Ich habe im letzten Sommer eine merkwürdige Erfahrung gemacht in der U-Bahn: Mir gegenüber saß eine Frau mit einem kurzen Rock und unglaublich behaarten Beinen. Sie war jung, um die 30, hatte sich schön angezogen und sah wirklich sehr hübsch aus - und dann diese behaarten Beine, schöne gerade schlanke Beine übrigens. Ich habe mich sehr bemüht, nicht ihre Beine anzustarren und dann lange darüber nachgedacht, wie ich das für mich einordne. Ich selbst rasiere die Beine im Sommer, wenn sie mit kurzen Sachen zu sehen sind. Sie nicht. So what? Trotzdem - ich war irgendwie irritiert - so auffallend behaarte Beine sehe ich sonst nie, weil es eben hierzulande irgendwie gesellschaftlicher Konsens zu sein scheint, dass Frau sich die Beine rasiert. Und ein bisschen neidisch war ich, dass sie da so selbstbewusst herumsaß und dabei die Ausstrahlung einer Frau hatte, die sich offenbar pudelwohl und schön fühlte - und ich war ganz gewiss nicht die Einzige, die bemüht war, nicht ihre Beine anzustarren. Das könnte ich nicht, bei mir gehört das Rasieren so selbstverständlich dazu, dass ich mit haarigen Beinen in der U-Bahn das Gefühl hätte, ich hätte ein wesentliches Teilchen meiner Körperpflege vergessen.
Unterm Strich war ich ganz glücklich darüber, mal wieder ein seltenes Beispiel erlebt zu haben, wie unterschiedlich die eigene Schönheit, Ausstrahlung, das eigene äußere (und vermutlich auch innere) Selbstverständnis sein kann. Trotzdem bin ich immer noch ein bisschen damit beschäftigt, warum mich das eigentlich so irritiert hat. Weil die Beine aus der Norm fielen, vermute ich mal. Aus der heutigen Norm, zumindest. Eine ältere Freundin von mir hat mal erzählt, wie es in den 50ern Mode war, eine leichte Beinbehaarung am Strand zu zeigen. (Hat man dann damals auf glatt rasierte Beine gestarrt?)