Ich hatte einen anstrengenden Tag, bin sehr müde und habe die letzten 7 Seiten nur überflogen . Kann also sein, dass mir der rote Faden des Threads völlig abhanden gekommen ist. Aber ich wollte noch was zu ein paar Punkten schreiben, die mir spontan ins Auge gesprungen sind (und, wie hier in Bayern gesagt wird, damit die Luft scheppert).
kaonashi , ich weiß das selber nicht so genau, was ich mit diesem Thread eigentlich will.
Ich glaube, hauptsächlich würde ich gerne verstehen, wieso viele Leute ganz normale Erziehung (wie in der Definition und in meinen Beispielen) unbedenklich oder sogar notwendig finden, es aber bedenklich finden, wenn man sich über gezielte Verhaltensbeeinflussung systematisch Gedanken macht.
Deine Frage habe ich mir auch schon oft gestellt, eine Antwort habe ich leider nicht. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Eltern in meinem Umfeld Erziehung gemäß der von Dir angeführten Definition praktiziert und dies auch von anderen Eltern erwartet, ohne sich tiefer mit gezielter Verhaltensbeeinflussung befasst zu haben. Überspitzt formuliert: Es wird etwas in eine Blackbox gestopft und gehofft bzw. erwartet, dass das gewünschte Ergebnis herauskommt. Die Möglichkeit des Auftretens unerwünschter (Neben-) Wirkungen wird dabei häufig außeracht gelassen. Wirkt die Methode nicht, wird das Kind als defizitär betrachtet, nicht die Methode der Eltern.
Das trifft sich in etwa mit meiner vermuteten Ursache.
Normale Erziehung:
"unbedenklich" = viele Leute denken einfach nicht über Erziehung nach (aus welchen Gründen auch immer)
"notwendig" = viele Dinge erscheinen uns notwendig, weil sie althergebracht sind
"gezielte Verhaltensbeeinflussung" - hier braucht es genaue Beispiele, weil meine Vorstellung darüber wohl eine ganz andere ist als du meinst (siehe weiter unten)
Wenn ich mich mit meinen Schwiegereltern vergleiche, haben wir eine völlig unterschiedliche Auffassung von Erziehung. Ich stelle recht viel infrage und lasse meine Kinder bei Sachen gewähren, wo es sofort heißt, aber man kann doch nicht... Bei genauerem Nachdenken kann man aber doch, weil der Grund vieler althergebrachter Erziehungsregeln heutzutage weggefallen ist. "Man muss doch aufessen, wenn man zu Gast ist (und isst)!" Nein, muss man nicht. Wir haben keine (Nach)kriegszeit mehr, als man seine letzten Vorräte auf den Tisch brachte, man ist nicht mehr vor Hunger ausgemergelt, in anderen Kulturen geht es auch ohne aufessen (China), die Etikette ist nicht mehr ganz so streng und man kann seinen Dank auch anders ausdrücken.
Ich finde immer, dass das, was man von den Kindern will, diesen auch logisch erscheinen muss. Wenn ich Zeit und Muße habe, dann rede ich kurz mit meinen Kindern, warum sie etwas nicht dürfen. Wenn ich gestresst bin, dann trickse ich sie so aus, dass sie es nicht merken oder aber sage einfach, dass es jetzt nicht geht, weil... (und mache gelegentlich auch Vorschläge für eine spätere Umsetzung des Gewollten). Da sie anscheinend wissen, dass es mir in einem solchen Moment Ernst ist, klappt das auch hervorragend. Spricht also vermutlich für eine gute Bindung. Sie wissen, dass ich eigentlich nie etwas verbiete, weil "ich das nicht will" oder "man das so nicht macht".
Ich mach' jetzt aber mal noch ein Beispiel, wo diese Verhaltensbeeinflussung (in ihrer Triggerbegriff-Variante) verwendet wird.
Es sitzt ein 4 jähriges Kind vor dir, das seit 2 Jahren keine andere Flüssigkeit als Schokomilch zu sich genommen hat. Du bist die Therapeutin, die von den Eltern um Hilfe gebeten wurde. Du hast einen Koffer voll mit tollen Spielsachen dabei und hast am Vortag schon ziemlich gut mit dem Kind Kontakt aufgenommen und Vertrauen aufgebaut. Jetzt stellst du dem Kind ein Glas Wasser vor die Nase und ein superspannendes Spiel stellst du vor deine Nase, so dass das Kind es sieht. Du lässt das Kind das Spiel kurz anfassen, ziehst es dann weg und sagst ihm, wenn es einen Schluck Wasser trinkt, darf es damit spielen.
Es kämpft und tobt ein wenig, du bleibst ruhig, wiederholst dein Angebot, bleibst bei den Bedinungen hart.
Nach dem ersten Schluck freust du dich mit dem Kind und es kriegt das Spiel für eine halbe Minute. Dann ziehst du es es wieder weg mit der Aufforderung, noch einen Schuluck zu trinken.
Das wiederholst du ein paar Mal.
Am Ende dieses Tages trinkt das Kind ganz normal Wasser und total stolz darauf.
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Hier wollte ich nur anmerken, dass meine Verhaltensbeeinflussung komplett anders gestaltet ist. Weil ich irgendwo auf Seite 1 geschrieben hatte, dass ich Verhaltensbeeinflussung per se nicht schlecht finde und anwende. Das oben genannte Beispiel ist Erpressung, denn das Kind hat ja anscheinend nicht wirklich eine andere Wahl. Wo steht geschrieben, was das Kind machen kann, wenn es weder das Wasser trinken noch das Spiel ausprobieren möchte? Darf es den Raum verlassen und mit anderen Spielsachen weiterspielen? Und noch wichtiger, das Kind klingt für mich auffällig im Verhalten. Ich kenne mich da nicht aus, würde aber vermuten, dass man hier vielleicht anders herangehen muss als bei im Verhalten unauffälligen Kindern. Denn, was sind die Gründe dafür, dass es nur Schokomilch trinkt? Es muss ja zumindest ein triftiger Grund dahinterstecken, weil niemand 2 Jahre lang nur dasselbe trinkt. Und das mal eben mit Gewalt abstellen zu wollen, kommt mir ganz falsch vor.
Ich kenne ein Kind, welches nicht mit familienfremden Personen spricht. Die Eltern des Kindes bekommen immer wieder gesagt, sie müssen doch ihr Kind dazu anhalten, dass man zurückgrüßt/antwortet, wenn man gegrüßt/gefragt wird. Tja, so einfach ist es aber nicht. Die Eltern tun das durchaus und beständig. Dann wird gesagt, man muss es halt mit Druck durchsetzen. Die Eltern, der Kinderarzt und der Psychologe sind sich sicher, dass würde gar nichts bringen, sondern das Problem nur verschärfen. Das Kind möchte wohl sogar antworten, aber in diesen Momenten ist einfach eine Blockade da, die lähmt. Elektiver Mutismus. Tja, und die meisten Leute wollen das gewünschte Verhalten einfach nur schnell aus ihm "rausprügeln". Ich frage mich immer, würde es antworten, wenn es eine (oder wiederholte) Ohrfeigen bekäme? Ich glaube nicht, denn die Blockade wäre immer noch da. Es würde weinen und zu allem Übel noch als verstockt und bockig hingestellt.
Hm, aber der Grund für die christliche Erziehung ist doch normalerweise, dass die Eltern möchten, dass das Kind in den Himmel/zu Gott kommt, wenn es tot ist und somit, dass es glücklich wird (in seinem nachweltlichen Leben).
OT: Mein Kind wird christlich erzogen, weil es hier Usus ist und weil ich für mich beschlossen habe, dass die übergeordneten Werte wie 'Du sollst nicht töten' usw. allgemeingültig für das Zusammenleben sind und ich damit im Reinen bin. Ich wöllte natürlich auch, dass es in den Himmel kommt und im nachweltlichen Leben glücklich ist, aber ich (Atheistin) bezweifle halt, dass es einen Himmel und nachweltliches Leben gibt.
Aber wenn man an dem Punkt steht, dass man nicht auf die Beziehung bauen kann und nicht mit dem vorhandenen intelektuellen Potential des Kindes arbeiten kann (weil es nicht so funktioniert wie man sich das vorstellt), dann muss man sich eben Wege überlegen, wie man ohne diese intelektuelle Mitarbeit des Kindes auskommt.
...
Aber das stößt auf wirklich riesige Ablehnung und Leute regen sich tierisch drüber auf. Auch Leute, die selber kein Problem mit versteckter emotionaler Erpressung haben, finden es ganz schlimm, wenn jemand mit offenen Karten ein Angebot in der Art: "du trinkst Wasser, ich geb dir das Spielzeug" macht.
Ersteres: Ist das wirklich so, dass man eine Beziehung zu dem Kind braucht? Genauso, das intellektuelle Potential. Ich kann auch wildfremden Kindern recht gut, meinen Willen ohne Gewalt und Erpressung "aufdrücken". Funktioniert so wie bei meinen Kindern. Und bezüglich Intellekt kommt es wohl auf die Art und Schwere der Einschränkung an. Auch hier habe ich bisher gute Erfahrungen gesammelt. Allerdings hatte ich bisher nie mit Autisten zu tun und stelle mir das in der Tat schwierig vor.
Zweiteres: Prinzipiell kann ich mir eine gewisse Art der Erpressung vorstellen. Wenn es schnell gehen muss und ich keinen Nerv habe, erpresse ich meine Kinder auch mal geringfügig. Aber das sind halt nicht so elementare Sachen wie Trinken und Spielen. Trinken, Essen, Schlafen, Spielen und emotionale Zuwendung sind für ein Kind doch ein Rahmen, an dem ich von meinem Gefühl her nicht wagen würde zu schrauben. Also wenn, dann nur, wenn das Kind auch wirklich gute Alternativen hat. Das, was Brina Berlind zu dieser Art Therapie schreibt, macht mir Angst. Das geht doch etwas kaputt im Kind, oder nicht?