Ernst nehmen! Ich weiß zwar nicht, ob es der 9- oder der 11-jährige ist, von dem du gerade redest, aber das macht eigentlich auch keinen großen Unterschied mehr. Das ist kein kleines Kind mehr, der sich mit netten Worten beruhigen lässt. In dem Alter wollen wir die Welt begreifen, und die Komplexität macht uns manchmal Angst oder überfordert uns. Solche "Weltuntergangs-Krisen" sind in dem Alter (bzw. später in der Pubertät) normal und haben nichts mit dem Maja-Kallender zu tun. Ich habe auch oft wach gelegen und mir die Unendlichkeit des Universums vorgestellt und mich furchtbar klein und unbedeutend gefühlt und tausend Ängste gehabt: Was, wenn die Sonne explodiert? Was wenn die Erde plötzlich ihre Umlaufbahn verlässt? Und was ist mit der Klimakatastrophe, von der alle immer reden? Werden wir alle irgendwann vor Hitze umkommen, in Überschwemmungen ertrinken oder vom Ozon verbrannt werden?
Es ist immer irgend ein kleiner Anlass, der uns zum Nachdenken bewegt. Und auch wenn uns das erst mal Angst macht und bedrückt und belastet - im Endeffekt ist das sogar sehr gut und wichtig so! Dein Sohn beschäftigt sich - vielleicht zum ersten mal in seinem Leben - mit der Vergänglichkeit unserer Welt. Und mit seiner eigenen Vergänglichkeit. Versuche ihn nicht davon abzubringen, denn das ist wichtig für ihn.
Zum einen würde ich ihm viel Verständnis signalisieren, ihm sagen, dass ich solche Gedanken auch selbst kenne und manchmal auch ganz viel Angst habe. Und dass diese Angst irgendwie auch zum Leben dazu gehört. Wir wissen nun mal alle, dass wir irgendwann auch wieder sterben werden. Nur wann das ist, das weiß vorher niemand. Auch die Maja nicht. Es wird mit Sicherheit Menschen geben, die am 21.12. sterben werden, weil leider jeden Tag Menschen auf dieser Erde sterben. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass gleich die ganze Welt untergeht. Die Maja waren auch nur Menschen. Es gab schon so viele Prophezeihungen vom Weltuntergang, und keine hat sich bisher erfüllt. Weil Menschen sich irren können. Und sich sogar verdammt oft irren. Aber dass keiner von uns weiß, wann genau er eines Tages sterben wird, das ist etwas, was uns Angst macht. Das macht jedem Menschen Angst. Aber es hilft uns auch, uns auf den Tod vorzubereiten.
Als erstes solltest du - als Mutter - dir darüber klar werden, was der Tod für dich ganz persönlich bedeutet. Glaubst du an ein Leben nach dem Tod? Glaubst du an Gott? An den Himmel? Was passiert mit unserer Seele nach dem Tod? Glaubst du, dass die Verstorbenen noch bei uns sind, dass wir mit ihnen reden können? Was auch immer deine persönliche Meinung ist: Rede mit deinem Sohn darüber. Sage ihm, an was DU glaubst.
Ich persönlich bin ja eher etwas "radikal" eingestellt - obwohl ich an Gott glaube. Aber ich bin überzeugt, dass unsere Persönlichkeit, unsere "Seele" im Grunde nichts anderes als chemische und physikalische Prozesse in unserem Gehirn sind. Alle unsere Emotionen, Gedanken und Erinnerungen werden vom Gehirn verarbeitet. Unser Gehirn ist unser Bewusstsein. Wenn wir aber sterben, dann stirbt auch unser Gehirn. Sobald das Gehirn nicht mehr mit Sauerstoff versorgt wird, schaltet es sich ab. Wir hören auf zu fühlen, zu denken, und letztlich hören wir auf zu existieren. Was bleibt ist ein großes Nichts - wir "wissen" nicht, dass wir tot sind, spüren nichts mehr, bekommen nichts mehr mit. Der Tod ist für mich kein Übergang in eine andere Dimension oder eine andere Form der Existenz. Unser Bewusstsein kann außerhalb des Körpers nicht existieren und kann auch nicht weitergegeben werden an einen anderen Körper. Für mich ist der Tod also ein finales Ende. Was ich auf der anderen Seite aber auch sehr tröstlich finde, denn so weiß ich, dass mich diese Situation dann nicht mehr belasten wird. Ich bekomme ja nichts mehr mit. Ich habe also keine Angst vor dem Tod. (Höchstens vor den Umständen meines Todes - aber das ist eine andere Geschichte ...).
Auch wenn das jetzt etwas nüchtern oder lieblos klingt, aber das wäre es, was ich auch meiner Tochter (je nach Alter) erklären würde. Es hilft nicht, sich gegen etwas zu wehren, was man eh nicht ändern kann. Aber es hilft, sich damit auszusöhnen.
Frage deinen Sohn, was er denn noch alles tun wollte, wenn er wüsste, dass nächste Woche die Welt untergeht. Ob es noch etwas wichtiges gibt, dass er vorher erledigen möchte. Oder wenn er z.B. schwer krank wäre, wie würde er sich wünschen, die letzten Tage in seinem Leben zu verbringen? Am besten wäre es doch, wenn man noch mal ganz viel Spaß hat, wenn man lachend aus der Welt gehen kann, oder? Und wenn man die Menschen, die man am meisten liebt, in seiner Nähe hat. Also: Macht euch ein paar möglichst schöne Tage, lacht zusammen, kuschelt ganz viel, und dann schauen wir mal, ob wir am 21.12. noch alle hier sind, oder ob die Majas Recht behalten haben.
Und wenn er gerne mehr erfahren möchte, dann suche mit ihm im Internet oder in der Bücherei nach Infos über die Majas und ihre Kalenderschreibung. Er ist alt genug dafür. Er muss selbst recherchieren, eigene Erkenntnisse gewinnen. Du kannst ihm das nicht einfach vorgeben. Dass er an deinem Wissen und deinen Aussagen zweifelt, ist absolut gesund und wichtig für ihn. Nimm seine Zweifel ernst und lasse seine Ängste zu. Er soll sich natürlich nicht davon lähmen lassen, aber er darf (und muss) sich aktiv damit auseinander setzen. Er wird erwachsen ...
Viel Glück und ... bis nächste Woche!