüpfen nutzen kann. Ich möchte aber, dass die Kinder lernen, dass Dinge einen Wert haben – nicht unbedingt nur materiell. Und dass, wenn man Dinge pflegt, man auch lange daran Freude hat.


    Ich habe gedacht, dass ich ganz vieles von der Erziehungsweise meines Freundes lernen kann und dass viele Dinge die gesellschaftlich begründet sind, nicht unbedingt wahr sind. Ich merke aber immer wieder, dass mich genannte Dinge stören. Wenn ich versuche das anzusprechen, gibt es keine wirkliche Diskussion, denn mein Freund denkt, dass seine Erziehungsmethode die richtige ist.


    Wie kann ich o.g. Dinge so verändern, dass alle Beteiligten damit gut umgehen können? Wie kann ich selbst lernen, gelassener zu sein und wie kann ich Werte vermitteln?


    Ich habe – besonders bei seinem Sohn – nicht das Gefühl, dass er schon wahrnimmt, wie er nach außen wirkt. Wann setzt eine solche Wahrnehmung ein? Sollte ich einfach Geduld haben und Abwarten?


    Liebe Grüße und vielen Dank.

  • Liebe Majasr,


    Das klingt jetzt erst einmal nicht ganz einfach.


    Im Grunde finde ich es gut und richtig, dass jede Familie für sich ihre eigenen Regeln aufstellt, mit denen alle Beteiligten klar kommen.
    Insofern gibt es zunächst einmal keinen Grund, die Regeln, die Dein Freund für sein Familienleben aufgestellt hat, anzuzweifeln oder verändern zu wollen.


    Nun ist es aber so, dass Deine Familie – Du und Deine Tochter – zur Familie Deines Freundes dazu gestoßen sind.
    Und es gilt hier nun, die Regeln wieder so anzupassen, dass wiederum alle Beteiligten mit diesen Strukturen gut leben können.
    Dies schließt nun aber Dich und Deine Tochter mit ein.
    Und ganz offensichtlich geht es Dir mit bestimmten Regeln eben nicht gut.


    Umgekehrt empfindet Dein Freund anscheinend Deine Regeln als zu streng oder als zu einschränkend. Wäre dies nicht der Fall, wäre es ja kein Problem, seine Familienregeln den Deinen etwas anzupassen.


    Wie findet ihr nun zusammen?


    Ich denke, zunächst einmal ist es wichtig, dass ihr dem anderen ganz klar macht, wo eure Grenzen liegen. Und zwar möglichst die Maximalgrenze.


    Also nicht:
    „Ich will, dass die Kinder abends einen Schlafanzug anziehen, sich vorher waschen, ihre Zähne putzen, die Sachen nach Schmutzwäsche und „Kann-man-noch-anziehen“ sortieren und entsprechend wegräumen“
    sondern


    „Ich möchte, dass die Kinder abends Schlafanzüge anziehen und die Zähne putzen.“


    Oder, um von Deinem Freund auszugehen:


    Nicht:
    „Ich möchte nicht, dass die Kinder alle zur selben Zeit am Tisch sein müssen, Besteck benutzen müssen, die Hände an der Serviette abwischen, warten bis alle aufgegessen haben und danach beim Tischabräumen helfen“,
    sondern


    „Ich möchte nicht, dass meine Kinder dazu gezwungen werden, am Tisch zu sitzen bis alle fertig sind. Und ich finde auch nicht, dass sie danach noch mit Abräumen müssen.“


    Verstehst Du, worum es mir geht?


    Wo könnt ihr euch in der Mitte treffen und dabei möglichst eure Werte und Vorstellungen von Erziehung nebeneinander und gleichwertig aufrecht erhalten?


    Ich gebe allerdings zu, dass ich die von Dir beschriebenen Beispiele tatsächlich eher grenzwertig finde. Für mich geht das zu sehr in eine bereits etwas vernachlässigende Richtung.


    Abgesehen davon, dass es für Kinder durchaus wichtig sein kann, beispielsweise gemeinsame „Treffpunkte“ am Tag zu haben und entsprechend gemeinsam zu essen, sind bei den von Dir genannten Punkten so einige dabei, bei denen ich mir vorstellen könnte, dass es eben nicht nur Dir unangenehm auffällt.


    Ein Kind, dass eine Woche lang in denselben Kleidern herumläuft, das beginnt zu riechen.
    Erst recht, wenn es sich dabei nicht mehr um Dreijährige, sondern um Jugendliche handelt.


    Ein elfjähriger Junge, der beim Essen kein Besteck benutzt, sondern direkt in den Teller greift und sich die schmutzigen Finger am Pullover abwischt, der bekommt das für sein Alter nicht wirklich angemessen hin.
    Und die Verwunderung und auch die Ablehnung darüber wird er auch von anderen Menschen als Dir ob seines Verhaltens erfahren müssen.


    Nun kann man sagen „Was scheren mich die anderen“, ist es nicht wichtig, man selbst zu sein und über der Meinung anderer zu stehen?


    Das ist wichtig, und das gehört zum Ausbilden eines gesunden Selbstwertgefühls unbedingt dazu.


    Der Mensch ist aber kein kompletter Einzelgänger, sondern eher ein geselliges Wesen, und entsprechend gehört es eben auch dazu, die Regeln der Gesellschaft, in der man lebt, zu erkennen und im Zweifelsfall auch befolgen zu können.


    Deshalb auch meine Frage:
    Verhalten sich die Kinder Deines Freundes im Umgang mit anderen Menschen genau so?
    Falls ja, so denke ich nicht, dass Du gelassener werden solltest, sondern meinem Gefühl nach sollte Dein Freund einmal sehr genau hinschauen, ob er seinen Kindern durch seine Erziehung beide Fertigkeiten vermittelt. Es sollte sowohl: „“Was will ich, und ich bin in Ordnung, so wie ich bin“, als auch: „Was brauchen andere, um sich wohl zu fühlen, und was kann ich dafür tun, dass ich in eine Gruppe hineinfinde?“ vorhanden sein.


    Wenn Dein Freund dies strikt ablehnt, dann würde ich an Deiner Stelle versuchen, mit der von mir eingangs vorgeschlagenen Methode einen Mittelweg zu finden, der zumindest dann beschritten wird, wenn eure beiden Familien zusammenkommen.


    Ich denke, dass die Kinder Deines Freundes vom (Vor)Leben Deiner Regeln mindestens genau so viel profitieren können, wie Deine Tochter von der „Man muss auch nicht alles so eng sehen“-Haltung.


    Im optimalen Fall gelingt es euch, euch wunderbar zu ergänzen. :)


    Viel Erfolg wünsche ich Dir.