Ich finde es toll, dass du hingegangen bist, Anaba!
Mich treibt das Thema auch gerade um, allerdings mit etwas anderem Hintergrund.
Wir sind schon seit einem Jahr dabei, uns um Flüchtlinge zu kümmern. Mein Mann noch mehr als ich, der koordiniert sehr sehr viel ehrenamtlich für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Unsere Familie hat sich aber einen mittlerweile 18jährigen jungen Mannes angenommen, dem wir ein bisschen Familienanschluss bieten. Wir sind auch mit seiner Familie, die sich in Jordanien befindet, in sehr engem Austausch.
Außerdem habe ich mal mehrere Wochen beim Sprachunterricht in der Unterkunft im Nachbardorf ausgeholfen und mich ein wenig um zwei schwangere Frauen gekümmert.
Nun bin ich von Natur aus ein Mensch, der in jedem Menschen erstmal das Gute sieht. Für mich ist klar: Wenn Menschen gut behandelt werden, wahrgenommen und respektiert in all ihren Facetten, dann werden sie nichts Böses tun. Und JEDER Mensch hat das Recht, in Frieden und frei zu leben. Dazu dürfen sie gerne auch hierher kommen, wenn das in ihrer Heimat nicht möglich ist.
Und jetzt kommt doch ein Aber: Durch den engen Kontakt erlebe ich immer wieder Dinge, die mir doch Angst machen. Unser junger Syrer ist ein ganz lieber Kerl, wirklich meilenweit davon entfernt, ein Terrorist zu sein Aber er ist sehr sehr streng gläubig, genau wie seine ganze Familie, insbesondere die Mutter. Wir merken, dass ihm viele Dinge die für uns selbstverständlich sind völlig fremd sind. Und durch seine kulturelle Prägung kann und will er sie teilweise auch nicht verstehen.
Beispielsweise ist für ihn völlig klar, dass Jüngere den Älteren Respekt entgegen bringen und ihnen gehorchen sollen. Andersherum ist es aber eine tiefe Beleidigung, wenn ein Jüngerer einen Älteren zurecht weist, und da ist es dann selbstverständlich auch mit körperlicher Gewalt zu reagieren. Und ich rede nicht unbedingt von Erwachsenen und Kindern, sondern von 15 und 18jährigen.
Es ist für ihn auch undenkbar, dass Frauen und Männer alles zusammen tun. Er hat da ganz klare Rollenvorstellungen. Freizeitgestaltung gibt es nur für Männer ODER Frauen, nicht gemeinsam. Er passt sich hier zwar an, man merkt aber, dass er es nicht versteht.
Seine Mutter erzählt mir, dass natürlich in Syrien alle Religionen friedlich miteinander gelebt hätten. Im selben Atemzug sagt sie aber, dass man als Frau doch einfach weiß, dass Männer aggressiv und brutal sind und man, besonders wenn man nicht verschleiert ist, Situationen in denen viele Männer sind selbstverständlich meiden sollte.
Dann erlebe ich, dass meine damaligen Deutschschüler, die ich allesamt als sehr höfliche, freundliche Männer kennengelernt habe, mit Messern und abgebrochenen Flaschen aufeinander losgehen, sodass einer letztens schwer verletzt in der Klinik landete.
Und dann komme ich ins Grübeln. Klar kann ich die Mechanismen sehr gut verstehen, die zu all dem führen: Kulturelle Prägung, traumatische Erfahrungen, Isolation, Heimweh, Perspektivlosigkeit. Nur: Das macht es ja nicht weniger gefährlich, denn all das trifft ja auch Hunderttausende zu. Und wenn dass nicht gut aufgefangen wird.... dann hab ich wirklich Angst!
Da ich ja immer das Gute im Menschen sehe, gehe ich davon aus, dass es mit viel Engagement zu schaffen ist, die hier angekommenen Menschen aufzunehmen, ihnen eine neue Heimat (teilweise auf Zeit) und eine Perspektive zu bieten und ihnen zu helfen, sich zurecht zu finden ohne ihre Identität verleugnen zu müssen. Nur: Da hab ich dann noch mehr Angst, denn ich sehe, das von Deutscher Seite genau da Gegenteil geschieht: Hass, Ausgrenzung, Schaffen eines neuen Feindbildes.
Ich sehe Gefahren durch starke kulturelle Unterschiede und durch Fremdenfeindlichkeit. Beides kann sich gefährlich gegeneinander hochschrauben.
Und ich bin erschrocken über mich selbst, dass ich mittlerweile manches nicht mehr nur als "kulturelle Eigenart", sondern als wirkliche Bedrohung unserer Freiheit ansehe.
Bisher ist meine Konsequenz daraus aber immernoch: Man muss sich zu den geflohenen Menschen hinwenden, nicht von ihnen weg!
Ich hoffe, dass ich das so immer sehen und danach handeln können werde!