Jaga, aber Worte sind wichtig.
Ich freu mich, dass Du hier aufgelaufen bist, dass Dir "unsere" Art zu denken gefällt (Siehst ja, dass es schon bei Kleinigkeiten auch hier durchaus sehr unterschiedliche Ansichten gibt...). Ich habe trotzdem den Eindruck, dass Dir eine Denkweise über Kinder beigebracht wurde, die sehr negativ ist, dessen Du Dir vielleicht gar nicht so richtig klar bist. Klar ist es hart, wenn so viel Kritik kommt, aber vielleicht schaffst Du es ja, es als Einladung zu sehen, diese verankerten Denkweisen zu hinterfragen, und zu einem positiven Kinderbild zu kommen, das Dir ja anscheinend "eigentlich" viel besser liegt. Sonst hättest Du Dich bei soviel Kritik ja längst verzogen, statt Dir das alles durchzulesen und darüber nachzudenken.
Ich versuche es noch mal zu erklären, und hoffe, es wird nicht zuuuu lang... (bin im Beschäftigungsverbot und hatte noch nie im Leben so viel Zeit...):
"Lügen" bedeutet nun mal, jemanden bewusst zu täuschen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Auch bei Erwachsenen. Ich versuche gerade meinen Kindern den Unterschied zwischen "jemand hat was Unwahres erzählt, weil er/sie sich geirrt hat" und "jemand hat gelogen" deutlich zu machen. Der Begriff "Lügen" unterstellt IMMER eine böse Absicht.
Ein Begriff wie "verzeihen können" ist nun mal anders als "sich von dem Schreck erholen". Verzeihen muss ich Menschen nur Dinge, die diese auch in böser Absicht (oder zumindest kalter Gleichgültigkeit) getan haben. Wenn jemand gestoßen wurde, gegen mich fiel, mir beim Versuch sich aufzufangen auf den Fuss getreten ist und mir dabei den Fuss gebrochen hat, dann habe ich doch nicht die Wahrnehmung, dass es da irgendwas zu "verzeihen" gibt. Der konnte ja auch nichts dafür (was ich von dem A.... halte, der den gegen mich gestoßen hat, ist ein anderes Kapitel).
Wenn ich darüber nachdenke, ob ich diesem Menschen "verzeihen" kann oder will, dann gehe ich ja von einem anderen Sachverhalt aus. Ich gehe davon aus, dass der z.B. völlig gleichgültig an mir vorbei gehastet ist und es ihm völlig egal war, ob er mich tritt. Oder noch schlimmer, dass er mich verletzen wollte. Das sind Situationen, in denen es um "verzeihen" geht.
Vom Schreck erholen (und von den Schmerzen) muss ich mich auch im ersten Fall, aber ich käme nicht auf den Gedanken, den Unfallpartner wegen der Geschichte abzulehnen, nicht mit ihm zu reden oder ähnliches. Und in diesem Beispiel geht es um Erwachsene!
Wenn ich anfange, ein Wort wie "manipulieren" im zwischenmenschlichen Kontext im Sinne von einem völlig neutralen "etwas bewirken wollen" zu benutzen, verliert es seinen Sinn. Denn wir alle wollen in jedem Kontakt mit Mitmenschen andauernd "etwas bewirken". Und wenn es nur ist, dass der andere "Aha" sagt, wenn ich sage, "Mann, bin ich müde".
Jetzt gerade versuche ich Dich dahin zu manipulieren, dass Du Dir meine Ergüsse durchliest, in mein Denken eintauchst und im besten Fall zu Herzen nimmst...
Insofern wäre manipulieren einfach ein völlig überflüssiger Begriff, völlig inhaltsleer. Benutzt wird er nun mal im sozialen Kontext negativ, ähnlich wie lügen.
ja, ich gehöre da zu den Erbsenzählern, es ist mir sehr wichtig, dass die Menschen darüber nachdenken, WAS sie sagen. Dass sie überlegen, WIE sie andere beschreiben, benennen usw. Ich kriege auch einen Anfall, wenn ich höre, dass eine Mutter ihre 7 Wochen alte Tochter als "Terrorziege" bezeichnet.
Letztendlich sagen Worte nämlich nicht nur aus, was wir denken, sondern sie FORMEN auch unser Denken.
Wenn ich es als "Lügen" bezeichne, wenn meine Kinder mir fantastische Geschichten aus dem Kindergarten erzählen, was sie alles mit den anderen Kindern gemacht haben, dann färbt das meine Haltung gegenüber meinen Kindern. Irgendwann sehe ich sie als "Lügner". Also als Menschen, die mir aus Bösartigkeit was falsches erzählen. Nicht als Kinder, die sich den ganzen Tag Geschichten ausgedacht haben und halb in dieser fantastischen Welt versunken sind und denen es jetzt schwerfällt, in ihrem Bericht zu unterscheiden, was "echt" passiert ist und was "aus Spiel" war. Was wundervoll ist, mit Bösartigkeit nicht das geringste zu tun hat, und mir außerdem zeigt, dass meine Kinder in der Phase angekommen sind, in der ihnen klar ist, dass ich ja nicht dabei war, das alles also noch nicht weiß, und es deshalb sinn macht, es mir zu erzählen (Dreijährige kapieren noch nicht, warum Mama fragt. Muss sie doch eh schon alles wissen, oder?). Und Spass daran haben, mir das alles zu erzählen, mich teilhaben lassen wollen. Was noch viel toller ist.
Das Ding ist für mich, dass Du keinen liebevollen Bericht über Dein Kind geschrieben hast, in den sich EINER der kritisierten Begriffe eingeschlichen hat und vielleicht durch Nachfragen aufgeklärt werden konnte.
Sondern Du hast einen sehr langen Bericht verfasst, in dem VIELE Begriffe, die sehr negativ gefärbt sind, aufgetaucht sind. Lügen, manipulieren, verzeihen waren ja die, die am meisten aufgestoßen sind. Aber auch so ein Satz wie "Sie ist offensichtlich sehr clever, aber das geht zu weit" (nicht ganz wörtlich zitiert wahrscheinlich, aber so klang er mir im Kopf nach) macht mir Bauchweh. Weil "clever" in Verbindung mit vorher gefallenen Begriffen wie lügen eben eher kein Kompliment ist, sondern eher ein Hinweis, dass Du das Kind eben doch als "clever" genug siehst, absichtlich lügen zu können. Und "das geht zu weit" geht in eine ähnliche Richtung.
Die Sache ist aber eben die, dass Kinder überhaupt gar nicht in solchen Dimensionen denken. Das "Runterschmeißspiel" wurde ja auch schon genannt. Das empfinden ja viele Eltern (und Erziehungsratgeber aus der "Zucht und Ordnung"-Fraktion) auch als "manipulativ" oder als Versuch des Kindes, die Eltern zu "beherrschen" und zu "tyrannisieren".
Aber so denken Kinder nicht. Das Kind testet Hypothesen. zum Beispiel "Wenn ich das Ding loslasse, fällt es dann IMMER nach unten?" oder "Wenn ich es runterschmeiße, und nicht mehr sehen kann, ist es dann immer noch da?" natürlich auch "Hebt Mama es jedesmal auf?", aber auch hier geht es eben nicht darum, dass das Kind rauskriegen will, ob es seine blöde Mama dazu dressieren kann, immer zu tun, was es will. Sondern um ein Untersuchen der Realität. Um ein Verstehen der Welt.