Die schönste Liebeserklärung an Eltern, die ich je gesehen habe...

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  • ich bin bei merin. diese zeilen aus dem refrain sind es vor allem für mich, die es schrecklich machen:


    aber wenn sie erst 19 ist, ist sie wohl erst mitten in der abnabelung.


    Geht mir genauso. Ich finde allerdings, für ihre 19 Jahre kann sie sehr gut mit Worten umgehen und ich finde sie als Person ganz hinreißend, diesen Text allerdings auch...ein bißche Naja...es fällt mir schwer das in Worte zu fassen...mir geht es da ähnlich wie Merin...


    Kiwi

  • Ich verstehe das mit Mund und Herz so, dass sie sich auf die Ähnlichkeit bezieht. Also das Lachen ihres Vaters hat z.B. :)


    Genau so verstehe ich es auch, dass sie aus einem Holz geschnitzt sind, wie man hier sagt. Und auch eine kleine Anspielung auf die familiäre Prägung der wir alle unterliegen.

    Fairy tales are more than true: not because they tell us that dragons exist, but because they tell us that dragons can be beaten.

    Neil Gaiman

  • Ich finde es ein bisschen arg weit her geholt, ihr aufgrund eines Gedichts zu unterstellen sie könne sich nicht von ihren Eltern lösen. Ich meine, ihr kennt diese Person doch gar nicht. Ich kann jedes Wort unterschreiben und stehe trotzdem schon lange auf eigenen Füßen.


    Poesie ist in vielen Fällen ja auch ein Stück weit Überzeichnung und "Übertreibung", gerade wenn man solche Emotionen in einem Gedicht ausdrücken will.


    Mich stimmt es sehr nachdenklich, dass man oft, so gesellschaftlich betrachtet, schief angesehen wird, wenn man sagt das man seine Eltern liebt und zufrieden und im Reinen damit ist, wie sie einen aufgezogen haben. So als würde erwartet werden, dass man eine problembelastete Beziehung zu ihnen hat.

    Schatten löschen die Sonne nicht aus.
    (Franz Kafka)

  • Mich stimmt es sehr nachdenklich, dass man oft, so gesellschaftlich betrachtet, schief angesehen wird, wenn man sagt das man seine Eltern liebt und zufrieden und im Reinen damit ist, wie sie einen aufgezogen haben. So als würde erwartet werden, dass man eine problembelastete Beziehung zu ihnen hat.


    Das stimmt allerdings. Mein Eindruck ist leider auch, dass es eher normal ist, mit den eigenen Eltern zu "brechen" bzw. als Erwachsener ein distanziertes Verhältnis zu ihnen zu pflegen und seine Eltern auch für vieles, was sie in der Vergangenheit gemacht haben (ihre Werte, ihr Erziehungsstil, ihre Art zu leben, ihr Konsumverhalten, ihre Ansichten, ...) zu kritisieren. Das gehört schon fast zum guten Ton, könnte man meinen. Im Prinzip entspricht das dem Lauf der Geschichte, dass die nachfolgenden Generationen es scheinbar immer besser wissen als die Alten. "Erwachsen werden" bedeutet für viele Menschen: "Ich mache es auf jeden Fall anders als meine Eltern!". Und nicht wenige schleppen sogar traumatische Erlebnisse aus ihrer Kindheit mit sich rum, machen den Eltern (oft ja sogar zurecht) den Vorwurf, sie hätten ihnen geschadet.


    Und wenn uns dann mal ein Mensch begegnet, der noch als Erwachsener behauptet, mit seinen Eltern im Einklang zu stehen, der von einer liebevollen Kindheit spricht und seinen Eltern vielleicht sogar bewusst in einigen Dingen nacheifert, statt sich abzugrenzen, dann interpretieren wir gleich ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis oder schütteln zumindest verständnislos den Kopf.


    Das, was eigentlich erstrebenswert sein sollte, wird von uns als unrealistisch und nicht erreichbar eingestuft.


    So auch meine Schwester vor kurzem: Wir beide haben zauberhafte Töchter, sie im Doppelpack (1,5 und 4 Jahre alt), ich eine Solistin (6), und beide haben wir aktuell ein ausgesprochen liebevolles und inniges Verhältnis zu unseren Kindern. Aber schon heute prognostiziert meine Schwester, dass sich dieses Verhältnis in der Pubertät quasi "zwangsläufig" ins Gegenteil verkehren wird, dass meine eigentlich so zufriedenen, kooperative, tolle Tochter (die augenscheinlich auch keinerlei Grund hat, gegen uns zu rebellieren, weil wir sie sein lassen wie sie ist) unbedingt und auf jeden Fall ihren Eltern die kalte Schulter zeigen, patzige Antworten geben und falsche Entscheidungen treffen wird. Und dabei meint meine Schwester das ganze Register von Drogenhändlern an der Schule, Zigaretten im Hinterhof, falschen Freunden und zu frühem Sex. Und die letzte, die davon erfährt, ist Mama. Weil Mama ungefähr ab 12 / 13 Jahren zu den "Uncoolen" zählt, die man auf jeden Fall aus dem eigenen Leben raushalten muss.


    Wenn ich dann entgegne, dass ich mir das bei meiner Tochter eigentlich nicht vorstellen kann, dass die Karriere eines Teenagers schließlich nicht zwangsläufig so verlaufen muss und die Eltern durchaus einen nicht unerheblichen Einfluss auch auf das spätere Verhältnis zu ihrem dann pubertierenden Kind haben, dass das eine Frage von Vertrauen, Respekt und gesunder Bindung ist und ich sogar entsprechende positive Beispiele kenne, dann verhöhnt sie mich nur als "naiv" und kontert mit dem Hinweis, ich würde mich "schon noch umgucken". Sprich: Sie ist die Realistin, die sich vorsichtshalber schon mal auf die Eskalation und Abnabelung in der Pubertät eingestellt hat und diese auch als notwendig, gesund oder gar wünschenswert erachtet, und Mütter wie ich, die ein respektvolles und liebevolles Verhältnis auch zu den später mal erwachsenen Kindern anstreben, sind egoistisch, naiv, blauäugig und können nicht loslassen.


    Man könnte fast meinen, nur ein Kind, dass seine Eltern kritisiert oder gar verachtet, hat es geschafft, sich vollständig von ihnen zu lösen und kann ein freies, eigenständiges, selbstbestimmtes Leben führen. Es ist also zwingend notwendig, Scherben in der Beziehung zu hinterlassen, wenn man erwachsen werden will.


    Ist das so? Ist das wirklich ein stilles, ungeschriebenes Gesetz, dass Eigenständigkeit nur durch emotionale Abgrenzung möglich ist?
    Ich bezweifle das und empfinde diese Denkweise nicht nur erschreckend, sondern sogar gefährlich.


    Ein bisschen hat das was von einer "sich selbst erfüllenden Prophezeiung", dass alles das, woran ich glaube, womit ich schon im Vorfeld fest rechne, genau deshalb letztlich auch eintreffen wird. Wenn ich also schon zu Beginn davon ausgehe, dass ein Vorhaben misslingen wird, dann wird es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich misslingen. Und ich fühle mich dann in meiner Prognose bestätigt.


    Ich weiß nicht, wie ich das besser ausdrücken soll - ich glaube, wir neigen dazu, unseren Kindern (oder generell unseren Mitmenschen) bestimmte, meist negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zu unterstellen. Wir rechnen also schon damit, dass in unserer Beziehung irgendwas schief gehen wird, dass unsere Kinder irgendein unerwünschtes Verhalten zeigen werden, und nennen das "Erfahrung", auch wenn wir diese "Erfahrungen" mit ganz anderen Personen gemacht haben oder - schlimmer noch - es gar nicht unsere eigenen Erfahrungen sind, sondern wir uns nur auf "Hörensagen" berufen. Jeder glaubt zu wissen, dass Kinder stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und ihre Eltern nur manipulieren wollen (siehe: Warum unsere Kinder zu Tyrannen werden). Jeder glaubt zu wissen, dass Kinder in der Pubertät zickig, respektlos und unvernünftig werden. Und je mehr Eindrücke wir von außen (aus anderen Familien, Beobachtungen auf der Strasse oder aus den Medien) bekommen, desto mehr beeinflusst das unsere Sicht auf unsere eigenen Kinder, unsere Meinung darüber, wie Kinder (oder Menschen im Allgemeinen) vermeintlich sind. Eigentlich die klassische Entstehung von Vorurteilen. Nur dass wir oft gar nicht bemerken, wie sehr wir von Vorurteilen statt von vermeintlichen "Tatsachen" beeinflusst werden.


    Bei genauerer Betrachtung erziehen viele Eltern (die meisten???) ihre Kinder aufgrund von Vorurteilen, und übersehen dabei, dass sie ihrem eigenen Kind damit eigentlich völlig Unrecht tun. Und wenn das Kind gegen diese "nicht passende Erziehung" und die vorverurteilenden Ansichten der Eltern versucht zu rebellieren, fühlen sich die Eltern in ihrer Vorstellung vom Kind sogar noch bestätigt.


    Ein anderes Beispiel: Wenn ein Kind als "schwarzes Schaf" der Familie eingestuft wird, oder als "Problemkind", dann wird es auch genau die Verhaltensweisen annehmen, die ihm unterstellt werden. Wenn man schon immer damit rechnet, dass ein Kind besonders "schusselig" ist, werden diesem Kind erst recht besonders viele Missgeschicke passieren. Es erfüllt die ihm zugedachte Rolle, die Erwartungen, die - bewusst oder unbewusst - an es gestellt werden.


    (Diese Problematik von Einfluss und Wirkung wird übrigens auch in dem Buch "Smart Love" behandelt und wie ich finde sehr gut erklärt.)


    So halte ich es auch für ein Vorurteil und keineswegs für eine "Tatsache", dass die emotionale Abnabelung von den eigenen Eltern normal oder gar notwendig ist, um selbständig zu werden. Auch wenn das bei vielen Menschen leider der Fall ist ...


    (Ok, das war jetzt seeehr weit abgeschweift ... *sorry*)

    Es gibt nichts das höher, stärker,
    gesünder und nützlicher für das Leben ist,
    als eine gute Erinnerung aus der Kindheit.

    - Fjodor M. Dostojewskij -

  • Manna: Das hast Du sehr schön geschrieben. So empfinde ich das auch.


    Ich hatte schon immer ein sehr gutes Verhältnis mit meinen Eltern, besonders mit meinem Vater.
    Mit 16 war ich psychologischer Behandlung. Da wurde mir ein "Vaterkomplex" diagnostiziert, weil ich in dem Alter noch ab und zu mit meinen Eltern im Bett gekuschelt und gekabbelt habe 8I .


    Als meine Mutter schwerkrank war - ich war 18 (also ähnlich alt wie die junge Dame), war ich mal für eine Woche verreist. Ungefähr Mitte der Woche habe ich innerlich gewusst, dass sie nicht mehr lebt - "mein Herz schlägt Deinen Rhythmus". Ich bin überhaupt nicht esoterisch oder sonstwie gläubig, aber ab diesem Moment habe ich nicht mehr zu Hause angerufen und wollte auch nicht wieder nach Hause fahren, weil ich wusste, was mich erwartet. Und es hat wirklich gestimmt, dass sie genau an diesem Tag gestorben ist.


    Ich habe übrigens noch 5 weitere Jahre mit meinem Vater zusammengelebt. Wir haben einen gemeinsamen Haushalt geführt, zusammen Urlaub gemacht ... Es hat alles gut gepasst, ich war für ihn da und er war für mich da. Trotzdem haben wir jeweils für uns eine Beziehung aufgebaut. Im Anschluss sind wir beide mit unseren (neuen) Partnern zusammengezogen, total problemlos. Soviel zum Thema "nicht lösen können". Das ist doch Quatsch. Übrigens bestehen genau diese Partnerschaften heute noch genauso wie damals vor mehr als 15 Jahren.


    Die sehr enge Beziehung zu meinem Vater (mein "Vaterkomplex" :D ) hat mir sicher mein Leben nach dem Tod meiner Mutter sehr erleichtert. Und ich bin so froh, dass wir diese schwere Zeit so gut gemeinsam gemeistert haben.
    Und auch wenn wir nun seit vielen Jahren eigene Wege gehen und uns nicht mehr so häufig sehen, bleibt diese innere Band doch bestehen. Und es fällt mir deshalb auch schwer zu sehen, wie er "alt" wird. Er wird mir sicher sehr fehlen, wenn er eines Tages nicht mehr da ist, auch wenn ich ihn schon lange nicht mehr "brauche".

  • Man könnte fast meinen, nur ein Kind, dass seine Eltern kritisiert oder gar verachtet, hat es geschafft, sich vollständig von ihnen zu lösen und kann ein freies, eigenständiges, selbstbestimmtes Leben führen. Es ist also zwingend notwendig, Scherben in der Beziehung zu hinterlassen, wenn man erwachsen werden will.


    Nein Manna...dass finde ich muss ganz und gar nicht sein, ich habe auch nie mit meinen Eltern gebrochen und pflege ein sehr liebevolles Verhältnis zu Ihnen.
    Allerdings finde ich durchaus, dass es zu Abnabelungsprozess gehört sich ein bißchen emotional von der Dauerpräsenz der Eltern zu lösen. So sehr ich meine Mutter liebe so wenig habe ich sie vermisst wenn ich schlafen gegangen bin mit 19/20 und auch später. Ja, wenn es mir dreckig ging, dann saß ich schnell wieder auf Mamas Schoß aber ich wusste, sie sind da...nicht dauerpräsent aber da wenn ich sie brauche.
    Auch meine eltern , ihre Entscheidungen und ihren Lebensplan kritisch zu hinterfragen hat zumindest bei mir, zum Abnabelungsprozeß dazu gehört, dass ich im Nachhinein (vor allem jetzt wo ich Kinder habe) wieder viele Dinge ähnlich oder genauso handhabe wie meine Eltern ist eine ganz andere sache, aber hej, mit 19...da wollte (zumindest ich) in die weite Welt, da wollte ich weg, andere Wege gehen...
    Ich finde es fast unerheblich, ob und in wie weit oder auf welche Art sich die Autorin des Textes bereits abgebabelt hat oder noch dabei ist (das ist denke ich auch ein ganz individueller Prozess) und ich finde wirklich, dass sie mit Worten umgehen kann, aber ich empfinde den text in Passagen als deutlich zu kitschig und kann, wenn ich mich in das Alter hineinversetze nicht viel damit anfangen, weil ich gerade in dem Alter sooooo ganz anders war und dennoch ein gutes verhältnis zu meinen Eltern (besonders zu meinem Vater) hatte.


    Was den Abnabelungsprozeß meiner Töchter angeht und mögliche Entgleisungen in der Pubertät, darüber mache ich mir Gedanken wenn es soweit ist.


    Eines allerdings Manna, gefällt mir nicht gut an deiner Antwort (vielleicht missinterpretiere ich aber auch und das ist dieser Satz (Hervorhebung von mir).


    Zitat

    Aber schon heute prognostiziert meine Schwester, dass sich dieses Verhältnis in der Pubertät quasi "zwangsläufig" ins Gegenteil verkehren wird, dass meine eigentlich so zufriedenen, kooperative, tolle Tochter [b](die augenscheinlich auch keinerlei Grund hat, gegen uns zu rebellieren, weil wir sie sein lassen wie sie ist) [/b]unbedingt und auf jeden Fall ihren Eltern die kalte Schulter zeigen, patzige Antworten geben und falsche Entscheidungen treffen wird

    .


    Das halte ich für eine Interpretation die ein Schlag ins Gesicht derer ist, deren Kinder in der Pubertät revoltieren...es revoltieren nicht nur diejenigen Kinder die von ihren Eltern nicht so gelassen werden wie sie sind.


    Was die restlichen Prognosen deiner Schwester angeht...hej, die Zeit wirds zeigen, ich halte nicht viel sich über "ungelegte Eier" einen Kopf zu machen und glaube auch nicht das die Pubertät zwangsläufig mit "Scherben" einhergehen muss wenngleich aber "kann".


    Kiwi

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  • Ich finde es ein bisschen arg weit her geholt, ihr aufgrund eines Gedichts zu unterstellen sie könne sich nicht von ihren Eltern lösen. Ich meine, ihr kennt diese Person doch gar nicht. Ich kann jedes Wort unterschreiben und stehe trotzdem schon lange auf eigenen Füßen.


    Poesie ist in vielen Fällen ja auch ein Stück weit Überzeichnung und "Übertreibung", gerade wenn man solche Emotionen in einem Gedicht ausdrücken will.


    Mich stimmt es sehr nachdenklich, dass man oft, so gesellschaftlich betrachtet, schief angesehen wird, wenn man sagt das man seine Eltern liebt und zufrieden und im Reinen damit ist, wie sie einen aufgezogen haben. So als würde erwartet werden, dass man eine problembelastete Beziehung zu ihnen hat.


    Ich finde das eine arg pauschale Interpretation meiner Aussage. Ich bezog mich auf diesen einen Text, den Rest kenne ich doch nicht (bzw. nur andere Texte, nicht die Autorin).


    Was Deine letzet Aussage angeht kann ich nur sagen, dass ich immer skeptisch bin, wenn jemand eine Beziehung zu einer Person als rein positiv betrachtet. Weil es rein positive Beziehungen ja nicht gibt. Insofern würde ich, wenn jemand zu mir sagt "ich liebe meine Eltern und ich bin zufrieden und im Reinen damit, wie sie mich aufgezogen haben" tatsächlich skeptisch sein, auch wenn ich das wahrscheinlich nicht äußern würde. Ähnlich skeptisch wäre ich auch, wenn jemand sagen würde "meine Eltern sind totale Arschlöcher und haben nur Scheiße gebaut". Weil beides keine realistischen Aussagen sind. Realistisch wäre etwas wie "Ich liebe meine Eltern, auch wenn sie natürlich manche schwierigen Seiten haben".


    Und wenn uns dann mal ein Mensch begegnet, der noch als Erwachsener behauptet, mit seinen Eltern im Einklang zu stehen, der von einer liebevollen Kindheit spricht und seinen Eltern vielleicht sogar bewusst in einigen Dingen nacheifert, statt sich abzugrenzen, dann interpretieren wir gleich ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis oder schütteln zumindest verständnislos den Kopf


    Siehe oben. Meine Erfahrung ist nur leider, dass die Menschen, die betonen, wie liebevoll ihre Kindheit war, meist am wenigsten Liebe bekommen haben. Die, die wirklich liebevoll aufgewachsen sind, trauen sich, auch die Schwächen ihrer Eltern zu benennen - weil sie wissen, dass das dem Guten keinen Abbruch tut.


    Man könnte fast meinen, nur ein Kind, dass seine Eltern kritisiert oder gar verachtet, hat es geschafft, sich vollständig von ihnen zu lösen und kann ein freies, eigenständiges, selbstbestimmtes Leben führen. Es ist also zwingend notwendig, Scherben in der Beziehung zu hinterlassen, wenn man erwachsen werden will.


    Ist das so? Ist das wirklich ein stilles, ungeschriebenes Gesetz, dass Eigenständigkeit nur durch emotionale Abgrenzung möglich ist?
    Ich bezweifle das und empfinde diese Denkweise nicht nur erschreckend, sondern sogar gefährlich.


    Nein, es ist natürlich nicht so. Also meiner Meinung nach nicht. Mir fehlen bei Deiner Betrachtung die Graustufen, ähnlich wie bei Eulenfeder. Als gebe es nur "super Beziehung" und "Kontaktabbruch". Aber was ist denn mit all dem Dazwischen, was unseren normalen Alltag ausmacht?

  • Muss hinter jedem "Ich liebe dich" immer ein ",aber" oder ",trotz das..." folgen, nur damit bloß nicht der Verdacht aufkommt man würde den anderen idealisieren oder sich etwas vormachen?


    Natürlich bin ich mir der Schwächen und Fehler meiner Eltern bewusst, aber sie stehen nicht immer mit im Vordergrund und so sehe ich auch dieses Gedicht: Als kompakte Sammlung all der schönen Gefühle die sie für ihre Eltern empfindet, was nicht bedeutet, dass sie sich der weniger guten Seiten ihrer Eltern nicht bewusst ist.


    Ich bleibe dabei, ich bin zufrieden und im Reinen damit, wie ich aufgezogen wurde. Was nicht heißt das ich keine Konflikte mit meinen Eltern ausgetragen habe oder immer alles friede-freude-eierkuchen war. Sicher haben wir uns gestritten, über Süßigkeiten, den Einkauf von Spielzeug und Bettgehzeiten, später darüber ob man mit 13 schon in die Disko darf, wieviel Taschengeld angemessen ist, wer den Müll rausträgt und ob es wirklich notwendig ist regelmäßig die Schule zu besuchen. Das klingt jetzt alles sehr banal, aber damals waren diese Themen für mich von imenser Wichtigkeit und ich fühlte mich auch mal ungerecht behandelt und unverstanden.


    Um es auf den Punkt zu bringen: Meine Eltern haben sicher nicht alles "richtig" gemacht, aber sie haben nichts so sehr falsch gemacht, dass es mich Heute als Erwachsene noch belastet und nichts von all dem was sie taten oder sagten war so "schlimm", dass es meine grundlegend positive Einstellung ihnen gegenüber trübt.


    Zitat

    Meine Erfahrung ist nur leider, dass die Menschen, die betonen, wie liebevoll ihre Kindheit war, meist am wenigsten Liebe bekommen haben.


    Wenn das deine Erfahrungen sind, finde ich das sehr schade. Ich empfinde diesen Satz allerdings als genauso vorurteilsbehaftet und pauschalisierend wie solche Aussagen, dass man Säuglinge auch mal schreien lassen muss, weil die einen sonst auf der Nase herum tanzen, dass Kinder bis ins Erwachsenenalter nicht aus dem Familienbett ausziehen und das Babys ab ein paar Monaten von Muttermilch nicht mehr optimal versorgt werden.


    Und ich möchte noch mal betonen, dass es sich um ein Gedicht handelt. Ich empfinde Poesie einerseits als sehr minimalistisch, weil man mit so wenigen Sätzen auskommen muss und denke dewegen, dass Poesie auch ein Stück von Übertreibungen, Überzeichen und blumiger Wortwahl lebt, um dem was man sagen möchte möglichst viel Ausdruck verleihen.

    Schatten löschen die Sonne nicht aus.
    (Franz Kafka)

  • Eulenfeder, Slam-Poetry ist schon eine sehr spezielle literarische Form, bei der es meines Erachtens nicht so sehr um Verdichtung geht. Für mich ist aber der wesentliche Unterschied der, dass es kein "Ich liebe Dich" ist, sondern ein "Ich sag es Euch allen, ich liebe die da!". Aber das ist ja einfach Geschmack, ob man sowas mag oder nicht. Und was für Gefühle und Gedanken das auslöst ist auch verschieden. Da kann "ich finde das ganz toll" für mich sehr wohl neben "da wird mir mulmig im Bauch" stehen bleiben. Beides ist genauso richtig und wahr.


    Meine Erfahrung als Pauschalisierung abzutun finde ich dreist. Und sie gleichzusetzen mit "man muss Babys auch mal schreien lassen" ist schlicht eine Lüge. Denn ich habe nicht geschrieben "alle, die betonen, ihre Kindheit war schön, lügen" und ich wünsche auch nicht, so interpretiert zu werden.

  • Ich habe ja zu Beginn des threads schon kurz geschrieben, dass ich das gepostete Video gut fand.


    Eigentlich meinte ich damit, dass es mich berührt hat, sowohl der Text, als auch die Vortragsweise. Sicherlich war es nicht perfekt vorgetragen, vielleicht ist die junge Frau noch nicht auf dem bewusstesten Stand, was die Beziehung zu ihren Eltern angeht. Für mein positiv-berührt-sein spielte das gar keine Rolle und ich hatte nicht das Bedürfnis, die Performance zu analysieren, sondern war einfach nur angetan von ihrem Mut, sich so auszudrücken, wie sie es getan hat, obwohl sie genau damit rechnen muss, dass das alles hinterher analysiert und bewertet wird, weil es eben das eine oder andere bei den Leuten auslöst. Mit 19. Finde ich einfach WOW! (Ich hätte mich das nie getraut in dem Alter und meine Gedanken und Gefühle auch nicht so klar gehabt.

  • Wie sähe denn eine "gesunde" Weise aus, von der Liebe zu den Eltern zu reden, wenn man ein liebevolles Elternhaus erlebt hat?
    Ich kenne ja ehrlich gesagt fast nur Menschen, die auch in höherem Erwachsenenalter hadern mit den Eltern und ich gehöre auch immer mal wieder dazu. In dieser Hinsicht berührt mich schon sehr, was sie sagt, auch wenn ich es etwas dolle finde. Allerdings für 19 Jahre..da war ich selbst, glaube ich, undifferenzierter (also bei mir wäre es undifferenzierter Ärger gewesen).


    Wenn ich meinem Mann meine Liebe erkläre, dann auch ohne "obwohl..", ganz im euphorischen Gefühl meiner Liebe schwelgend. Ja, das ist etwas rosa. Ich finde das wunderbar, das mir das noch immer möglich ist und erkenne die Ecken und Kanten unserer Beziehung, wenn ich mich an ihnen stoße. Das widerspricht sich doch nicht.

  • Bin ich die Einzige, die einen Unterschied machen zwischen "über Liebe sprechen" und "jemandem meine Liebe erklären"? Bei letzterem fände ich es sehr komisch, da ein Aber dran zu tun. Ansonsten hab ich die Frage oben aus meiner Sicht schon beantwortet. Das ist aber natürlich nur meine Sicht, nicht die Wahrheit...

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    Kauf & Tausch von Selbstgemachtem... (für Raben ab 100 Posts & 4 Monaten Mitgliedschaft)


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  • Nein, den Unterschied sehe und kenne ich auch. Und ich finde die unterschiedlichen Ansichten hier gerade sehr spannend und bereichernd. Davon lebt doch die Literatur. Danke dafür Merin!


    Ich empfinde es aktuell einfach als sehr schön, bin aber gedanklich noch bringen meinem verstorbenen Vater. In 2-3 Jahren empfinde ich es vielleicht anders,

    Girl keep your head up,
    We've still got miles to go,
    Were lead by starlight through,
    The rain and the snow.