Es hat schlicht und ergreifend niemand mit diesem Ergebnis gerechnet. Nicola Sturgeon hatte den Vorschlag gemacht, dass in allen 4 Laendern (England, Schottland, Nordirland und Walisien) eine Mehrheit fuer oder gegen Austritt sein muss, damit das Referendum gilt. Farrage hatte gesagt, die Mehrheit muesse eindeutig sein, nicht 52:48%, aber all dieses wurde ignoriert - weil klar war, dass Schottland Nein votieren wuerde und eine solche Regelum das ganze Referendum obsolet machen wuerde, und weil damit zu rechnen war, dass der Ausgang knapp sein wuerde. Nur wurde halt in die falsche Richtung spekuliert. Es ist eigentlich eine oft genutzte Regelung hier in UK, dass Aenderungen des status quo eine 2/3 Mehrheit benoetigen, und alles darunter bedeutet Verbleiben beim Status quo (also eine einfache Mehrheit ist nicht genug). Es haette ja nicht 2/3 sein muessen, aber 55:45 waere schon vernuenftig gewesen. Egal, man kann nichts aendern.
Dass jetzt auf Zeit gespielt wird liegt daran, dass das Leave Camp und UKIP keinen Plan haben, wie es weitergehen soll. Wie gesagt, es hat niemand damit gerechnet. Es wird auch langsam klar, dass einige Leute ihr Leave votum bereuen und aus Protest gewaehlt haben (wieviele ist unklar und auch irrelevant).
Es gab eine Famiilie, die ueber die Zeit des Votums (ein paar Wochen vorher und unmittelbar danach) filmen liess: Oma und Vater fuer Austritt, Tochter und Sohn fuer Verbleib. Sie haben sich filmen lassen, als sie das Ergebnis hoerten (hatten die Abstimmung absichtlich nicht verfolgt). Oma und Vater waren sichtlich geschockt, die Tochter den Traenen nahe. Die erste Reaktion der Austrittsbefuerworter war nicht grenzenlose Freude (obwohl dies zweifelsohne bei anderen der Fall war).
Es wundert mich nur, dass niemand Boris fragt, warum er jetzt so viel Zeit hat, wenn er doch vorher beklagt hat, dass jeden Tag mehr Migranten kommen und mehr Geld an die EU verloren geht.
Was mich am traurigsten macht ist, dass ganz viele Briten jetzt sagen "Alles nicht so schlimm, es wird weiter eng wirtschafltich zusammengearbeitet". Sie verstehen nicht, dass es doch um viel mehr ging: Gemeinsam Problem angehen, gemeinsam das Leben vieler zu verbessern - und dass die, die in der Lage sind zu geben, sich gluecklich schaetzen sollten, dass dem der Fall ist, und weniger Bemittelten helfen sollten. Man weiss nie, wann sich das Ganze umkehrt. Hier aber wird die EU verantwortlich fuer Versagen des Staates gemacht (siehe Immigration - es ist relativ leicht illegeal in UK zu leben, solange man kein Auto hat und nicht waehlen will; NHS - muss dringen reformiert werden, ist aber nicht Schuld der EU; Bildungssystem, Sozialhilfe und und und).
Nun ja, das Leben wird weitergehen, und man wird es vermutlich nie wissen, ob es den Briten besser oder schlechter geht. Man kann ja das Experiment nicht parallel laufen lassen. Zweifelsohne wird aber, egal was passiert, alles als "besser als in EU" propagiert werden, schon allein um den Nationalstolz zu schonen. Das ist das einzige, was viele Briten haben (und ich meine das nicht sarkastisch sonder ganz ehrlich: Armut in UK hat erschuetternde Ausmasse, Lebenserwartung in einigen Teilen liegt bei nur 54 Jahren).