[aus dem Artikel] Sind die Berufsbezeichnungen inhärent männlich und brauchen daher eine parallele weibliche Form, oder sind sie inhärent generisch und wirken nur deswegen männlich, weil sie historisch nur von Männern ausgeführt werden durften?
Ich möchte da noch einmal drauf zurückkommen. Historisch war es wahrscheinlich das gleiche, ob Berufsbezeichnungen generisch oder maskulin waren, da historisch Frauen keine vollwertigen Mitglieder der Gesellschaft waren. Sie waren keine gleichberechtigten Bürgerinnen, Wählerinnen, hatten keinen Zugang zu Universitäten, erbten kein Land. Sie galten als Besitz von Ehemännern, erfüllten einfach nur eine Funktion - Mutter, Arbeiterin (die niederen Arbeiten), Dienerin, Pflegerin.... Wir alle wissen, dass diese Sichtweise sich bis heute fortsetzt in der strukturellen Benachteiligung von Frauen und in der immer noch bei vielen Menschen vorhandenen Zuschreibung von Rollen und Aufgaben für Frauen.
Daher empfinde ich das generische Maskulinum als Fortsetzung dieser Sichtweise, die schlicht und einfach nie generisch gemeint war, weil es historisch keinen Platz gab für Frauen. Wenn man die Historie ausblendet und vielleicht sogar in einer Zeit und Gesellschaft sozialisiert ist, in der Frauen sehr selbstverständlich alle Räume in der Gesellschaft und alle Berufe und Rollen offen standen, dann kann ich die im Artikel beschriebene Sichtweise nachvollziehen. Ich komme aus einer sehr konservativen Ecke Deutschlands und es war tatsächlich für meine Familie noch überhaupt nicht selbstverständlich, dass ausgerechnet das (zwar unbestreitbar begabte) Mädchen Abitur machen und studieren sollte, während die Brüder gar kein Interesse an so einer akademischen Ausbildung hatten.
Meine Meinung ist, dass es mir immer den Extra-Aufwand wert ist, Frauen auch sprachlich sichtbar zu machen. Weil ich damit einen Raum öffne und ihn offen mache für meine Tochter und die vielen Mädchen, die ich immer noch sehr von überholten Rollenzuschreibungen eingeschränkt erlebe. Es ist es mir wert, in Fachtexten Gedanken darauf zu verwenden, eine gendergerechte Sprache zu nutzen. Und gerne verschwende ich den knappen Platz auf Powerpoint Folien, um "Expertinnen und Experten" oder "Ärztinnen und Ärzte" dort hin zu schreiben.
Und jedes einzelne Mal, wo ich das tue, und wo ich erlebe, wie Frauen immer selbstverständlicher und expliziter genannt und nicht nur "mitgemeint" werden, feiere ich die Errungenschaften der Pionierinnen in Wissenschaft und Technik, die Sufragetten, die Feministinnen, die dafür gekämpft haben, dass heute Frauen Räume besetzen können, die historisch nie für sie vorgesehen waren.
Zu sagen "ich bin Wissenschaftlerin" bedeutet für mich nicht eine unnötige oder gar meine Leistung schmälernde Zusatzinfo dass ich wissenschaftlich arbeite UND eine Frau bin. Es ist auch Ausdruck eines selbstbewussten In-Anspruchnehmens des Raumes uns Frauen offensteht bzw. offen stehen sollte.
lg martita