Mein Jüngster (10 Jahre, 4. Klasse) hatte gestern den zweiten Teil eines Resilienztrainings, Thema "stark gegen Mobbing".
Der erste Teil letztes Jahr ist für ihn komplett in die Hose gegangen. Es war wohl in der Klasse permanent sehr laut, sehr wild - mein Kind lässt sich davon total aufpuschen und kommt dann nicht mehr runter. In der Situation hat er bei einer Übung den "Trick" durch Reinrufen verraten. Die Kinder sollten nacheinander nach vorn kommen, in eine App gucken und dort "ihren wichtigsten Menschen" sehen. Bobby schaut dem ersten Kind zu, sieht seine Reaktion und ruft begeistert: "Das ist die Selfie-Kamera!"
Daraufhin wurde vor der gesamten Klasse gesagt, er hätte nun allen Kindern das schöne Erlebnis verdorben und das sei Mobbing. (Spoiler: War sch..., war schlechte Impulskontrolle, alle weinen, weil das schöne Erlebnis nun verdorben ist - aber Mobbing ist es trotzdem nicht.)
Für Bobby war das *richtig* schlimm. Wir haben mit der Lehrerin darüber gesprochen, sie fand es auch überzogen. Nein, das war natürlich kein Mobbing - schwamm drüber, ist ja vorbei.
So. Nun kam letzte Woche als "tolle Überraschung des Fördervereins": Trainer_mit_Herzchen (ausgebildet übrigens in einem Online-Seminar, ansonsten keinerlei pädagogisches oder psychologisches Vorwissen) kommt zum zweiten Teil des Trainings in die Klassen. Juchu.
Mein Kind: "Ach du scheiße - da geh ich nicht hin, können wir sagen, dass ich Bauchschmerzen habe? - Ich HABE Bauchschmerzen."
Man muss dazu wissen, dass er super gern in die Schule geht und noch nie nicht gehen wollte.
Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass er geht, sich erst mal darauf einlässt und mitmacht, aber das Handy mitnimmt und mich vom Klo aus anrufen soll, falls es blöd wird. Okay, das war in Ordnung.
Das zur Vorgeschichte, denn es ist wichtig zu wissen, dass ich massiv voreingenommen bin. Das ganze Training ist für mich mit jahrelanger Mobbingkarriere ein Schlag ins Gesicht, weil der Fokus darauf liegt, sich nicht mobben zu lassen - was nicht funktionieren wird, wenn es ernst wird. Zitat Elternanschreiben: "Aber wäre es nicht gut und wünschenswert, wenn die Kinder mehr als eine Option haben, wie sie in verschiedenen Situationen handeln können? Wie Beleidigungen nicht mehr verletzen und wie man Mobbing gar nicht mehr als Mobbing empfindet?" Nein. Das wäre nicht wünschenswert.
Auch bei der Ausbildung, die der Mann wohl hat, geht es vom ersten Satz an nur um das Ego des angehenden Trainers: Verwirkliche dich selbst!
Gestern gab es keine Vorfälle, aber die Dinge, die mein Kind so erzählt, sind ... irritierend.
Ich beschreibe jetzt mal nur die Punkte, von denen ich durch die Eltern-WA-Gruppe weiß, dass andere Kinder sie ähnlich empfunden haben.
Da hieß es zB dass Menschen später im Leben auf der Gewinnerseite stehen - oder auf der Verliererseite. Und wer zB viel zockt landet auf der Verliererseite und wird nie viel Geld verdienen. (sic.) Weil es im Sinne der Mobbing-Prävention natürlich total gut ist, Leute in Gewinner und Verlierer aufzuteilen. Und woran sonst sollte man das festmachen - wenn nicht am Einkommen. Klar.
Außerdem ist das Spiel XY (beliebtes PC-Spiel, das einige Kinder aus der Klasse spielen) der schlimmste Süchtigmacher und führt dich unweigerlich auf die Verliererseite. (Dass es nicht gut ist, nur noch zu zocken, zweifelt ja niemand an - aber was befugt einen "Stark ohne Muckis-Trainer" mit gekaufter Online-Ausbildung dazu, mit 9-10 jährigen über psychologisch hochkomplexe Themen wie Sucht zu sprechen?
Und dann wurde folgendes Experiment gestartet.
Der Mann legte 20€ hin und meinte, wer das Geld haben wollen würde, solle aufstehen und es sich nehmen. Darauf folgte dann erst mal Ratlosigkeit unter der Kindern und wildes Spekulieren: "Fangfrage - ein Test, wer von Fremden annimmt - Test wer geldgierig ist" .
Nach mehrmaliger Aufforderung ging dann ein Mädchen hin (ja, Feministin-me feiert es, dass es ein Mädchen war!), nahm das Geld und bekam gesagt: "Das gehört jetzt dir. Mut wird belohnt, wenn euch etwas Schönes angeboten wird, dann nehmt es euch!"
Und ich denke mir: Bin ich im falschen Film, dass ich das echt unmöglich finde? Wir bringen unseren Kinder doch nahezu alle bei, nichts von Fremden (und so ein Typ IST ein Fremder) anzunehmen und dann kommt diese Person in die Schule - Safe Place, haha, guter Witz - und bestätigt das Kind, das sich am schnellsten darüber hinweg setzt?
Stimmt was nicht mir mir, dass ich ihn fragen möchte, ob er eigentlich noch alle Lampen an hat?