Ich frage mich gerade, was mit mir heute nicht stimmt ... denn ich finde den Artikel nicht schlimm.
*hüstel*
Er stellt eine Reaktion auf ein Titelbild dar, das ebenfalls provozieren sollte. Ich weiß nichts über die Frau, die sich dort darstellen ließ, aber die Art des Fotos sollte schocken und provozieren, die Kleidung des Kindes (evtl. sogar doppeldeutig gemeint), ihre Haltung, etc. pp.
So und nun muss man irgendwie darauf reagieren. Denn es war eben kein romantisches Titelbild, dass man irgendwie übersehen kann oder eben zerreissen kann, sondern es war eine Kampfansage und die Redakteurin antwortet.
Sie ist heftig im Ton, aber auch klar, ihre Meinung eben, soll sie diese haben. Und gleichzeitig sagt sie, dass sie ein ganzes Jahr gestillt hat (sie hat mittlerweile Enkelkinder, d.h. ihre Kinder sind vermutlich 20 Jahre oder älter, o.k. vielleicht hat sie auch noch Nachzügler und hat nur die lange gestillt, aber egal ein Jahr stillen ist auch schon eine Ausnahme in D).
Und dann hat sie mit manchen Dingen recht, denn genau das ist es, es gibt nicht nur schwarz und weiß und es ist nicht immer lange stillen "super". Es ist nicht das Allheilmittel und man muss gewisse Dinge mMn auch in einem gesellschaftlichen Kontext sehen.
Das Glorifizieren der "ursprünglichen Kultur" geht mir z.B. tierisch auf den Keks, denn es ist tatsächlich Mumpitz!
Der Vorteil unserer individualisierten, intellektuellen und vor allem in Sicherheit und zum Großteil im Reichtum lebenden Gesellschaft ist, dass wir "frei" sind, wir können von den Erfahrungswerten anderer Kulturen profitieren, wir können reflektieren, ausprobieren, verwerfen, neue Thesen aufstellen und aus einem Sammelsurium an Ansichten unseren Weg (auch mit unseren Kindern) konzipieren.
Die wenigsten, die sich hier "den vollen Luxus der Natürlichkeit" gönnen (also den vermeindlichen) würden in einer "natürlichen / traditionellen / ursprünglichen Gesellschaft" leben wollen und können. Zumindest nicht mit ihrem differenzierten Wissen und ihren individuellen Ansichten. Eine gewisse Strenge, Härte, Aberglaube, starke Werte und Normen und noch viel mehr waren die Bausteine ... ich bezweifele, dass ein "Häuptling" oder "Führer" eines kleinen Dorfes im Urwald gewaltfreie Kommunikation oder Kloeters eingesetzt hat, sondern es gab Regeln, die befolgt werden mussten und Initiationsriten und auch wenn ich mir davon mehr sinnvolle in meinem Leben wünschen würde, so doch nicht in dieser Macht und Fülle.
Und dann gibt es noch den Aspekt, dass mittlerweile durchaus die Gefahr besteht, dass das "ganz natürliche" auch in einer kleinen Subgruppe zum Kult verfällt und in diesem Prozess tatsächlich auch kindliche Grenzen überschritten werden und das "Alternativsein" genutzt wird, um sich zu positionieren und die eigenen Motive nicht mehr reflektiert werden. Aber ich gebe zu, dass ich davon ausgehe, dass es sich hierbei um kleine Subgruppe handelt
Ich persönlich finde es eine Bereicherung, wenn sich in unserer Gesellschaft mehr und mehr durchsetzt, dass Beikost nicht gleich Abstillen bedeutet und dass man einen Laufling ruhig noch stillen kann ... eine Bereicherung wäre, wenn es nichts sonderbares mehr ist einen Jährling gerne zu stillen und auf diesem Weg sind wir. Alles über 1,5-2 Jahre obliegt dann mMn so wie zuvor auch schon, den individuellen und familiendynamischen Prozessen und Ritualen. Während die eine Familie möglicherweise Ritual X hat, hat die andere das Stillen beibehalten.
Genauso würde ich mir wünschen, dass die Menschen weniger den Fokus aufs Kind legen, sondern mehr den Fokus auf sich und ihre Gefühle: wie geht es mir? was brauche ich um glücklich zu sein? welche Rolle habe ich in meinem Leben, in der Welt? was möchte ich zurückgeben und was sind die Werte mit denen ich leben will (Nachhaltigkeit, Ressourcen schonendes Leben, Gerechtigkeit, Fairness)? Wenn die Erwachsenen ihren Weg finden, ihre Wurzeln und dabei einfach ihr Kind dabei haben ... anstatt das Kind zu einem neuen Projekt zu machen, dem man am besten mit dem Maximum an AP, CC und bitte aber auch Förderung nach Pikler, PEKiP oder vielleicht doch die Waldorfspielgruppe, Early English, Babyschwimmen, Babymassage und vielen anderen Dingen, welche die Beziehung fördern und die Bindung und die Mutter ängstlich auf das Kind blicken lassen mit der Frage "Mache ich es richtig? Bin ich gut genug?"
Wie gesagt, der Vorteil und Luxus unserer Gesellschaft ist, dass wir viel freier sind als unsere Urururgroßmütter und -väter. Ausschlaggebend für Bindung und Beziehung ist Feinfühligkeit, Präsenz und Differenzierung ... und im Idealfall bei einem Baby und Kleinstkind in Kombination mit körperlicher Präsenz. Im "natürlichsten Fall" mag dies über das Stillen geschehen ... aber es muss garantiert nicht - wie auf dem Times Magazin mit Provokation hervorgebracht werden ... kann es natürlich ... aber dann finde ich eine leicht gereizte, schnippische Antwort einer Redakteurin nicht schlimm. Da fand ich andere Artikel schon deutlich unangemessener (gab es da nicht mal einen wo stillende Frauen mit Milchkühen verglichen wurden?).
Hier geht es doch nur darum, dass die Redakteurin zurückmotzt und klar stellt, dass "echtes LZS" und ein zur Showstellen und Propagieren als "Bestes Mittel der Mutterschaft" unhaltbar ist.
Und so sehe ich es auch ... allerdings erlebe ich im real life - zum Glück - sehr selten Mütter, die dies in einer solchen Heftigkeit darstellen, sondern meistens Frauen, die es einfach tun, etwas hin und her schwanken wie lange sie es wollen, wie sie sich dabei fühlen, aber ganz viele - und das freut mich sehr - die einfach ihren Weg finden, nachdem sie sich hier und dort etwas belesen haben und in ihren Bauch rein gefühlt haben und das ist schön.
Liebe Grüße
Nicole