Liebe Raben,
ich bin grad so alle, daß ich nicht mal mehr den Jammer-Thread finde.
Vor Kurzem haben mir hier einige von Euch geschrieben, ich hätte so eine warmherzige Ausstrahlung, und in einem Beitrag fiel das Wort "Güte". Und heute Morgen stand ich im Supermarkt an der Kasse, dachte daran und konnte nur grimmig fies darüber lachen. Aber von vorne:
Heute früh um 6.30 Uhr ist mir eingefallen, daß heute Mittag ja ein Vereinsvorstandstreffen ist, und zwar bei mir. Das Wohnzimmer ssah aus wie immer, d.h. da kann das Treffen nicht stattfinden. Also habe ich noch vor dem Frühstück schnell den Küchenboden gewischt.
Dann kam das Gastkind, das immer montags bei uns frühstückt und dann mit J. zum Bus geht.
J. stand auf, hatte aber grottenschlechte Laune.
E. stand auf und jammerte, weil kein Saft mehr da war. Milch war auch alle.
Casamann verkündete, er müsse heute ausnahmsweise schon um 8.30 Uhr zur Arbeit.
Hin und her, wer wie lange arbeiten muß, wer wann einkauft, wer kocht (ich: "Niemand kocht! Ich mache jetzt hier sauber, backe mittags den Kuchen, die kommen um 14 Uhr, und vorher betritt niemand außer mir diese Küche!"), dann der Plan: Casamann und ich bringen E. mit dem Auto in den Kindi, kaufen schnell ein, dann fährt mein Mann zur Arbeit und ich laufe zu meiner Arbeit.
Perfekter Plan, aber E.: "Aber ich geh heut nicht in den Kindi. Ich hab keine Lust."
Ich hab das ignoriert (großer Fehler, sowas rächt sich!), weil das Telefon klingelte. Eine Mutter, deren Kind schon zum Bus los war, ob ich ihrem Kind bitte sagen kann, daß es nach der Schule nicht heim, sondern nach M. fahren muß. Ich also angezogen, mit J. und dem Gastkind zum Bus, habe die Botschaft ausgerichtet, hetzte zurück und ging selbstverständlich davon aus, daß Mann und Kind fertig angezogen auf mich warten (und idealerweise auch die Küche gemacht haben...)
Nix. Casamann rasierte sich, E. hüpfte auf dem Sofa herum und sang "Die Räuber von Toulouse".
Küche sah immer noch aus wie Sau, und jemand (vermutlich E.) hatte neben das Klo gepieselt. Es roch bis in den Flur.
Ich habe tief geatmet und die beiden ein bißchen gescheucht (noch immer fast "gütig" im Ton, wenn man so will).
E. erklärte noch einmal, daß er daheim bleiben und malen wolle. Nickend habe ich ihm seine Jacke hingehalten: "Dann geh jetzt mit zum Einkaufen und danach besprechen wir das" (denkend: wenn er erstmal aus dem Haus ist, kommt er in die Spur... - zweiter großer Fehler!)
Im Supermarkt bekam E. schlagartig allerbeste Laune und zwitscherte in den Gängen herum. Ich beschloß, für die Vorstandssitzung keinen Kuchen mehr zu backen (zu viel Streß) und stattdessen Kekse zu kaufen, rannte also in den Süßigkeitenbereich, E. wie ein Flummi hinterher, reichte mir strahlend eine Großpackung Duplo: "Die! Die nehmen wir für deinen Besuch, Mama! Die sind superlecker!"
Ich schüttelte nur kurz den Kopf, murmelte "Ne, lieber Kekse" und eilte mit den Keksen zur Kasse.
Mein Mann stand rum. Immer wenn ich hektisch werde, fängt er an rumzustehen. Das ist so ein Muster zwischen uns, ein ganz blödes, aber nicht wirklich schlimmes. Ist halt unpraktisch für mich, aber naja. Einer muß ja die Ruhe bewahren, gell. Ich "weiß", daß ich dann einfach runterfahren muß, dann taut er wieder auf. Aber irgendwie, ich weiß auch nicht. Ich hab halt schnell, schnell noch ein paar Sachen eingesammelt und bin dann zur Kasse.
Als ich bezahlte, merkte ich, daß E. fehlte. Er war bei den Süßigkeiten zusammengebrochen. Mann stand immer noch rum, also bat ich ihn, die Einkäufe einzupacken, und gab ihm dafür meine Handtasche mit dem Geldbeutel. Zwei Euro nahm ich vorher raus, ging zurück zu E., beruhigte ihn und ging mit ihm zum Süßi-Regal vor der Kasse: er dürfe sich ein Duplo hier nehmen, und ein zweites für J. mitnehmen.
E. nickte, aber traurig.
Dann kam der Moment, wo ich an das Forum und an meine "Güte" dachte. Ich stand also mit E. ein zweites Mal in der Schlange vor der Kasse und spürte, wie meine Güte schwand. Mehr als ein bitteres Grinsen brachte ich nicht zustande. "Wenn die wüßten", dachte ich (also ihr, die Raben), "wenn die wüßten, wie ich wirklich bin..."
Ich war nämlich mittlerweile richtig sauer, und leider vor allem sauer auf E., der mit zwei Duplos in der Hand nicht glücklich war, weil er die Großpackung haben wollte.
Vor dem Supermarkt stand mein Mann, gemütlich im Gespräch mit irgendwem, und neben ihm auf dem Boden meine Handtasche, die er mit den Einkäufen gefüllt hatte. Also den Einkauf in die Handtasche reingestopft. Ich grollend mit der Handtasche zum Auto und habe umgepackt, E. saß - inzwischend heulend wie ein Wolf, so sirenenartig, wie nur ein vollkommen mißachtetes und im Herzen verkanntes Kind heulen kann - im Auto drin, und Casamann motzte "Was hatter denn?"
Ich ins Auto, Tür zugeknallt. Casamann losgefahren. Blick auf die Uhr: 8.22 Uhr, sein Arbeitsbeginn in 8 Minuten, und ich dachte, er müsse ja noch die Einkäufe nachhause bringen, damit ich nach meiner Arbeit den Kuchen backen kann (hatte vergessen, daß ich ja keinen Kuchen mehr backen wollte und auch gar keine Zutaten dafür eingekauft hatte...)
Casamann motzte vor sich hin ("Zicke", wen auch immer er damit meinte...). E. jaulte in höchsten Tönen.
Ich: "Halt an, E. und ich gehen zu Fuß."
Ich im Sturmschritt zurück, E. nebenhergehoppelt.
Ich habe die beiden Duplos auf die Straße geschmissen, bin nochmal in den Supermarkt rein und habe die Großpackung gekauft.
Vor dem Supermarkt saß E. auf dem Boden, ein Häuflein Elend.
Und ehrlich, am Liebsten hätte ich ihm diese beschissene Großpackung Duplo vor die Füße geworfen und ihn angebrüllt. Ich war kurz davor, echt.
Aber dann setzte Gottseidank mein Raben-Bewußtsein wieder ein oder es ertönte eine innere Kloeter-Klingel oder irgendsowas, jedenfalls setzte ich mich neben E. auf den Boden, nahm ihn in den Arm und sagte: "Ach Scheiße."
Und E.: "Ja. Ist schon okay, Mama."
Das macht mich immer fertig, Leute, wenn die Kinder dann so schnell verzeihen und so völlig bereit sind, wieder Frieden zu schließen.
Naja, wir haben dann zusammen ein Duplo gegessen - eins der beiden, die ich auf die Straße geworfen hatte. E. hatte sie, während ich im Laden war, wieder aufgehoben. Und ich mußte die ganze Zeit dran denken, was wäre, wenn er da auf der Straße überfahren worden wäre. Wegen zwei Duplos.
Solche Gedanken sind Quatsch, ich weiß, aber manchmal denkt es so in mir.
Und ich hab an Runa gedacht, wie sie mit dem Muk bei Mecces Pommes und Eis ißt….
Und was ich für einen bescheuerten Rappel veranstalte an einem Montagmorgen, anstatt dankbar zu sein für dieses wundervolle Kind und das andere wundervolle Kind und den wundervollen Casamann.
Natürlich habe ich E. nicht in den Kindi gebracht. Wir sind heimgegangen, E. hat sich ins Kinderzimmer verkrümelt, ich bin schnell zur Arbeit (viel zu spät, aber ich hab dann in einer Stunde weggeschafft, was ich sonst in zweien mache, und den Rest für morgen liegenlassen - das geht auch nur, weil meine Chefin so toll ist!). Als ich heim kam, hatte E. das Klo geputzt (und dabei das Badezimmer geflutet, aber er hat sein Bestes getan)
Und jetzt - die Großpackung Duplos liegt im Küchenschrank, E. malt im Kinderzimmer und ich schreibe hier bei den Raben. Das tut gut.
Jetzt geht's mir besser. Jetzt räum ich die Küche auf und bereite die Vorstandssitzung vor.