Ich habe nun einige Stunden nicht hier reingeschaut und bin gerade ehrlich gesagt sehr traurig, was aus dem Thread geworden ist... Und fühle mich auf eine seltsame Art verantwortlich für den Verlauf, weil ich konkret wegen des Buches nachgefragt habe (völlig unwissend, dass es da anscheinend eine Vorgeschichte zwischen verschiedenen Ansichten oder Userinnen gibt).
Aber erstmal möchte ich Kalliope danken für den link, Du hast das ja auch als Antwort auf einen Post von mir geschickt, Das sieht sehr komplett aus, ich muss mir das mal in Ruhe anschauen.
Was mich nicht loslässt ist allerdings das hier:
Statt des allgemeinen Rumgezeter kann man auch mal eine andere Position einnehmen, bevor man draufschlägt. Das geht ganz einfach, indem man sich vorher kurz mal fragt: was ist, wenn ich falsch liege und der andere richtig?
Ja, das verstehe ich auch nicht... es gibt doch in jeder Wissenschaft verschiedene Schulen, Ansichten, Vertreter? Warum muss es denn ein entweder/oder sein, warum geht (in unserer nicht-wissenschaftlichen(!) Meinung nicht ein sowohl-als-auch? Zumal sich die beiden Aspekte ja nicht ausschließen, das zeigt ja auch der Link von Kalliope.
Ich kann Euch hierzu keine Literatur zitieren, aber ich habe Erfahrungswissen aus 15 Jahren Arbeit im sozialen Bereich. Ich (persönlich) würde vermuten, dass Trauma im Vergleich zu Adhs extrem unterschätzt wird. (Bindungs-)trauma ist kein Thema in der Ausbildung von Erzieher:innen, Lehrer:innen, ich meine, es wird noch nicht mal im Psychologiestudium angesprochen. Wie sollen diese Personen etwas sehen, das sie nicht kennen? Ich habe einen Haufen Jugendliche mit Diagnosen kennengelernt (Adhs, Lernbehinderung, ...) wo ich mir heute sicher bin, dass der Ursprung Trauma war.
Und genau deshalb finde ich diese Stimmen so wertvoll. Weil sich nämlich die Wahrnehmung der Person ändert. Ich durfte einige Jugendliche bei der Traumatherapie begleiten, und ich habe mir danach an den Kopf gefasst, was wir in der (vermutlich leitlinientreuen) Jugendhilfe alles gemacht hatten um dem vermeintlichen "Problem" (alle unsere Jugendlichen hatten die Diagnose hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens) zu begegnen. Diese Jugendlichen waren in den angesprochenen Momenten oft gar nicht "anwesend", sie waren komplett dissoziiert, hatten meist gar keine Erinnerung. Wenn ich aber nur das in Betracht ziehe, was ich von außen sehe, zeigten sie einfach nur einmal das komplette "Störungsbild". Es hat mich nachhaltig erschüttert, in der Therapie die Innensicht zu sehen (und sie gleichzeitig, und das fehlt ja dem/der Therapeutin mit der Außensicht vergleichen zu können).
Gabor Maté ist ein Vorreiter einer traumainformierten Gesellschaft. Wir brauchen diese Menschen so dringend. Ich hoffe wirklich, es lässt sich keine von dieser Diskussion hier abbringen, seine Werke zu lesen.
Und was ich auch wichtig finde: wissenschaftlicher Konsens ist kulturabhängig. Ich wohne in Frankreich. Ich kenne ganz genau 0,0 Kinder mit der Diagnose Adhs (wissenschaftlicher Konsens ist hier die Psychoanalyse). Gleichzeitig fallen mir spontan 20 Kinder ein, die in Deutschland ziemlich sicher die Diagnose Adhs hätten. Wo ist nun die Wahrheit? Ich weiß es wirklich nicht, ganz ehrlich... Daher mag ich mich wirklich der Sicht anschließen, immer wieder zu hinterfragen, was, wenn der andere recht hat? Wenn auch nur in Teilen?
Ich laufe weiter geradeaus und suche nicht nach irgendwelchen kruden „Experten“ damit ich mir die Welt so mache wie sie mir gefällt.
Entschuldige, dass ich das nochmal rauspicke, Du hattest Dich im Verlauf schon entschuldigt, und gesagt, es sei ein emotional besetztes Thema. Aber das klingt so, als würde man es sich einfach machen, wenn man GMs Argumentation folgt. Für mich ist das Gegenteil der Fall. Welcher Elternteil würde sich denn gerne hinstellen und sagen, mein Kind hat Adhs, das hat sicher etwas mit Trauma zu tun? Ich habe immer eher das Gegenteil erlebt, und jeder Elternteil, der das auch nur in Betracht zieht hat meine absolute Hochachtung.