Gedanken zu den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen

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  • Ich habe in der aktuellen Geo einen interessanten Artikel über die Institution der "Landsgemeinde" im Schweizer Kanton Glarus gelesen. Da sind alle Wahlberechtigten eingeladen, sich einmal im Jahr im Hauptort unter freiem Himmel zu versammeln und öffentlich über Themen der Regionalpolitik abzustimmen. Es darf auch jede:r normale Bürger:in ohne politisches Amt dort Anträge einreichen und Reden halten. Es kommen immer so 6000 - 9000 Menschen und das Ganze hat den Charakter eines Volksfestes. Mich hat der Bericht über diese alte, direktdemokratische Tradition sehr nachdenklich gemacht.

    Das größte Parlament der Welt: Was passiert, wenn alle Bürger mitbestimmen?
    Im Schweizer Kanton Glarus können alle Bürgerinnen und Bürger einmal im Jahr durch die Direkte Demokratie mitbestimmen, Gesetze oder Investitionen vorschlagen.…
    www.geo.de
    Direkte Demokratie: Wie geht das? Schweizer geben Einblick
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    www.swr.de

    Machen ist wie Wollen, nur krasser.

  • Also ja, das sind wirklich alles gute Ansätze und Ideen, aber es versackt so unglaublich, Nicht, weil jemand sagt "machen wir nicht", sondern weil, ja weil anscheinend alle sich zu Tode planen und die Dinge nicht in die Hand nehmen. Unsere Firma wäre jedenfalls schon lange pleite, wenn wir Projekte so angehen wollten.

    Das wäre ja dann eine Aufgabe für den nächsten Bürgerrat: Wie beschleunigen wir öffentliche Verfahren?

    Ich frage mich wie es zu dieser Langatmigkeit kommt. Liegt das an der Struktur der jeweiligen Prozesse oder daran, dass am Ende niemand mehr sagen will: So machen wir´s jetzt und ich übernehme die Verantwortung? Dass alles in unendlichen Kompromissen für alle passend gemacht werden muss?

    Geht Demokratie nur so behäbig und schafft sich damit langfristig ab?

  • Komplexe Sachen dauern halt lange. Ich kann schnell sagen „Mehrwertsteuer so und so anpassen“, aber dazu braucht man einen Gesetzentwurf und den muss jemand schreiben und das muss man ordentlich machen und prüfen und dann muss er durch das normale Gesetzgebungsverfahren.

    Oder kostenloses KiTa- und Schulessen: Das kann der Bund nicht machen, sondern muss mit den Ländern reden.

    Jeder, der schon mal ein komplexeres Projekt organisiert hat, und sei es nur eine Veranstaltung für 200 Leute, weiß das so was dauert.

  • Die Mehrwertsteuer hat sich in der Vergangenheit schnell anpassen lassen. z. B. die Erhöhung von 16 auf 19 Prozent, oder die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen, oder die Steuersenkung in der zweiten Hälfte des Jahres 2020, die innerhalb von nur wenigen Wochen umgesetzt wurde


    Und es betrifft nicht nur die Mehrwertsteuer. Wenn die richtigen Leute davon profitieren, gehen Gesetzesänderung ganz schnell.

  • Die Mehrwertsteuer hat sich in der Vergangenheit schnell anpassen lassen. z. B. die Erhöhung von 16 auf 19 Prozent, oder die Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen, oder die Steuersenkung in der zweiten Hälfte des Jahres 2020, die innerhalb von nur wenigen Wochen umgesetzt wurde


    Und es betrifft nicht nur die Mehrwertsteuer. Wenn die richtigen Leute davon profitieren, gehen Gesetzesänderung ganz schnell.

    Wenn man nur den Satz ändert ja. Aber nicht, wenn man die Eingruppierung der verschiedenen Produkte in 0,7 und 19% MWSt anpassen will und das ist ja das was gefordert ist.

    Neben den Lebensmitteln stehen da ja auch Dinge auf dem Plan wie Damenhygieneartikel, Babywindeln, Babynahrung und die Tatsache, dass Stuten und Hengste mit 7% zu versteuern sind, aber Wallache mit 19% und ähnliche Kuriositäten.

    Außerdem kann man nur eine bestimmte Menge von Sachen schnell machen. Kapazitätsgrenze und so.

  • Geht Demokratie nur so behäbig und schafft sich damit langfristig ab?


    Nein, aber Demokratie ist ja ein komplexes Konstrukt, und man kann halt leider nicht sagen "ok, wir haben dies beschlossen, also machen wir das so, ab morgen - ok, übermorgen". Und sie ist an vielen Stellen so gewollt, das heißt sicherlich wenn wir die Demokratie stärken wollen, dass wir auch diese Hemmschuhe beseitigen müssen.

    Es tut sich ja was, wenn man dranbleibt.

    Ich musste mich auch daran gewöhnen, dass ich nicht mit wehenden Fahnen Dinge zum guten wende. Es sind kleine Schritte, aber Schritt für Schritt kommt man weiter. Mein Vater und mein Kollege, beides "Ökos der ersten Stunde", schelten mich immer für die Ungeduld die ich habe. Und Geduld ist halt eine Tugend, die man trainieren sollte.

    #sonne Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können #sonne

  • Ich glaube auch, dass wir massiv ungeduldiger geworden sind. Manche Dinge brauchen halt Zeit. Viele Leute planen ihre Hochzeit ein Jahr im Voraus und dann soll sowas komplexes wie eine Mehrwertsteueränderung oder kostenloses KiTa/Schulessen (wenn man das gratis macht, muss man ja aushandeln woher das Geld dafür kommen muss und dann muss man auch noch den Betrag festlegen und Qualitätskriterien und entsprechend Vorlauf geben, damit das Catering hinter her kommt und und und…) innerhalb weniger Monate passieren?

    Ich glaube, im Februar hat der Bürgerrat seinen Bericht abgegeben. Jetzt ist September, also keine sieben Monate später.


    Aber ich würde trotzdem gerne wissen, wurden die Themen in den Fachausschüssen besprochen, was wurde da gesagt, gibt es Gespräche mit den Ländern (oder sind diese in Vorbereitung), wird ein Gesetzentwurf für die MWSt etc. vorbereitet?

  • Das Problem ist nur, dass unsere Demokratie nur so funktionieren kann. Und ja, jetzt bist du so eingespannt, klar hast du gerade keinen Kopf. Aber was ist zb in 10 Jahren? Dann hättest du weniger privates um die Ohren und genau die Lebenserfahrung einer berufstätigen Mutter, die in der politischen Welt so sehr fehlt.

    Unsere Gemeinde und auch meine kollegen bestehen ja auch nicht aus lauter Familien mit Kindern im Kindergarten und Schulkindalter, im Gegenteil.

    Was denkst Du, weshalb Frauen in der Kommunalpolitik so unterrepräsentiert sind? Zahlreiche Frauen engagieren sich ehrenamtlich, in Elternvertretungen, Vereinen, Kirchengemeinden und vielen anderen Bereichen, doch recht wenige finden den Weg in die Kommunalpolitik.

  • Das Problem ist nur, dass unsere Demokratie nur so funktionieren kann. Und ja, jetzt bist du so eingespannt, klar hast du gerade keinen Kopf. Aber was ist zb in 10 Jahren? Dann hättest du weniger privates um die Ohren und genau die Lebenserfahrung einer berufstätigen Mutter, die in der politischen Welt so sehr fehlt.

    Unsere Gemeinde und auch meine kollegen bestehen ja auch nicht aus lauter Familien mit Kindern im Kindergarten und Schulkindalter, im Gegenteil.

    Was denkst Du, weshalb Frauen in der Kommunalpolitik so unterrepräsentiert sind? Zahlreiche Frauen engagieren sich ehrenamtlich, in Elternvertretungen, Vereinen, Kirchengemeinden und vielen anderen Bereichen, doch recht wenige finden den Weg in die Kommunalpolitik.

    Also bei mir ist es ziemlich eindeutig: Ich habe nicht genug seelische Stärke. Hier auf dem Land hätte ich es in der Kommunalpolitik mit alteingesessenen Landwirten zu tun, mit denen ich einzeln und privat gut kann, aber deren misogyne Ansichten mich auf Dauer zermürben würden.

    Wenn man fragt, warum Frauen X machen, aber nicht Y, stößt man immer wieder wieder auf das gleiche Muster, finde ich.

    Gruß,

    F

    Mal geht es dir schlecht. Dann geht's dir wieder gut. Ich jedenfalls trag jetzt immer einen Hut.

  • Ich denke mental load, der nach wie vor eher bei Frauen lagert plus das Alleinerziehend-sein ist für viele Frauen ein absoluter Hinderungsgrund, sich einzubringen - auch später, wenn klar wird, wie wenig Rente sie bekommen werden etc.

    Da wäre tatsächlich die Frage: wie kann man es Gruppen, die aufgrund gesellschaftlicher Umstände kaum an der politischen Gestaltung teilhaben können, die Teilhabe ermöglichen? Da geht es durchaus v.a. um geldschwache Menschen. Ein Ehrenamt ausführen zu können ist durchaus auch ein Privileg, das man sich leisten können muss - psychisch sowie monetär. Wenn man alle Kraft für das tägliche Überleben braucht, dann geht das eben nicht. Da dann Frauen/armen/Migranten/... einen latenten Vorwurf zu machen ( LGVUSD dich meine ich explizit nicht, habe das aber schon gehört aus diesem "Frauen sind selbst schuld, wenn sie solche Lebensentscheidungen treffen"- Lager), ist unfair.

    Was mich auch stört: warum ist Mitarbeit so sehr an Parteizugehörigkeit geknüpft. Warum funktioniert das nicht niederschwellig ohne? Gerade im Kommunalen gibt es so viele Themen, die gar keine Parteizugehörigkeit bedürfen.

    LG, Kalliope

    Und bist du nicht willig, so brauch ich Geduld! (Prof. Peter Kruse) tap.gif

  • Was mich auch stört: warum ist Mitarbeit so sehr an Parteizugehörigkeit geknüpft. Warum funktioniert das nicht niederschwellig ohne? Gerade im Kommunalen gibt es so viele Themen, die gar keine Parteizugehörigkeit bedürfen.

    Ich weiß nicht, wo du wohnst aber hier in RLP ist es auf kommunaler Ebene sehr üblich, nicht Partei angebunden zu sein. Unser Gemeinderat besteht ausschließlich aus Wählergruppen.

    Wobei ich persönlich das schwierig finde. Wenn man nicht tief verwurzelt ist, ist es unmöglich, nach Interesse zu wählen, da vollkommen unklar ist, wo die Menschen auf den Listen politisch stehen.

  • Was mich auch stört: warum ist Mitarbeit so sehr an Parteizugehörigkeit geknüpft. Warum funktioniert das nicht niederschwellig ohne? Gerade im Kommunalen gibt es so viele Themen, die gar keine Parteizugehörigkeit bedürfen.

    Ich weiß nicht, wo du wohnst aber hier in RLP ist es auf kommunaler Ebene sehr üblich, nicht Partei angebunden zu sein. Unser Gemeinderat besteht ausschließlich aus Wählergruppen.

    Wobei ich persönlich das schwierig finde. Wenn man nicht tief verwurzelt ist, ist es unmöglich, nach Interesse zu wählen, da vollkommen unklar ist, wo die Menschen auf den Listen politisch stehen.

    Aber die sind ja auch wieder organisiert. Warum kann ich nicht einfach hergehen und sagen: mir liegt das Thema xy am Herzen, genau da will ich mich einbringen! Wo ist der Arbeitskreis dazu? Hier ging das halt nur extrem eingeschränkt.

    (Wobei es besser geworden ist, zumindest in der Stadt nebenan)

    LG, Kalliope

    Und bist du nicht willig, so brauch ich Geduld! (Prof. Peter Kruse) tap.gif

  • Was mich auch stört: warum ist Mitarbeit so sehr an Parteizugehörigkeit geknüpft. Warum funktioniert das nicht niederschwellig ohne? Gerade im Kommunalen gibt es so viele Themen, die gar keine Parteizugehörigkeit bedürfen.

    Ich weiß nicht, wo du wohnst aber hier in RLP ist es auf kommunaler Ebene sehr üblich, nicht Partei angebunden zu sein. Unser Gemeinderat besteht ausschließlich aus Wählergruppen.

    Wobei ich persönlich das schwierig finde. Wenn man nicht tief verwurzelt ist, ist es unmöglich, nach Interesse zu wählen, da vollkommen unklar ist, wo die Menschen auf den Listen politisch stehen.

    Aber die sind ja auch wieder organisiert. Warum kann ich nicht einfach hergehen und sagen: mir liegt das Thema xy am Herzen, genau da will ich mich einbringen! Wo ist der Arbeitskreis dazu? Hier ging das halt nur extrem eingeschränkt.

    (Wobei es besser geworden ist, zumindest in der Stadt nebenan)

    Das ist hier tatsächlich möglich. Sogar die Bürgermeisterin in der Gemeinde, wo ich lebe, ist parteilos. Sie ist auch in keiner Wählergruppe oder so organisiert.

    Machen ist wie Wollen, nur krasser.

  • Wobei ich persönlich das schwierig finde. Wenn man nicht tief verwurzelt ist, ist es unmöglich, nach Interesse zu wählen, da vollkommen unklar ist, wo die Menschen auf den Listen politisch stehen.

    Gerade auf Gemeindeebene geht der Trend eher dahin, dass parteilos eher ein Vorteil ist. Man wählt eine Person, die man gut findet und muss nicht eine Partei dazu wählen. Und "wo man politisch steht" ist für viele Gemeindefragen vor Ort schlicht nicht relevant bzw. ist man dann erstaunt, dass die einschlägigen Gemeindemitglieder ganz anders entscheiden, als man es ihrer Parteizugehörigkeit nach vermuten würde.

  • Die Bürgermeisterin der Kleinstadt, wo ich vor der Flutkatastrophe gewohnt habe, ist bei der CDU. Bei der letzten Kommunalwahl ist sie mit mehr als 80% der Stimmen wiedergewählt worden. (Ja, doch, es gab zwei Gegenkandidaten.) Hier hat zwar die CDU auch die Mehrheit im Stadtrat, aber es ist keine absolute Mehrheit. Das bedeutet, dass die Bürgermeisterin auch von sehr vielen Menschen gewählt wurde, die der CDU eigentlich nicht nahestehen (einschließlich ich selbst). Denn die Frau macht einfach gute Politik und reißt sich den Hintern auf für ihre Stadt.

    Die Politik der Parteien hat hier vor Ort auch nicht unbedingt viel mit Parteitagsbeschlüssen auf Bundesebene zu tun. So hat zum Beispiel unsere Bürgermeisterin sich im Stadtrat dafür stark gemacht, dass auf dem Stadtgebiet neue Windkraftanlagen errichtet werden. Diesen Plan hat sie gegen den erbitterten Widerstand einer Bürgerinitiative durchgefochten. Unterstützt wurde sie dabei durch die Grünen (die hier aber kaum jemand ernst nimmt, geschweige denn wählt) und P4F (die noch weniger ernst genommen werden) und vor allem durch ihre eigene Partei, die CDU. Die SPD hingegen hat sich auf die Seite der militanten Windkraft-Gegner gestellt. #rolleyes

    Im Laufe der Auseinandersetzung um die Windräder musste unsere CDU - Bürgermeisterin viele persönliche Anfeindungen ertragen, vom Farbbeutel auf ihr privatesHaus, über zerstochene Autoreifen ihres privaten Fahrzeugs, bis hin zu Morddrohungen.

    Machen ist wie Wollen, nur krasser.