Hallo und erst mal vielen Dank für eure vielen ehrlichen Antworten. Vor allem auch an Zitrulle für die tolle Begründung und Ausarbeitung!
Eure Bedenken verstehe ich voll und ganz und teile sie sogar! Ich glaube, ich muss erst mal ein bisschen den Hintergrund erklären:
Ursprünglich habe ich selbst solche "Konditionierungsmaßnahmen" immer abgelehnt und dachte, Belohnungssysteme sind was für Therapeuten oder überforderte Eltern ...
Es war meine TOCHTER, die dieses Punktesystem eingeführt hat. Keine Ahnung wo sie das aufgeschnappt hat, aber sie war total begeistert von der Idee und nicht mehr davon abzubringen. Als ich auf die Idee nicht eingehen wollte, malte sie sich kurzerhand selbst einen Kalender, klebte ihn an die Tür und hat sich auch selbst eigene Regeln und Belohnungen ausgedacht. Und so hing schon in der ersten Klasse ein Plakat an ihrer Zimmertür auf dem stand, dass sie z.B. für's Zimmer aufräumen oder Mithilfe im Haushalt einen Punkt (Smiley) bekommt, für 10 Punkte gibt es 1x Eis essen, für 20 Punkte einen Besuch im Zoo, bei 30 Punkten gehen wir zusammen in den Zirkus, ...
Als ich merkte, wie wichtig ihr das ist, habe ich mich drauf eingelassen. Es gab keinen fixen Zieltermin, also auch keine Regelmäßigkeit, aber auch wenn es mal ein paar Tage keinen Punkt gab oder es länger dauerte, ein Ziel zu erreichen, hat sie nie das Interesse verloren. Sie war mächtig stolz auf ihre Punkte und wir haben jedes Ziel mit ihr auch eingelöst!
Irgendwann war der Kalender dann voll, wurde abgehängt und durch keinen neuen mehr ersetzt. Sie hat aber immer wieder mal erwähnt, dass sie gerne wieder einen Punktekalender hätte. Und dann kam die Idee mit dem Handy ...
Am Montag war erster Schultag. Sie war hochmotiviert und hat gleich am ersten Tag gefragt: "Du, ich hab' doch heute alles wieder mitgebracht und ganz ordentlich meine Hausaufgaben gemacht. Kriege ich dafür auch schon einen Punkt?" Und ich habe den Kalender ja noch gar nicht mal fertig ...
Es ist ihr also wirklich wichtig, und unter diesen Umständen finde ich die Idee dann auch gar nicht mehr so schlimm. Ok, ihr habt recht, Punktabzug wäre fies, die Regeln müssen noch mal überarbeitet werden und es sollten weniger und überschaubarere Regeln sein. Aber deshalb habe ich hier ja auch gefragt.
Mal noch ein anderes Beispiel: Jedes Kind ist ja bekanntlich anders. Und ich glaube, dass meiner Tochter Struktur und klare Anweisungen eher helfen als sie unter Druck zu setzen. Etwa beim Zimmer aufräumen. Natürlich bricht in ihrem Kinderzimmer regelmäßig das Chaos aus (wie vermutlich bei den meisten Kindern). Sporadische Anweisungen á la "Wie sieht es denn hier aus? Räum' mal dein Zimmer auf!" haben natürlich nichts gebracht. Eine zeitlang hatten wir feste Wochentage, wie in der Kita, da mussten alle Bauwerke jeden Freitag weggeräumt werden, weil samstags die Putzfrau kommt. Das selbe galt auch zuhause - half aber nichts. Ich habe mit ihr zusammen aufgeräumt, habe versucht sie anzuleiten. Wir haben sämtliche Kisten, Schubladen, Türen beschriftet - zwecklos. Sie steht hilflos im Zimmer und weiß gar nicht wo sie anfangen soll oder lässt sich von jeder Kleinigkeit ablenken. Dann habe ich angefangen, Checklisten zu schreiben:
- Erst die Legos in die Kiste
- dann die Bücher ins Regal
- dann die Puppenecke unterm Bett aufräumen
- dann die Klamotten (saubere in den Schrank, schmutzige und müffelnde in die Wäsche)
- dann den Schreibtisch (Stifte in die Stiftebox, Malbücher und Blätter in die Schublade, ...)
- usw.
Ungelogen: Eine halbe Stunde später stand sie mit stolzgeschwellter Brust und vollständig abgehakter Liste vor mir und das Zimmer war tiptop! Und das funktioniert seither immer so!
Kürzlich hat sie zum ersten mal alleine zuhause übernachtet. Wir waren ganz in der Nähe bei Freunden zum Geburtstag eingeladen. Ich habe ihr eine Liste dagelassen, was sie sich zum Abendessen machen kann, wie lange sie ferngucken darf, Zähneputzen, Toilette, Klamotten wegräumen, Licht aus nicht vergessen, um 20:00 Uhr ins Bett, Wecker auf 7:00 Uhr stellen, Telefon neben's Bett legen. Hat astrein geklappt - sie lag pünktlich im Bett, auf dem Nachttisch die abhakte Checkliste.
Gut, wenn ich also ein "Checklisten-Kind" habe, dann soll sie bitte von mir aus auch ihren Punktekalender wieder haben. Wenn es ihr hilft ist es doch ok. Außerdem ist man auf Dinge, die man sich selbst verdient hat, ganz anders stolz, als auf Sachen, die man einfach geschenkt bekommt. Mit ihrem eigenen Geld wird sie sich ein Handy lange nicht leisten können. Außerdem hat sie noch einen sehr abstrakten Bezug zu Geld. Ihre "Währung" sind die verdienten Punkte - und diese spart sie, um sich ihren größten Wunsch erfüllen zu können.
Das wichtigste an den eingangs genannten Regeln wäre mir eigentlich die Checkliste für die Schule, die ihr (hoffentlich) helfen soll, an alles zu denken. Mit "ordentlicher arbeiten" meine ich z.B., dass sie zum Unterstreichen ein Lineal benutzt, dass sie lieber radiert oder durchstreicht, statt drüber zu schmieren, dass sie die Ränder einhält und beim Schreiben auf der Linie bleibt, Abstand zwischen den Wörtern und Zeilen lässt - solche Sachen.
Dass sie sich damit schwer tut, weiß ich ja. Deshalb wollte ich ihr mit (freiwilligen!) Zusatzaufgaben entgegen kommen. Die Mithilfe im Haushält fällt ihr vielleicht leichter und sie kann auf diese Weise Patzer beim Umgang mit den Schulsachen wieder ausgleichen. Wenn sie jedes mal nur dann einen Punkt bekommt, wenn sie die Schulregeln erfüllt hat, das aber noch nicht zuverlässig hinbekommt, dann dauert es ja viel länger, bis sie die Punkte beisammen hat, und das ist dann frustrierend. Deshalb die Idee mit den Hilfsdiensten im Haushalt (die genannten Punkte sind alles Sachen, die sie schon ein paar mal mit mir zusammen gemacht hat, das kennt sie also und kann sie auch gut erfüllen).
Vielleicht sollte ich die Regeln für die Schule und die Aufgaben für den Punktekalender aber besser voneinander trennen. Obwohl ja gerade das Thema Umgang mit den Schulsachen der eigentlich Auslöser für den neuen Punkteplan war. Zumindest sollte ich die Regeln aber klarer formulieren und noch mal reduzieren.
Ja, es ist tatsächlich ein Problem für mich, jeden Tag ihre Schulsachen zu kontrollieren. Obwohl ich den Eindruck habe, dass es bisher aber gar nicht anders geht. Mit einer Checkliste könnte sie sich selbst kontrollieren - vielleicht würde ihr das zu mehr Selbständigkeit verhelfen und mich etwas entlasten.
Und Nein, ich habe keineswegs vor, meine Tochter ständig unter Druck zu setzen. Ganz besonders nicht, wenn es um die Schule geht. Ohne ein gewisses Maß an Ordnung geht es aber nun mal nicht. Ich hole ständig zerknüllte und zerrissene lose Blätter aus ihrem Ranzen, ihre Hefte und Mappen sind grundsätzlich unvollständig (was natürlich auch von ihren Lehrern moniert wird), von Eselsohren und Tintenflecken mal ganz abgesehen (die sind ja in einem gewissen Maß fast "normal"), und was ich da in den Sommerferien für eine Kruste vom Ranzenboden abgeschabt habe, möchtet ihr gar nicht wissen ... Also ein bisschen besser sollte das schon noch werden ...
Ich glaube ich schnappe mit jetzt mal Zitrulles Liste und versuche diese entsprechend anzupassen.