Was spricht für einen No-Deal/Hard-Brexit?

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    • Offizieller Beitrag

    Gestern mit halben Ohr im Radio gehört - über die Hälfte der Parteigänger der Tories sind für einen No-Deal-Brexit. Hier: https://ondemand-mp3.dradio.de…0190106_1822_fdd46dc4.mp3 ab Minute 2:30.


    Was spricht den dafür? So richtig erschließt es sich mir nicht, dann würde GB doch von einem Moment auf den anderen wie ein Land behandelt werden, dass keinerlei Verträge mit der EU hat (gibt es das überhaupt #gruebelPhilippinen oder so, vielleicht?) Und ziemlich weit entfernt von Vorstellungen à la Norwegen. Und ziemlich sicher gibt es ein ziemliches Chaos - wieso hat man daran Interesse?


    Warum sind die dafür? Oder hab ich einen riesigen Knüpp im Hirn?

    Hermine und drei Jungs (04, 07 und 09)

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    demokratische Ordnung braucht außerordentliche Geduld im Zuhören und außerordentliche Anstrengung, sich gegenseitig zu verstehen

    Willy Brandt, 1969

  • Soweit ich das überblicke, sind sie dafür, weil alles andere bedeutet, sich weiter genau an das zu halten, was mit dem Votum damals unter anderem abgelehnt wurde: Die Regeln des Binnenmarktes. Ohne diese mitbestimmen zu können, also eigentlich noch verschärft.

    Das war aber eigentlich klar, irgendwie war die Hoffnung wohl, andere Abkommen schließen zu können, aber die brauchen Jahre, bis sie zustande kommen. Dass man dafür ist, hat glaube ich viel mit Prinzip und Gesicht wahren zu tun.

    Liebe Grüße,


    Ich, mit Tochter (2/06) und tochter (12/07).

    Einmal editiert, zuletzt von CaRoSo ()

  • Ich glaube dafür spricht, dass viele Wähler*innen für einen Brexit gestimmt haben (und nicht für eine Pseudo-Halb-Norwegen-Lösung). Ich glaube viele von den Tories aus Lave-Wahlkreisen haben einfach Angst ihren Sitz zu verlieren wenn sie sich jetzt für irgendeine Kompromisslösung aussprechen. Individueller Machterhalt vor sinnvollen politischen Enscheidungen...


    Und der irish backstop ist halt auch so ein Thema, auf das sich viele einfach ABSOLUT nicht einlassen können, egal was die Konsequenzen sind. Weil es dann aber auch keine anderen akzeptablen und durchführbaren Alternativen gibt, bleibt nur der hard brexit.


    Außerdem ist Hard Brexit halt einfach das was automatisch passiert. Sprich: wenn sie sich nicht für eine der Kompromiss-Lösungen aussprechen (und das wollen/können viele nicht) dann sind sie gezwungenermaßen für den hard brexit ohne wirklich dafür zu sein. Versteht man was ich meine? Das gibt es ja öfter - man könnte auch sagen, dass viele ENtscheider*innen für den Klimawandel sind weil sie schließlich die Möglichkeiten, was gegen den Klimawandel zu tun, nicht nutzen. Oder Stadtregierungen pro Fahrverbote weil sie keine unpopulären Entscheidungen treffen wollen bis die Umwelthilfe sie einklagt. Usw.

    • Offizieller Beitrag

    Okay, ich finde es nur so schwer nachzuvollziehen, weil es rational mMn für so gut wie niemanden Vorteile bringt.

    Aber gerade der Erklärungsansatz, dass man vor lauter Ablehnung quasi handlungsunfähig wird, finde ich nachvollziehbar. Danke!

  • Für mich ist die EU ein zentralistischer, undemokratischer, bürokratischer und geldvernichtender Moloch, der nicht im Ansatz fähig ist, die zwei wirklichen Probleme (Eurokrise/Flüchtlinge) zu lösen. Ich verstehe, dass GB da raus will. Wie die EU (allen voran Juncker) mit Staaten umgehen, die nicht nach der EU-Pfeife tanzen, finde ich unter aller S... Die EU will an GB und an der Schweiz ein Exempel statuieren nach demMotto „Wagt ja nicht aufzumucken“. Lieber mal kurz etwas unten durch und dafür frei sein.

    • Offizieller Beitrag

    Okay, das hilft mir auch die Sichtweise zu verstehen, auch wenn ich sie für falsch halte. Ich befürchte, dass der Brexit v.a. auf Kosten der kleinen Leute gehen wird: Europa sorgt für eine ganze Menge an sozialen Sicherungen und Schutz. Ich vermute, dass man sich in GB jetzt darauf konzentrieren wird, so "wettbewerbsfreundlich" wie möglich zu sein - und das wird eher auf Kosten der Arbeitnehmer gehen.

  • Ja, eine Grenze die niemand will. Die wieder Dörfer spaltet, also wirklich, Bauernhöfe ect.


    Wenn diese Grenze kommt, die zig Kilometer lang ist, kann man von erneuten Unruhen ausgehen. Das wäre ein Desaster. Ich hoffe ja sehr, dass man für Nordirland eine Notlösung parat hat. *seufz*

  • Sie bei den Verhandlungen um das Rahmenabkommen massiv gängeln, erpressen und unter Druck setzen und nicht verstehen / akzeptieren können, dass es in der Schweiz einige demokratische Instrumente gibt, die sich mit der zentralistischen, diktatorischen EU nicht vertragen. Im Grunde genommen macht sie das gleiche mit der Schweiz wie mit GB.

  • Magst du das ausführen? Mal einen Artikel posten?


    Ich finde es nämlich nur legitim, dass die EU eigene Interessen vertritt und der Schweiz und GB nicht alles hinwirft, was diese Länder gerne hätten. O_O

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde den Begriff diktatorisch etwas problematisch. Die EU hat definitv ein Demokratiedefitzit. Aber eine Diktatur ist sie nicht. Woran würdest du das denn festmachen?

  • Ist das nicht Sinn der Sache? Man bündelt die Interessen der stärksten Industrienationen auf dem europäischen Kontinent, damit man gemeinsam noch stärker ist und anderen Ländern die Regeln diktieren kann.

  • Die EU agiert da in etlichen Punkten aus Sicht der Verhandlungspartner mit Sicherheit sehr hart, aber nicht anders, als ähnlich mächtige Verhandlungspartner auch, oder? Ist es mit den USA oder China leichter?


    Binnenmarkt ohne jeweils Einfuhrgenehmigungen für die einzelnen Produkte zu haben bedeutet, einen gemeinsamen Satz an Regeln zu bestimmen, den die EU sich gegeben hat. Der gilt auch für den, der außerhalb der EU ist, aber am freien Warenverkehr teilnehmen will oder gar Dienstleistungen anbieten möchte. Das war aber von vorneherein klar.

    Liebe Grüße,


    Ich, mit Tochter (2/06) und tochter (12/07).

  • was macht die EU denn mit der Schweiz?

    Da gibt es im Moment zähe Verhandlungen über "Rahmenverträge", die darauf hinauslaufen, dass die Schweiz EU-Recht dynamisch übernehmen muss usw.


    Es wird immer auf die für die Wirtschaft ach so wichtigen bilateralen Abkommen verwiesen. -> Uebersicht der bilateralen Abkommen . Kann ich nicht ganz nachvollziehen - wir haben zwar Freihandel mit der EU, die Waren müssen aber alle durch den Zoll. Ich sehe nicht ganz wo da der privilegierte Zugang sein soll (abgesehen von vielleicht Versicherungen).


    Personenfreizügigkeit: "Wichtiger Wachstumseffekt: Die Schweizer Wirtschaft ist auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen." - Ohne PFZ wäre es der Schweizer Regierung selbstverständlich nicht möglich, "cheiben Uusländern" wie mir eine Arbeitsbewilligung zu geben.


    Zollerleichterungen: "Verhindert die Voranmeldepflicht (24-Stunden-Regel)". Da müsste man nur auf Gegenseitigkeit pochen, und die EU-Lastwagen 24 Stunden an der Grenze marinieren lassen. 24000 Lastwagen überqueren täglich die Schweizer Grenze, das bräuchte einen ziemlich grossen Parkplatz.


    Technische Handelshemmnisse: "Gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen für die meisten Industrieprodukte". In der Realität wird in der Schweiz das CE-Prüfzeichen akzeptiert, und Schweizer Firmen müssen - wie alle anderen auch - in die EU Produkte liefern, die CE konform sind. Für die Anerkennung von Testlaboren gibt es auch das internationale CB Scheme.


    Flugverkehr: "Gegenseitiger Zugang der Fluggesellschaften zu den Luftverkehrsmärkten". Das ist eigentlich weltweit so üblich. Abgesehen davon gehört die grösste Schweizer Fluggesellschaft der Lufthansa, die EU würde sich da wohl eher nicht selber ans Bein pinkeln. Die Fluggesellschaften aus der EU riskieren ihre wertvollen Slots in Heathrow.


    Zurück zu den Briten - das Hauptproblem wird die Umsetzung der Zollanmeldungen sein. Mein pragmatischer Vorschlag wäre, ausser auf den üblichen Verdächtigen (Alkohol / Tabak / Energie) die Zollsätze systematisch auf Null zu setzen. Wenn ich den Bericht von HRMC richtig lese, wären das etwa 3 Milliarden Pfund pro Jahr, auf die man verzichten müsste. Bei qualifizierten Firmen Einfuhr ohne MwSt (dafür gibt es keine Vorsteuer zum abziehen), bei Privaten muss man nach alt Väter Sitte an der Grenze einkassieren.

  • ich bin ja wirklich eine absolute Befürworterin der EU. Also nicht, dass ich alles Gutheissen würde, was im Einzelnen geschieht, aber ich finde die Idee von offenen Grenzen für Menschen und Güter, von einem gemeinsamen Parlament für Themen, die eben alle etwas angehen, von gemeinsamer Aussenpolitik, etc. wirklich grossartig.


    Ich weiss nicht, was ein Hard-Brexit mit sich bringt. Aber am Ende ist doch tatsächlich ALLES, was irgendeine Interaktion über Ländergrenzen hinweg betrifft, vertraglich geregelt. Ob nun Reise- oder Güterverkehr, Anerkennung gegenseitiger Produktions- und Handelsnormen, Telefonie, Anerkennung von Studienabschlüssen, Studierendenaustausch, Strom, Naturschutz, Wassernutzung, etc.

    Manches wird in einzelnen Verträgen geregelt, manches in globalen Verträgen.


    Was nun also alles im Detail einzeln verhandelt werden müsste, weil eben die globalen Verträge in Form der EU-Mitgliedschaft nicht mehr existieren, mag ich nicht abschätzen, bezweifle aber, dass der gemeine Politiker dies abschätzen kann, auch wenn er oder sie gerne eine Meinung dazu haben möchte.

    Verlasse die Welt ein bisschen besser, als du sie vorgefunden hast (B.P)

  • Zurück zu den Briten - das Hauptproblem wird die Umsetzung der Zollanmeldungen sein. Mein pragmatischer Vorschlag wäre, ausser auf den üblichen Verdächtigen (Alkohol / Tabak / Energie) die Zollsätze systematisch auf Null zu setzen. Wenn ich den Bericht von HRMC richtig lese, wären das etwa 3 Milliarden Pfund pro Jahr, auf die man verzichten müsste. Bei qualifizierten Firmen Einfuhr ohne MwSt (dafür gibt es keine Vorsteuer zum abziehen), bei Privaten muss man nach alt Väter Sitte an der Grenze einkassieren.

    Nach einem hard brexit darf die EU die Briten gar nicht anders behandeln als andere WTO-Länder. Selbst wenn sie wollte, könnte sie die Zölle für die Briten nicht auf 0 setzen außer sie tut das für alle anderen Länder auch. Das führt dann immer zu Chaos an der Grenze weil z.B. viele Häfen gar nicht darauf vorbereitet sind bzw, es auch nicht so einfach möglich ist, das vorzubereiten. (In Rotterdam haben sie glaube ich 1000 (!) neue Stellen für Zollbeamte geschaffen aber das ist ja auch nicht so einfach mal eben so viele neue qualifizierte Menschen zu finden und auszubilden.)

    Flugverkehr: "Gegenseitiger Zugang der Fluggesellschaften zu den Luftverkehrsmärkten". Das ist eigentlich weltweit so üblich. Abgesehen davon gehört die grösste Schweizer Fluggesellschaft der Lufthansa, die EU würde sich da wohl eher nicht selber ans Bein pinkeln. Die Fluggesellschaften aus der EU riskieren ihre wertvollen Slots in Heathrow.

    Ja-hah-hah, das Problem ist aber doch, dass die Briten mit dem Ausstieg aus der EU auch aus der EASA austreten (per Definition weil die EASA eine Agentur der Europäischen Union ist) und dann niemand mehr Flugzeuge in Großbritannien als sicher zertifizieren darf und die dann auch nirgendwo mehr hinfliegen dürfen. (Die amerikanische FAA hat schon Plände um ihre eigenen Inspektoren nach UK zu schicken, damit die dann vor Ort sind um amerikanische Flugzeuge zu zertifizieren.)


    Für die Schweiz ist einfach ihre geografische Lage ein Nachteil, so als Insel in der EU. Sie sind einerseits sehr abhängig von der EU, andererseits wollen sie auch nicht mitmachen. Das ist natürlich eine ungünstige Ausgangslage zum verhandeln. Wobei ich die Erwartung, dass das doch sehr einzigartige Schweizer Demokratieverständnis unbedingt auf viel Akzeptanz außerhalb der Schweiz stößt, auch unrealistisch hoch finde. (Das letzte bezieht sich jetzt auf Malaga1 s Ausführungen weiter oben).


  • Für die Schweiz ist einfach ihre geografische Lage ein Nachteil, so als Insel in der EU. Sie sind einerseits sehr abhängig von der EU, andererseits wollen sie auch nicht mitmachen. Das ist natürlich eine ungünstige Ausgangslage zum verhandeln. Wobei ich die Erwartung, dass das doch sehr einzigartige Schweizer Demokratieverständnis unbedingt auf viel Akzeptanz außerhalb der Schweiz stößt, auch unrealistisch hoch finde. (Das letzte bezieht sich jetzt auf Malaga1 s Ausführungen weiter oben).


    Ob das Demokratieverständnis der Schweiz eigenartig ist, will ich nicht kommentieren. Ich schätze es sehr, in einem Land zu leben, in dem die Bürger effektiv mitreden können und ich wage zu behaupten, dass es die EU in der heutigen Form nicht gäbe, wenn die Bürger überall so viel Mitspracherecht hätten wie in der Schweiz. Ich erwarte auch kein Verständnis für die demokratischen Prozesse der Schweiz. Die kann man gut finden oder nicht. Ich erwarte einzig und alleine eine Akzeptanz, dass die Prozesse so sind wie sie sind. In der Schweiz hat das Volk sehr viel Mitspracherecht und der Bundesrat kann nicht einfach etwas beschliessen. Das ist nun halt mal so - ob es der EU passt oder nicht. Immerhin sind das in der Verfassung garantierte Bürgerrechte und die kann man nicht einfach umgehen oder abschaffen (das würde eine Volksabstimmung bedingen, die aussichtslos wäre).
    Ob die geografische Lage der Schweiz ein Nachteil ist, sei dahingestellt. Immerhin ist die Schweiz eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Nationen von Europa und das ohne EU-Beitritt. Ich fände eine starke EU übrigens geopolitisch auch sehr wichtig - aber so wie diese Betrieb heute funktioniert never ever.
    Und so gar kein Interesse hat die EU an der Schweiz und an GB auch nicht. Das sind zwei wichtige Handelspartner.