Liebe Rabinnen und Raben,
wie ich schon in meinem Vorstellungsthread schrieb, bin ich neu hier und lese schon lange unregistriert bei euch mit, weil ich dieses Forum für seinen freundlichen Umgang und die bedürfnisorientierte Perspektive schätze.
Leider gibt es einen Grund, warum ich mich registriert habe, denn ich erhoffe mir Rat in der folgenden Sache:
Mein Sohn, 12 Jahre alt, findet kaum Akzeptanz in seiner Klasse und fühlt sich sehr allein.
Dazu muss ich ein bisschen ausholen:
Schon immer hatte ich ein introvertiertes, wissbegieriges Kind, das lieber mit einem Buch auf einer Bank saß, statt in Gruppen zu spielen.
Er wurde als Musskind eingeschult. Ein halbes Jahr später fragte mich die Lehrerin, ob er nicht vielleicht besser in die 2. Klasse wechseln sollte, da er in jeder Beziehung sehr weit wäre und sich wahrscheinlich langweilen würde. Beschwert hatte er sich bis dato nie. Kind war nicht begeistert. Wir Eltern lehnten die Idee aufgrund des sehr ruhigen Charakters unseres Kindes ab. Außerdem wollten wir die kompetente Klassenlehrerin behalten.
Über die Jahre hörten wir immer wieder als Rückmeldung, dass unser Sohn zurückhaltend, kognitiv und emotional sehr fit und gleichzeitig auch sehr sensibel wäre. Er würde sich in seinem Wesen stark von Gleichaltrigen unterscheiden. Verhaltensauffällig im negativen Sinne war er nie, die Noten für Arbeits- und Sozialverhalten waren bis jetzt immer sehr gut.
Mittlerweile klagte er zu Hause hin und wieder darüber, sich in der Klasse einsam zu fühlen. Der Schulstoff fiel ihm leicht, nur das Miteinander stresste ihn. Er hatte in der Klasse zwei, drei Bezugspersonen und war nach Aussage der Lehrerin gut integriert. Die Vermutung einer Hochbegabung wurde seitens der Schule thematisiert. Da wir befürchteten, dass eine Testung eher Druck denn Hilfe erzeugen würde, was uns bei der Beratungsstelle in Marburg auch als möglicher Nebeneffekt thematisiert wurde, schoben wir eine Diagnostik nach hinten und wollten ihn erstmal auf dem Gymnasium ankommen lassen.
Mit dem Wechsel auf das Gymnasium begann eine harte Zeit. Die Klasse gilt von Anfang an als nicht einfach, was auch die Lehrkräfte einräumen. Viele Zickereien unter den Mädchen, viel Kräftemessen und ein rüder Umgangston unter den Jungen, Leistungsdruck seitens der Elternhäuer, problematischer Umgang mit WhatsApp und Co, kurz gesagt, ein Dampfkessel. Es gibt fünf Alphatiere, die den Ton angeben und deren Werte das Klassenklima bestimmen. Ich weiß von mehreren Eltern, deren Kinder unglücklich in der Klasse sind.
Schnell zeichnete sich ab, dass mein Sohn aus der Art seiner männlichen Mitschüler fiel und dadurch Handlungen ausgesetzt war, die von der eingeschalteten Schulsozialarbeit explizit als Mobbing benannt wurden. Mit Klassenleitung und Sozialarbeit stand ich bald in Dauerkontakt. Auch hier erhielt ich das Feedback, dass mein Kind sehr ruhig, ordentlich, vernünftig, extrem reif und leistungsstark wäre.
Wir Eltern bekamen zu Hause die Verzweiflung und den Frust unseres Kindes ab. Am liebsten wollte er nicht mehr zur Schule gehen. Er wurde verschlossen und war oft schlecht gelaunt. Wir zogen eine Beratungsstelle hinzu, die uns sehr unterstützt hat.
Ich erkundigte mich auf Wunsch meines Kindes nach der Möglichkeit eines Klassenwechsels, was die Schule ablehnte, da man aufgrund der Vernetzung der Schüler bei WhatsApp & Co. der Problematik nicht entkommen könnte. Einen Schulwechsel lehnte mein Sohn ab, da seine jetzige Schule ein bestimmtes Profil anbietet, das sich mit seinen Stärken und Neigungen trifft und das er in der Oberstufe in seine Kurswahl einbeziehen möchte.
Mit dem No Blame-Approach, den die Schule schließlich bezüglich des Mobbings ausprobierte, kehrte gegen Ende des Schuljahres Ruhe ein. Bis vor kurzem hielt sie auch an. Nun geht es wieder los, nicht so heftig wie letztes Jahr, aber mein Kind ist isoliert, wird ausgelacht und ignoriert.
Die Lehrkräfte geben ihm ausschließlich positives Feedback. Als er kürzlich sagte, dass er nur noch wegen der Lehrer in die Schule gehen würde, kontaktierte ich die Klassenlehrerin und bat erneut um Hilfe. Ich erfuhr, dass mein Kind gewissermaßen „der Fisch im falschen Teich“ wäre, das Verhalten der MitschülerInnen zu manchen Teilen altersgerecht wäre, aber hier zwei Welten aufeinanderprallen würden. Die Lehrerin versprach, sich mit Schulsozialarbeit und Fachlehrkräften zu vernetzen und ein Auge darauf zu haben.
Allerdings spielt sich der Ausschluss eher nicht im Unterricht ab, sondern im Bus und in den Pausen bzw. in der Freizeit.
Damit der Text nicht noch länger wird, fragt gerne nach, was ihr wissen wollt, denn mich würde euer Feedback interessieren, wie ich meinem Sohn helfen kann.
Ich habe große Angst davor, dass mein Kind irgendwann in eine Depression rutscht und die Schule komplett verweigern wird.
Er selbst sagt, dass an ihm wohl alles falsch wäre. Psychologische Beratung zu bekommen, wird noch ewig dauern. Wir stehen auf einer Warteliste, wobei ich befürchte, dass auch diese das System an sich nicht ändern kann.
Unsere Hoffnung ist die nächste Klassenstufe, weil dann nach Wahl der zweiten Fremdsprache neue Klassen zusammengesetzt werden.
Was würdet ihr an meiner Stelle tun? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und falls ja, was war hilfreich? Ich danke euch sehr für euren Input!