So, jetzt habe ich es endlich bis hierher geschafft mit dem Lesen und möchte mich auch gern zu den Sachen äußern.
Erst einmal eine subjektive Einschätzung von mir: Während ich bei Trin aus jedem Post das ehrliche Bemühen um die Bedürfnisse ihrer Kinder im Speziellen und alle Kinder im Allgemeinen lese, habe ich bei Odette das starke Gefühl, dass um ihre persönliche Utopie geht.
Und ja, ich finde es auch ganz wichtig, dass kein Kind kriminalisiert wird, für das Schule eine Qual ist. Da müssen Ausnahmeregelungen geschaffen werden. Aber gleichzeitig finde ich es unglaublich wichtig, dass den Eltern, die Raxi beschreibt, richtig Druck gemacht wird und zwar meiner Meinung nach am besten über eine verbindliche Schulpflicht.
Es muss also Alternativen für begleitetes Lernen geben, aber die Inanspruchnahme sollte an bestimmte Randbedingungen gekoppelt sein. (Ist ein sehr blödes Beispiel, aber an der Schule meines Mannes gibt es einen Fahrstuhl für Kinder und Lehrer, die nur schlecht Treppen steigen können. Für alle anderen Kinder und Lehrer ist dieser Fahrstuhl tabu.)
Eine nächste Sache, die damit zusammen hängt und mich beschäftigt, ist die Frage nach dem 'Wer' und 'Warum'. Es gibt eine Gruppe Kinder, die von Homeschooling enorm profitieren würden und eine (vermutlich viel größere) Gruppe Kinder, die in ihrer Sozialkompetenz und Interessenvielfalt in der Schule gut gefördert werden. Ebenfalls gibt es, vereinfacht gesagt, zwei Gruppen Eltern: Eine, die sich Homeschooling vorstellen könnte und eine (wieder viel größere), die es ablehnt. Aber wer sagt denn, dass die Homeschoolkinder-Gruppe ausgerechnet Homeschooleltern hat? Wenn wir von den hier oft besprochenen 2-5% ausgehen, ist die wahrscheinliche Schnittmenge winzig. Vermutlich werden also hauptsächlich Kinder heimbeschult, weil die Eltern es wollen, obwohl die Kinder sich in einer Schule sehr wohl fühlen würden. Anders herum müssen einige Kinder Schule aushalten, obwohl sie daran fast zerbrechen.
Und dann gibt es noch die dritte Variante, nämlich Kinder, auf die wirklich geschaut wird und die an der für sie besten Alternative landen.
Aber wie groß wäre der Anteil dieser Kinder? Wäre die Wahlfreiheit wirklich ein Gewinn oder würde es nicht reichen, die Rahmenbedingungen für Ausnahmen und zwar mit auf das Kind bezogenen Kriterien festzulegen?
Ich frage mich das deshalb, weil ich zum Beispiel von dem hier beschriebenen England einen ganz und gar anderen Eindruck bekommen habe. Ich war als Teenager zum Schüleraustausch dort, öffentlich Schule in einem katastrophalen Zustand (Ingatestone, nette Kleinstadt bei London). Der Schulleiter hat ein Bein nachgezogen, weil er einmal von einem Schüler angeschossen wurde. Im Unterricht hat niemand mitgearbeitet, der Biologielehrer rief immer auf und wunderte sich sehr als wir deutschen Gäste uns eigenständig meldeten und einbrachten. Das Essen in der Kantine war unbeschreiblich. Es wurde etwas in bräunlicher Farbe als Gemüse angeboten, von dem beim besten Willen nicht herausschmecken konnte, was für Gemüse drin sein sollte. Die Schüler trugen zwar Uniformen um soziale Unterschiede zu kaschieren, diese waren aber trotzdem mehr als augenfällig.
Ich weiß, vielleicht ist das kein Automatismus und eventuell muss Wahlfreiheit nicht bedeuten, dass die staatlichen Einrichtungen dermaßen den Bach heruntergehen. Aber die Gefahr besteht zweifelsohne. Wenn ein Schüler Probleme hat, warum sollen sich Eltern und Lehrer gemeinsam um deren Lösung kümmern, wenn man den Schüler einfach 'loswerden' kann? Warum sollen Eltern ihre Kinder dem 'gemeinen Volk' aussetzen, wenn man doch in Privatschulen unter sich bleiben kann? Welche hochmotivierten Lehrer sollen an den staatlichen Schulen unterrichten, wenn sie an der privaten das Doppelte verdienen und 'einfachere' Schüler haben?
Abschließend fürs Protokoll: Ich hatte eine tolle Schulzeit. Ja, mit Konflikten und auch mit blöden Lehrern, aber nie habe ich mich mit etwas allein gelassen oder ausgeliefert gefühlt. Mein Sohn geht ebenfalls sehr gerne zur Schule und ich bin schwer beeindruckt, von der Vielfalt der Lehrmethoden, der Flexibilität der Unterrichtsgestaltung und dem eigenverantwortlichen Arbeiten der Schüler. Das hat nichts mehr mit meiner Schulzeit gemein und ich finde die Entwicklung beachtlich. Auch, wenn ich ja gerade in der Grundschulzeit der Meinung bin, dass eine emphatische Lehrerpersönlichkeit vollkommen ausreicht, um ganz unabhängig vom Lehrkonzept allen Schülern den Spaß am Lernen zu erhalten.
Noch etwas zu Zwang und Freiheit: Ich habe mich als Kind immer in der Verantwortung gefühlt in die Schule zu gehen und fand es gut. Schule war mein Job und mein Job war mir wichtig. Vermutlich wusste ich sehr lange nicht einmal von Schulpflicht.
Trin, warum wussten deine das Kinder so früh? War es von Anfang an schrecklich für deinen Sohn, sodass du ihm sagen musstest, es gibt keine Alternative? Vermutlich sind sie doch auch vorher im Kindergarten gewesen und wenn du selbst gearbeitet hast, hast du sie ja auch nie 'einfach so' daheim lassen können. Warum empfanden sie es mit der Schule dann plötzlich als Zwang?
(Ich frage das, weil ich bei meinen Kindern gerne die 'Selbstverständlichkeit' von bestimmten Dinge nutze um keinen 'Zwang' auszuüben. Zum Beispiel beim Zähneputzen oder Essen, wo wir es 'einfach' gemeinsam tun und keine große Sache draus machen.)
Und Freiheit: Ich habe mich in meiner Schulzeit unglaublich frei gefühlt, frei und verantwortlich für meine eigenen Sachen, die mit meinen Eltern nichts zu tun hatten. Obwohl ich auch viel von meinem Vater und meiner Mutter gelernt habe (Löten, Anpflanzen, Sticken, sich um Tiere kümmern). Ich hatte sehr liebevolle und entspannte Eltern (selbst drittes Kind, Nesthäkchen) und brannte auf 'die Welt'. Ich wollte meine eigenen Aufgaben.
Odette, wie war denn deine Schulzeit und deine Kindheit allgemein? Glaubst du, dass deine Kinder in eurem Familienverbund frei sind? Sind sie sich deine Kinder so ähnlich, dass Homeschooling für alle das beste ist? Was ist mit deinem Mann, wie viel hat er Anteil an eurem Familienleben?