Mein Mann verdient um ein VIELFACHES mehr als ich. Er genießt in seinem Job auch viele Freiheiten, ist oft im Homeoffice und dadurch sehr viel mehr präsent in der Familie als bei vielen anderen Vätern. Er hilft auch sehr viel im Haushalt mit. Auf der anderen Seite ist er aber auch oft im Außendienst und häufig auch über Nacht oder für mehrere Tage unterwegs. Entsprechend ist die Fürsorge für unsere gemeinsame Tochter in erster Linie meine Aufgabe.
Ich bin seit einigen Jahren selbständig. Mit der nötigen Disziplin und Ehrgeiz könnte ich auch da sehr viel erfolgreicher sein und größeren Umsatz machen. Aber das Gehalt meines Mannes reicht komplett für unseren Lebensunterhalt aus. Ich habe tatsächlich das "Problem", dass ich nicht arbeiten "muss" und mir entsprechend oft die Motivation und der Sinn in meiner Arbeit fehlt ...
Da ich mir meine Arbeitszeit relativ frei einteilen kann und Einfluss darauf habe, ob oder wie viele Aufträge ich annehme, arbeite ich nach wie vor nur in Teilzeit und passe meine Arbeitszeiten den Betreuungszeiten meiner Tochter an. Es gibt hier einen Hort, den ich für Ganztagsbetreuung in Anspruch nehmen könnte. Sogar flexibel nur tageweise. Aber bis dato will ich das eigentlich nicht. Ich bin es auch von zuhause so gewohnt, dass immer jemand da war, wenn wir mittags von der Schule kamen. Und so wünsche ich mir das auch für meine Tochter. Sie soll sich ihre Freizeit am Nachmittag weitgehend frei gestalten können und auch Rückzugsmöglichkeiten haben. Ich bin sicher, sie würde problemlos auch mit einer Hornbetreuung zurecht kommen, wenn ich meine Arbeitszeiten ausweiten wollte ...
Das mit der Gleichberechtigung ist so eine Sache. Ich würde so oder so niemals an das Gehalt meines Mannes heranreichen. Und momentan möchte ich auch lieber, dass meine Tochter zuhause aufwächst und nicht im Hort. Wir haben ja die Möglichkeit. Andere Eltern sind auf die Vollzeitbetreuung ihrer Kinder angewiesen, da stellt sich die Frage gar nicht erst. Ja, ich gebe zu, das ist auch ein bisschen Egoismus. Zum einen weil mir mein Job nicht ganz so sehr am Herzen liegt (ich beneide jeden, der in seiner Arbeit regelrecht aufgeht, das kenne ich so leider nicht), zum anderen weil ich nur dieses eine Kind habe und nur jetzt noch die Zeit mit ihr genießen kann. Sie wird eh viel zu schnell groß und ich möchte ja doch noch was von ihr haben. Ich bin wirklich von Herzen gern Mutter und dankbar, dass ich die finanzielle und zeitliche Möglichkeit habe, viel am Leben meiner Tochter teilzuhaben - vom Kindergeburtstag über Hausaufgabenbetreuung bis zum Schulfest.
Auf beruflicher Seite freilich hinterlässt unser Arrangement einen etwas faden Beigeschmack. Es ist sicher nicht optimal. Aber dass mein Mann seine Arbeitszeiten reduziert wäre genauso bescheuert bzw. in seinem Job auch gar nicht möglich. Und ja, ich habe tatsächlich das Gefühl, dass mein Mann oft überlastet ist. Nicht nur aus beruflichen Gründen (da wechseln sich Spitzenzeiten und ruhigere Phasen immer wieder ab), sondern weil er auch privat sehr viel macht, sich etwa um unsere ganzen Finanzen kümmert, der Handwerker und Administrator in unserer Familie ist, sich zudem in seinem Verein engagiert und da zum Vorstand gehört und die Kasse verwaltet, ... Ok, letzteres ist freiwillig, aber irgendein Hobby, eine Leidenschaft steht auch ihm zu, auch wenn diese zusätzlich sehr zeitaufwändig ist. Und ja, mein Mann leidet manchmal auch darunter, dass er zu wenig von unserer Tochter hat. Zwar mehr als manch anderer Vater aber eben auch deutlich weniger als ich. Er hat immer wieder ein schlechtes Gewissen, wenn er bei manchen Aktivitäten nicht mit dabei sein kann, wir auch manchmal am Wochenende etwas ohne ihn unternehmen, weil er zum Verein muss oder ich den anstehenden Kindergeburtstag komplett alleine organisiere (seine Tochter und deren Geburtstag ist ihm schließlich genauso wichtig). Ich weiß auch nicht, wie ich ihm dieses schlechte Gewissen nehmen soll. Er tut wahrlich genug für uns und ist für uns da, wenn wir ihn brauchen.
Ich glaube, eine Familie, in der die Aufgaben wirklich ausgewogen verteilt sind, gibt es so gut wie kaum. Mein Mann hat das Gefühl, er leistet zu viel und hat zu wenig Zeit für seine Familie und seine eigenen Interessen und ich habe das Gefühl, ich leiste zu wenig, mein Job ist überflüssig und ich führe mein privilegiertes Leben auf Kosten meines Mannes. Wir wissen aber beide nicht, wie wir das umverteilen sollen. Dabei hatten wir sogar schon darüber nachgedacht, dass ich meine Selbständigkeit aufgebe und die persönliche Assistentin meines Mannes werde, um ihn zumindest bei administrativen Tätigkeiten etwas zu entlasten. Aber auch das ist ein nicht ganz ungefährliches Modell ...