Ich fände die Frage interessant, warum Lehrer vor ein paar Jahren auf die neue, ja doch grundlegend andere Methode umgestiegen sind.
Ich persönlich vermute, daß sie gemerkt haben, daß die klassische Fibelmethode eben bei der großen Spanne an Lernvoraussetzungen und Lernstand mit der die Kinder in die Schule kommen, doch nicht die "eine für alle"-Methode ist (gerade beim Lesen lernen ist bei der Fibelmethode mMn sehr viel Elternhilfe nötig, es muss möglichst täglich zu Hause gelesen werden) und sich erhofften, daß sie mit der neuen Methode bzw. einer Kombination aus mehreren Methoden individueller und damit passender und effektiver arbeiten können.
Ich kann natürlich nicht für "die Lehrer" antworten, aber für mich selbst und einige Kolleginnen an meiner Schule. Ich habe mich vor über 20 Jahren im Studium sehr intensiv mit den Vor- und Nachteilen verschiedener Leselernmethoden beschäftigt.
Im Referendariat hat die Klasse, in der ich überwiegend eingesetzt war, nach dem klassischen Fibelkonzept gelernt. Meine erste eigene Klasse übernahm ich zum zweiten Halbjahr erstes Schuljahr, auch "Fibelmethode". Für mich war da ziemlich klar: So möchte ich, wenn ich selbst entscheiden darf, auf keinen Fall unterrichten. Ich fand es fürchterlich. Jede Woche wird durchschnittlich ein Buchstabe eingeführt. Für manche Kinder war das sehr langweilig und ich fand auch sehr wenig sinnvoll, da sie eigentlich keinen Lernzuwachs hatten, da sie das, was gerade unterrichtet wurde, schon konnten. Andere hatten den Anschluss verloren und eigentlich keine Möglichkeit mehr aufzuholen, da Strategien fehlten, z.B. Buchstaben, die unklar waren, selbst noch einmal irgendwo nachzusehen und ständig neue Inhalte dazu kamen. Es gab eine Stunde in der Woche Förderunterricht und es wurde schnell über ein Wiederholen der Klasse nachgedacht. Da der Fibelunterricht sehr lehrerzentriert ist, müssen auch eher alle Kinder zeitgleich das Gleiche machen. Eventuell kann in Stillarbeitsphasen mal mit unterschiedlichem Material gearbeitet werden, aber da ist eher wenig Differenzierung möglich, die der Unterschiedlichkeit der Kinder wirklich entspricht. Auch das Bild vom Lehrer als Unterrichtendem gefällt mir nicht so gut, ich sehe mich lieber als Lernbegleiterin, die die Kinder auf ihren individuellen Wegen unterstützt.
Als ich einige Jahre später mit einer Kollegin zusammen selbst eine erste Klasse übernahm, war für mich klar, das ich eher mit eine intensiven Arbeit an der Anlauttabelle beginnen möchte und die Kinder dort abholen möchte, wo sie stehen. Meine Kollegin hatte den gleichen Wunsch, in ihrer Ausbildung aber weniger über "Lesen durch Schreiben" gehört und war deshalb unsicher. Sie besuchte in den Sommerferien eine Woche lang ein Seminar bei Herrn Reichen und kam begeistert wieder. Rechtschreibung wurde bei uns - so wie es Herr Reichen wohl auch in seinem Seminar erklärt hatte - wie selbstverständlich mit einbezogen, sobald die Kinder das System des Schreibens verstanden hatten. Z.B. indem wir jeden Tag gemeinsam ein "Wort des Tages" an der Tafel schrieben und dabei auf die richtige Rechtschreibung und erste Regeln geachtet wurde. Die Kinder bekamen je nach Entwicklungsstand unterschiedliche Tipps, manche Regeln wurden auch in der gesamten Klasse besprochen. Die Kinder schrieben teilweise von Anfang an ganze Geschichten - natürlich nicht rechtschriftlich richtig. Andere waren am Anfang schon gefordert die richtigen Anlaute zu hören. Hier konnte wirklich individuell gelernt werden. Ab der zweiten Klasse unterschied sich der Unterricht grundsätzlich nicht mehr vom Unterricht in der Parallelklasse, wobei die Grundhaltung eher auf das einzelne Kind zu schauen als auf das Unterrichten von Inhalten natürlich auch in allen Fächern den Unterricht immer prägt.
Nach Jahren mit beiden Methoden an unserer Schule sehen wir wirklich keinen Unterschied in der Rechtschreibung am Ende der 4. Klasse. Mir gefällt aber immer noch dieses Bild vom Kind viel besser. Es wäre für mich wirklich schrecklich, wenn mir von Politikern das Unterrichten nach diesem Prinzip verboten würde.