Ich sage in solchen Fällen so was wie: Ach wissen Sie, es ist doch besser, wenn Menschen, die keine Kinder wollen, auch keine kriegen." oder so. Darauf reagieren die meisten mit "ja, stimmt eigentlich". Ansonsten erzähle ich von den Freundinnen, die kinderlos sind, oder ganz spät erst Kinder gekriegt haben (da gibt es ja auch dieses Narrativ der egoistischen Karrierefrau, die erst richtig feiern, reisen und leben will, bis sie sich dazu herablässt, mit gut über 40 doch noch Kinder zu kriegen, weil sie das auch noch abhaken will). Eine wünscht sich seit 20 Jahren Kinder, hat aber keinen Partner gefunden, die andere hat den Mann für's Leben erst spät kennengelernt, wieder eine hat jahrelang probieren und medizinische Behandlungen erdulden müssen etc. Viele wissen das auch gar nicht, ich wusste bis zu meiner Fehlgeburt auch nicht, dass das Kinderkriegen gar nicht so einfach und selbstverständlich ist.
Ich finde es ehrlich gesagt wichtig, Leute nicht zu brüskieren. Ich habe einige Jahre im Bereich Gender Studies geforscht, vor allem zu Frauenbildern und -rollen und so. Ich hab ganz viel feministische Literatur gelesen und eine Zeitlang jede Interaktion mit anderen Menschen, vor allem männlichen, vor diesem Hintergrund bewertet und alles, was diese sagten, unheimlich kritisch mit den feministischen Gedanken abgeglichen. Diese feministischen Theorien und Thesen stimmen auf jeden Fall, finde ich immer noch, aber dieses Bewerten und vor allem Verurteilen von Menschen vor diesem Hintergrund lasse ich jetzt, und es geht mir besser damit. Mir wären auch echt ein paar nette Menschen entgangen, wenn ich mich an gedankenlos dahingesagtem "Typisch Mädchen", oder "Jungs sind halt so" festgebissen hätte, und das wäre es nicht wert gewesen.
Manche Menschen sind ungeschickt und machen aus Nervosität Äußerungen, die sie vielleicht nicht machen würden, andere denken nicht unbedingt nach, sind noch nie mit bestimmten Themen konfrontiert gewesen etc. Es gibt auch böse Menschen, denen man energisch Einhalt gebieten sollte, aber was du da erzählst hört sich nicht danach an, finde ich. Deine Tante ist, sagst du, eine großzügige, liebenswerte Person; warum sollte sie dann einen absoluten Vollhonk als Partner gewählt haben? Gibt es natürlich auch, aber so ein Urteil würde ich so schnell nicht fällen.
Ich finde, man kann in solchen Situationen doch ganz einfach höflich nachfragen, widersprechen, zum Nachdenken anregen. Das tut den Kindern doch auch gut, so etwas zu sehen. Du könntest ihn ja vielleicht sogar überzeugen von anderen Ansichten. Meine Mama hat mir mal einen Spruch ins Poesiealbum geschrieben, von Max Frisch glaube ich, dass man dem anderen die Wahrheit wie einen Mantel hinhalten soll, damit er hineinschlüpfen kann, statt sie ihm wie einen nassen Lappen um die Ohren zu schlagen.
Mir kommt es aber manchmal vor, dass es gar nicht darum geht, den anderen zu überzeugen, nur darum, zu verurteilen und sich dann hinterher zu brüsten, wie man es dem Vollarsch gegeben hat. Das ist so dieses backlash/shitstorm-Mentalität, und die finde ich ganz schön traurig.
Ich hab mal ein Interview mit dem Schauspieler Benedict Cumberbatch gelesen, wo er sagte, dass es für Schauspieler anderer Hautfarben als weiß in England nicht einfach sei und es nicht genug Rollen für sie gebe, er hat aber statt dem jetzt als korrekt empfundenen "people of colour" den Begriff "coloured people" verwendet - und wurde zerrissen dafür.
Das ist beispielhaft finde ich, dieses Festbeißen an Fehlern und Konzentrieren auf Worte, und dieses Urteilen aufgrund von winzigen Ausschnitten
ich meine jetzt nicht, dass du das machst, aber da rutscht man manchmal so schnell rein.
Lern den Typen doch mal besser kennen, sprich mit ihm und verbau dir nicht die Möglichkeit, einen netten Menschen kennenzulernen trotz dieser Bemerkung (en).