Arm aber glücklich?

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  • Schlimm ist es, wenn man die eigenen Kinder als Schmarotzer behandelt. Ich weiß auch nicht, warum meine Eltern uns haben und dieses Gefühl, total überflüssig und ungewünscht zu sein (obwohl sie uns nach eigenen Aussagen geplant haben), gibt einem nicht viel Selbstvertrauen auf den Weg mit...


    Meine Eltern waren immer sehr freigiebig vor anderen, haben gespendet, wenn es öffentlich bekannt gegeben wurde, haben mir auf Schulausflügen sogar Essen mitgegeben (sonst gabs nie Schulbrot) oder später auf Klassenfahrten auch Geld, aber das sollte ich möglichst nicht ausgeben. Und Extras wie Klamotten hat meine Mutter von ihrem Putzgeld bezahlt, mein Vater war davon überzeugt, dass man mit 14 volljährig und somit für sich selbst verantwortlich ist und Schule dann überflüssig ist und man selbst Geld verdienen muss (hab sonntags ab 4 Uhr morgens Zeitungen rumgetragen)...


    Das Thema Geld und Armut kann ich nicht objektiv genug betrachten, bin daher raus hier. Sorry. #schäm


  • All diese Dinge können einem Armen aber auch passieren..


    Genauso ist es. Und es hilft einem keiner, wenn man am Boden liegt und kein Geld hat... :|

  • trotzdem danke Lemony! Es tut auch irgendwie gut, nicht allein mit dem Gefühl zu sein. Ich fühl so oft schlecht, weil ich arm bin, und ich fühl mich nochmal schlechter, weil ich mich deshalb schlecht fühl.


    Deine Familie klingt total erschreckend!

  • Ich gestehe: Ich genieße es, ein bisschen Geld zu haben und mal ohne Magenschmerzen Dinge kaufen zu können, die mal ein paar Eure mehr kosten als das Minimum.
    Grundsätzlich allerdings halte ich mich heute nicht für glücklicher als vor 10-12 Jahren, als wir teilweise mit zwei Kindern auf 45qm wohnten, 15 von 30 Tagen Nudeln mit Käse aßen und in Küche und Flur nicht mal nen Bodenbelag hatten, weil wir keine Ahnung hatten, wovon wir den bezahlen sollten.
    Wir waren jung und all das war unser (zumindest von unseren Schulden bezahlt) und wir waren stolz, dass wir das hinbekommen haben.
    Wir waren keinesfalls unglücklich, aber sehr bestrebt, mehr zu bekommen, um alles zu schaffen und uns mal was leisten zu können.


    Als Kind war ich nie unglücklich, weil wir weniger Geld hatte als die anderen. Meine Eltern haben mir da aber auch viel Mut gemacht, es auf alternativen Wegen zu versuchen. Meine Mutter ist mit mir z.B. im Sommer mal nachts übern Zaun vom Freibad geklettert und wir sind heimlich geschwommen. Da konnte die Dauerkarte meiner Freundinnen nicht mithalten: Ich konnte vielleicht nur selten mit den anderen Kindern ins Schwimmbad - aber nachts heimlich baden war eh viel cooler und meine Freudinnen wurden das Schwimmbad schnell leid, als ich ihnen eine "gemeine Stelle" am See gezeigt habe.
    Die Reitstunden, die ich wollte und die meine Eltern NIE hätten bezahlen können, konnte ich mir erarbeiten mit Boxen ausmisten, Pferde putzen und Anfänger führen. Das war oft supereinfach, man musste nur fragen.
    Sowas ist heute leider viel schwieriger, allein die Zeit ist für Kinder kaum mehr aufzubringen bei Ganztagsschule und Co.


    edit: Ich muss auch sagen, dass ich mir früher nie Gedanken darum gemacht habe, dass es schlecht ist, dass ich kein Auslandsjahr oder Studium machen kann. Das war nie eine Frage - das ging einfach nicht und fertig.

  • Ich denke, meine Eltern vorallem meine Mutter haben mir da etwas miteinander verwoben, was eigentlich separat ein Problem ist - sie haben NIE aber wirklich NIE etwas mit uns unternommen. Nicht mal spazierengehen zum Sonntag. (O-Ton: Du kannst doch alleine gehen! - ich war vier...) Der Grund war immer der selbe: wir haben kein Geld.
    Sie haben sich nichtmal die Mühe gemacht zu schauen, was denn Instrumentenunterricht oder ein Instrument kostet. Immer kam nur der Grund: wir haben kein Geld!


    Bei uns hieß es immer: Dein Vater hat für sowas keine Zeit, der muss arbeiten. Er war Pastor. Ansonsten war es das Gleiche. Deswegen mach ich wohl Glück nicht so sehr am Geld fest, sondern mehr an der Zeit?!
    Aber ich denke, wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Fehler unserer Eltern unbesehen übernehmen.


    Dass Geld die Lebensqualität deutlich erhöhen kann, da gehe ich voll mit euch mit. Aber ich möchte nicht so gerne Lebensqualität mit Glück verknüpfen. Ein Beispiel:
    Meine Mutter ist 84 und hat Parkinson und Alzheimer als brisante Mischung. Sie kann nicht mehr denken und jetzt auch nicht mehr richtig reden. Von Lebensqualität möchte ich da nicht reden. Aber sie ist glücklich wie sie so in ihrem Rollstuhl sitzt. Sie freut sich wenn die netten Schwestern vom Pflegedienst sie versorgen und macht Späße mit ihnen. Sie ist wirklich glücklich. Das macht mich wiederum froh. So gesehen hat sie es trotz allem gut. Auch wenn ihr Leben nun echt nicht mehr viel Qualität aufweist.
    Klar ist es in unserem Land mit Pflegestufe III sicherlich besser als irgendwo anders und das hängt irgendwie auch mit Geld zusammen. Aber ich kenne so viele unglückliche ältere Leute die nur rumschimpfen und den gleichen Pflegesatz bekommen. Es kann nicht nur am Geld liegen!

    LG
    Doula


    Der Mensch zu werden, zu dem ich geschaffen bin - das ist meine Lebensaufgabe!

    Ingrid Trobisch

  • Ich denke auch, dass da zwei Dinge vermischt werden. Armut und Vernachlässigung/Desinteresse sind verschiedene Dinge, die zusammen auftreten können, aber nicht müssen. Dazu kommt die Relativität von "Armut". Ist wirklich kein Geld da oder sind die Prioritäten und Einstellungen der Familienmitglieder unterschiedlich? In meiner Herkunftsfamilie gab es ganz komische Einstellungen zum Geld, auf der einen Seite öfter dicke neue Autos, elektronischer Schnickschnack, teure Geschenke usw., auf der anderen war "kein Geld da" für Wünsche wie Musikunterricht, Austauschjahr oder später Studium. Und immer wieder Geschenke statt gemeinsam verbrachter Zeit und echter Anteilnahme. Urlaube wurden mit zunehmendem Einkommen meines Vaters rarer und wurden auch mal kurzerhand abgebrochen, weil die Arbeit spannender oder wichtiger war. Nein, glücklich hat mich das nicht gemacht. Vielleicht bin ich deswegen jetzt selber arm, quasi aus Rebellion ;)
    Ich glaube ganz fest daran, dass es viel mehr darauf ankommt wie man mit wenig Geld umgeht als auf die tatsächliche Einkommenshöhe. Mein Mann ist mein Paradebeispiel. Der macht sich nicht viel aus Geld, wenn er welches hat, schön, wenn nicht, dann nicht, dann macht er das beste draus, ist genügsam und wird einfallsreich. Aufgewachsen ist er in einer armen Arbeiterfamilie mit 4 Kindern, keiner der 4 sagt er habe als Kind was vermisst.

  • @ milbenfuß: Es tut gut zu lesen, dass andere meine Eltern auch schrecklich finden. Ich muss mir immer nur von ihnen anhören (und auch von der durch sie beeinflussten Umgebung), dass ich es ja so gut gehabt habe. Manche sagen auch, zu gut, also im Sinne von verwöhnt, überkandidelt, verzärtelt... (Letzteres ist aber gar nicht möglich, weil ich in einer emotionalen Eishöhle aufgewachsen bin).

  • Meine Mutter ist mit mir z.B. im Sommer mal nachts übern Zaun vom Freibad geklettert und wir sind heimlich geschwommen. Da konnte die Dauerkarte meiner Freundinnen nicht mithalten: Ich konnte vielleicht nur selten mit den anderen Kindern ins Schwimmbad - aber nachts heimlich baden war eh viel cooler


    Das ist ja echt cool!! #lol
    Tolle Mutter! #love

    LG
    Doula


    Der Mensch zu werden, zu dem ich geschaffen bin - das ist meine Lebensaufgabe!

    Ingrid Trobisch

  • Arm sein macht definitiv nicht glücklich.
    Wirklich reich sein wahrscheinlich auch nicht. Letzteres werde ich aber nie erfahren also ist das lediglich eine Mutmaßung.


    Es ist einfach Fakt, das viel zu wenig Geld Kummer und Sorgen mit sich bringt. Jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr.
    Und das macht mürbe und oft auch krank.
    Zufrieden? Nein... ich denke es ist oft eher Resignation.
    Ich persönlich (!) glaube jemanden auch nicht wenn er mir sagt er sei zwar wirklich arm aber glücklich.


    Ich finde es einfach nicht schön wenn ich meinen Kinder so oft sagen muss, das dieses und jenes nicht geht, weil kein Geld dafür da ist. Mich macht das traurig. Ich würde ihnen auch gerne Wünsche erfüllen können, die nun mal oft teuer sind. Ihnen ermöglichen können zu studieren und eine gute Ausbildung zu bekommen. Auch das kostet oft viel Geld.
    Oder in den Urlaub fahren, spontan etwas erleben... Freizeitparks, Kino, Events. All so was. Oder sich eine anständige Wohnung leisten zu können.


    Natürlich sind Gesundheit und ein liebevolles und harmonischen Miteinander das wichtigste. Und das lässt sich auch nicht mit Geld bezahlen.
    Aber fehlende Lebensqualität aufgrund zu wenig Geld grenzt oft auch aus und isoliert.


    Reich sein möchte ich gar nicht. Nur ausreichend Geld haben und ein wenig freier sein, vor allem im Kopf.

  • Wir waren jung


    Daran wird es aber auch liegen. Bei jungen Menschen (u 30) ist es okay, wenn sie "arm" sind. "Waren wir alle mal", in der Richtung. Bei älteren Menschen die es "nicht geschafft" haben, ist der Versagensdruck wesentlich höher.

  • Ich bin aufgewachsen im Glauben, wir wären "arm". Ich mache meinen Eltern keinen Vorwurf, als Kriegskinder hatten sie ein sehr seltsames Verhältnis zu Besitz. Tatsächlich, das hab ich erst gerafft, als ich Bafög beantragen wollte, mein Vater rumdruckste, dass er sein Gehalt nicht angeben wolle, und ich erstmals als Erwachsene darüber klar nachgedacht habe, war die Finanzlage immer locker Mittelstand. Nun war mein Umfeld auch nicht so dicke, insofern hab ich nicht so gelitten unter den abgetragenen Klamotten meiner Cousinen und dem Urlaub an der Nordseeküste im 3-Bett-Zimmer einer Pension und dem Abschminken aller Sonderwünsche.


    Heute gehöre ich mit einem anständigen Beamtengehalt (so viel immerhin, dass ich bei der letzten Gehaltserhöhhungsrunde in NRW nichts abgekriegt habe ;)) zu den Besserverdienenden (das relativiert sich schnell, wenn man das Minigehalt meines Mannes sieht und die Tatsache, dass wir ja zu 4 sind), aber ich hab nach wie vor Schwierigkeiten, mit dem Geld "angemessen" hinzukommen: Ich bin einerseits abgesichert bis an die Hutkrempe und andererseits nie flüssig. Und Geld ist für mich, wie ich finde, viel zu sehr Thema.


    Den gelassenen Umgang mit Geld zu lernen, ist also für mich noch immer eine schwierige Aufgabe.


    Wenn ich jeden Monat 1000 Flocken mehr hätte, wäre das nicht anders. Hätte ich viel mehr, hätte ich wohl neue Probleme. Hätte ich viel weniger, ginge es mir schlechter als jetzt.


    Ich denke, da können wir schon Herrn Maslow mit seiner Bedürfnispyramidezitieren; dabei muss man bedenken, dass die unteren beiden Stufen, die sich am meisten über das Vorhandensein von materiellen Mitteln definieren, im sozialen Kontext relativ sind. Wenn meine Freunde alle mehr Kohle haben als ich, bin ich eher unglücklich, als wenn ich genausoviel habe wie sie oder sogar mehr, unabhängig vom absoluten Wert. Hat also auch was von "über den Tellerrand gucken".


    Und, mein ganz subjektiver Eindruck: am meisten jammern die über's Geld, die offensichtlich mehr als genug davon haben. Womit sich der Kreis schließt: Glück unabhängig vom Geld zu empfinden hat auch was damit zu tun, wie gut man es schafft, Geld nicht so ein großes Thema sein zu lassen. Und dafür muss eine hinreichende Menge schon da sein.

  • @ Aoide: Ja, genau, deshalb wurde mir von meinen Eltern verboten, Bafög zu beantragen. Zu dem Zeitpunkt hab ich noch alles gemacht, was sie wollten. Ich hab dann aus meiner Ausbildungsversicherung 400 EUR pro Monat gekriegt bis zum 6. Semester (danach sollte ich gefälligst fertig sein) und sie waren ganz erstaunt, warum ich damit nicht hinkomme... Mehr Geld gabs nicht. Einkommen meines Vaters: um die 6.000-7.000 EUR geschätzt am durchschnittlichen Einkommen als Finanzbuchhalter inklusive Mieteinnahmen aus den Häusern. Als mein Mann meinem Vater das auf den Kopf zugesagt hat, hat mein Vater ihn als "Erbschleicher" diffamiert und überall Gerüchte rumerzählt...

    2 Mal editiert, zuletzt von LemonySnicket ()

  • Ich finde es einfach nicht schön wenn ich meinen Kinder so oft sagen muss, das dieses und jenes nicht geht, weil kein Geld dafür da ist. Mich macht das traurig. Ich würde ihnen auch gerne Wünsche erfüllen können, die nun mal oft teuer sind. Ihnen ermöglichen können zu studieren und eine gute Ausbildung zu bekommen. Auch das kostet oft viel Geld.


    Vielleicht ist das aber nicht nur schlecht?
    Jesper Juul unterscheidet bei Kindern nach Dingen die sie brauchen und Dingen die sie gern hätten. Viele Kinderwünsche sind Dinge, die sie gern hätten. Ich erfülle die auch gern. Aber tut das meinem Kind immer nur gut? Und ist es vielleicht nicht auch manchmal einfacher, das Eis im Einkaufszentrum abzulehnen weil das Geld knapp ist als weil ich jetzt nicht mag? Bitte versteht das nicht falsch. Aber ich bin der Meinung, dass eine Sache immer auch etwas Gutes hat - oder eine gute Sache oft auch einen Haken. Und es stimmt: Mein mutterherz blutet wenn ich dem Kind Wünsche abschlagen muss. Aber tut es dem Kind wirklich immer gut wenn es alle wünsche erfüllt bekommt? Und ist es nicht auch schwer, irgendwo dann selbst entscheiden zu müssen welcher Wunsch dem Kind nicht mehr gut tun würde? Wann es in der Menge zu viel wird?
    Damit möchte ich das blutende Mutterherz nicht kleinreden, das kenne ich auch.
    Wir zählten nie zu den reichen Leuten. (Sechs Kinder, nur ein Verdiener) Aber unsere vier Großen haben alle studiert, bzw. studieren noch. Da gibts ja Bafög. Mein Mann und ich durften in der DDR nicht studieren weil unsere politische Einstellung nicht systemkonform war. Heute können die Kids studieren, auch die aus großen Familien. Und das braucht nicht zwingend viel Geld!


    Wobei ich allen Recht gebe, die meinen, man orientiere sich eben an den Anderen. Das kann ich bestätigen. Es ist viel schwerer, mit einem Mindestsatz auszukommen (auch wenn der zum Leben reicht) wenn rundherum gefühlt alle viel mehr haben.
    Aber wenn die Menge des Geldes das ich besitze ausmachen würde, wie glücklich ich bin, dann wäre es ja nicht schwer, Leute glücklich zu machen. :stupid:

    LG
    Doula


    Der Mensch zu werden, zu dem ich geschaffen bin - das ist meine Lebensaufgabe!

    Ingrid Trobisch

  • ich glaube das kann man evtl. nur beurteilen, wenn man beides erlebt hat? Ich habe in Polen als Mitglied einer Randgruppe bittere Armut, Ausgegrenztheit und alle damit verbundenen Schikanen erlebt,auch wenn ich da noch sehr sehr klein ware, an das Frieren werde ich mich mein Leben lang erinnern. Danach in Deutschland eher das Gegenteil, durch meinen Vater der uns nach Deutschland holte ging es uns finanziell sehr gut, allerdings war auch genug Aufmerksamkeit vorhanden, aber die gab es vorher auch, nur nicht die Möglichkeit für ein Heim, genug zu essen, gute ärztliche Versorgung etc.... Und ich habe/hatte lange lange Angst wieder arm zu sein, nicht arm im Sinne von: es gibt keine Markenklamotten, Urlaub, teure Hobbys, sondern arm in Sinne von: Hunger, Kälte usw.

  • Zitat

    wenn es um (freie) Zeit geht? Das wäre bei mir der entscheidende Faktor.
    Ich glaube, ich wäre am glücklichsten eher arm aber umgeben von ungefähr ähnlich "armen" Leuten... also in einem Umfeld mit insgesamt niedrigerem (finanziellen) Wohlstandsniveau.
    Als Kind bin ich gut damit zurecht gekommen, dass wir wenig Geld hatten - ich hab' das zwar mitbekommen und irgendwie auch bedacht in manchen Situationen, aber unglücklich war ich deshalb nicht #weissnicht
    Momentan würde ich eher sagen, ich verzichte gerne auf einen Teil des Geldes/Einkommens, um mehr Zeit für's Familienleben zu haben. An der Schmerzgrenze, wo ich jede kleine Ausgabe beim Bäcker auf die Waagschale werfen müsste, würde sich das vermutlich aufhören.


    Warum geht ihr davon aus, dass Arme mehr Freizeit haben?!
    Bei meinem Exarbeitgeber haben sie Leute aus einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Stundenlohn knapp unter 7 Eur. Dafür haben sie 40 Stunden hart (physisch) gearbeitet und 1-1,5 Stunden Fahrt ( in einer Richtung!) auf sich genommen. Wenn der Partner keinen Job hatte, sind sie unter H4Niveau gelebt.


    Kein Geld, keine Zeit, oft noch gesundheitliche Probleme. Glück sieht anders aus.

  • Nur kurz ein paar kleine Gedanken dazu (mich hat gerade ein fieser Infekt am Wickel, richtig klar denken ist bei mir gerade nicht...):


    Ob meine Eltern wirklich superarm waren als ich Kind war, kann ich im Moment nicht sagen - aber ich erinnere mich, dass meine Mutter sich halt viele Sachen einfach nicht leisten konnte.
    Kleider waren fast durchgehend die abgelegten Sachen von zwei entfernten Cousinen, Schuhe und Sachen wie Schultasche, Federmappe und Co haben meine Großeltern bezahlt, weil meine Eltern das Geld dafür nicht hatten.


    Natürlich fand ich es ab und zu doof, wenn wir uns nicht alles leisten konnten - welches Kind findet das nicht.
    Aber auf der anderen Seite gab es dadurch viel mehr Gründe zur Freude, wenn es dann doch mal was von den "kostbaren Sachen" gab.
    Ich konnte mich wie irrsinnig über Kleinigkeiten wie einen besonders hübschen Bleistift oder ein Päckchen Aufkleber freuen - weil das eben was ganz besonderes war, was es nur an Feiertagen geschenkt gab.


    Und weil meine Sachen eben so kostbar weil selten und schwer zu kriegen waren, hab ich sie auch immer mit besonderer Vorsicht und Wertschätzung behandelt und gut darauf aufgepasst - sogar solche "Kleinigkeiten" wie Bleistifte, Anspitzer und Co - das hat sogar bei meiner Lehrerin immer auf der (sonst eher kurzen) Liste mit meinen guten Eigenschaften gestanden.



    Was Safira schreibt, kann ich bestätigen:


    Ich hatte eine sehr liebevolle Kindheit in einem uralten Provisorium mit geklauten und aufgearbeiteten Spermüllmöbeln: meine Eltern haben es "Haus" genannt, meine Großeltern eine "Ruine". Die "Ruine" lag in einem ziemlich "abgewrackten" Viertel: als ich mich mit dem Nachbarmädchen angefreundet hatte, hat meine Lehrerin besorgt meine Eltern angerufen: ob die wüssten, mit was für Kindern ich Kontakt hätte...
    Mein Zimmer war eine einzige Improvisation aus selbst gebastelten und
    geerbten bzw. "gefundenen" Möbeln und einer selbst bemalten
    Rauhfasertapete - ich durfte bei der Mitgestaltung helfen (z.B. die Tapete selbst mit Wasserfarben bemalen, den Uralt-Schrank mit Aufklebern verzieren, etc.) und ich hab dieses Zimmer geliebt.
    Wir konnten uns oft nicht viel leisten, aber wenn es dann mal was gab, war es immer ein kleines (oder auch größeres) Fest. Als Kind hab ich das ganze eher ärmliche Drumherum gar nicht so gesehen: das war eben so. Meine Eltern waren zum Glück sehr phantasievoll und haben viel improvisiert und aus den unmöglichsten Situationen immer das Beste herausgeholt - und das war für uns Kinder einfach nur toll.
    Meine Eltern konnten irgendwie mit fast nichts die tollsten Sachen zaubern: z.B. an einem nasskalten Herbstabend ein Bad im Licht unserer zahlreichen Papierlaternen, die Mama überall im Bad aufgehängt hatte und als Höhepunkt "Dinner in der Badewanne": das Abendessen wurde uns an die Wanne serviert.


    Ich muss sagen: es war sicherlich nicht immer leicht, aber ich hatte irgendwie trotzdem eine verdammt tolle und glückliche Kindheit.



    Später als ich Teenager war sind meine Eltern dann zu Geld gekommen und ich hab dabei beobachtet, wie sie plötzlich irgendwie immer schwieriger zufrieden zu stellen waren:
    Je mehr sie sich leisten konnten, umso mehr hatten sie irgendwie an allem zu nörgeln und was auszusetzen und Sachen, die ein paar Jahre vorher das Höchste gewesen waren, waren plötzlich nicht mehr gut genug oder sogar "eine Zumutung".


    Irgendwann hab ich mir dann gewünscht, nie reich zu werden, damit ich nie so nörgelig und wählerisch und unzufrieden werde wie meine Eltern - bisher hat das auch ganz gut geklappt...

  • Hallo,


    ich denke, der große Unterschied liegt zwischen "sehr wenig Geld haben" und "wirklich arm sein". Wirklich arm, im Sinne, daß man die Grundbedürfnisse seiner Familie nicht mehr versorgen kann. Ausreichend und nahrhaftes Essen, ausreichend warme Bekleidung, Gesundheitsversorgung...
    Für mich käme noch dazu, daß ich denke ich sehr traurig wäre, wenn es eine gute Schule in Reichweite gäbe und es meinem Kind an seiner Schule schlecht ginge - die gute aber aus rein finanziellen Gründen nicht machbar wäre.


    Ich denke, wir brauchen nicht viel, aber wenn ich Angst hätte, meine Kinder könnten auf Grund unserer finanziellen Lage frieren, hungern oder einen seelischen oder gesundheitlichen Schaden nehmen, könnte ICH tatsächlich nicht glücklich sein.


    Andersherum denke ich, daß es im Empfinden der Kinder eine große Rolle spielt, wie ihre Eltern sich fühlen. Schämen sie sich oder haben sie ständig Sorgen oder müssen bis zur Erschöpfung arbeiten, um wenigstens das Minimum zu sichern, werden die Kinder ihre Lage anders empfinden als wenn die Eltern selber glücklich sein können und unabhängig vom Geld Zeit und Kraft und Ideen für ihre Kinder haben.


    Ansonsten ist Reichtum eine Definitionssache, meine Kinder waren immer entsetzt, wenn jemand meinte, wir hätten ja nicht so viel Geld - sie fanden uns reich. "Aber wir haben doch alles, was man braucht UND wir sind 4 Kinder!".


    Andererseits geht es meinem Großen (inzwischen allerdigns auch schon 16) jetzt manchmal so, daß ein sehr wohlhabender und leider recht hochnäsiger Schulkamerad (auf den er warum auch immer große Stücke hält) sich abfällig über unser Leben äußert und das "macht was mit ihm". Plötzlich möchte er auch nicht mehr campen sondern Urlaub im All-Inclusive-Hotel (was wir auch mit sehr viel Geld nicht wollen würden und er ist alt genug, um nicht mehr mitzufahren - plötzlich scheint die Aussicht, ins Hotel zu fahren keine atraktive mehr ;) )), hätte gerne einen noch hochwertigeren Laptop usw.
    Ich höre allerdings ziemlich gerade bei dem Thema genau, wenn mein Sohn "er selber" ist oder ob sich seine Äußerungen gerade an dem anderen Schüler orientieren. Von daher denke, ich, er muss sich einfach im Moment seine eigene Meinung bilden, das ist normal in dem Alter. "Gelitten" hat aber denke ich auch er nie und tut es auch jetzt nicht.


    Ich kenne auch Leute, die wären mit allem Geld der Welt nicht glücklich, die finden immer etwas. Zuerst zu wenig Geld und kein Haus. Dann mit mehr Geld und Haus, gab es andere Probleme, die Lage hätte besser sein können, die Wege nicht gut, der Üparkplatz zu weit weg...
    Und so finden sie an allem was. Selsbt wenn sie einen Millionengewinn machen würden, glaube ich nicht, daß sie auf Dauer auch nur ein Fünkchen glücklicher wären als jetzt.


    Es gibt einfach verschiedene Dimensionen von "Glück".


    Von daher - ja, ich denke, daß arm aber glücklich geht. Nicht, weil arm sein glücklich MACHT, sondern weil die grundlegende Glücksfähigkeit davon relativ unabhängig ist. Anders wird das wie gesagt, sobald die Grundbedürfnisse in Frage stehen, Arm aber glücklich gilt nur, so lange "arm" nur heißt, daß man nicht viel, aber doch gerade so genug hat.


    Wobei es dann schon wieder die Frage ist, was für den einzelnen "genug" wäre...

    Einmal editiert, zuletzt von Trin ()

  • Oder um Beziehung?
    Um Freunde?
    Um Zeit (mit den Eltern)?


    Aber wer möchte denn lieber arm und krank, arm und einsam, ... sein als reich und krank, einsam etc.?


    Meines Wissens korreliert zumindest Zufriedenheit deutlich mit der finanziellen Situation, und zwar lohnt sich das "mehr verdienen" bis zu einem gewissen Jahresgehalt, und danach wird es immer weniger attraktiv, noch mehr Zeit für noch mehr Geld zu investieren.


    Ich denke, die Frage hat verschiedene Komponenten:
    - habe ich finanzielle Sorgen? bedrohen diese Sorgen meine Gesundheit oder meine Existenz?
    - werde ich häufig mit meiner finanziellen Situation konfrontiert, auf eine Weise, die mir unangenehm ist?
    - wenn ich wenig Geld habe: bleibt das für immer so? (ich fand es z.B. ok, als Studentin nicht so viel Geld zur Verfügung zu haben, aber das auch deshalb, weil ich die begründete Hoffnung hatte, dass sich das in absehbarer Zeit ändert)
    - kann ich Geld, das ich bekomme, in meinem Sinne nutzen?



    Hier gibt es ein Interview zu dem Thema:
    http://www.spiegel.de/wirtscha…rgen-machen-a-668614.html

  • Ich denke, Glück hat viele Komponenten. Und einige davon lassen sich eben durch Geld gut beeinflussen. U.v.a müssen Grundbedürfnisse wie gutes Essen, sauberes Trinkwasser, gute gesundheitliche Versorgung, Wohnung, Wärme, Zugang zu Bildung und ein stabiles soziales Netz erfüllt sein.

  • Ich denke, Glück hat viele Komponenten. Und einige davon lassen sich eben durch Geld gut beeinflussen. U.v.a müssen Grundbedürfnisse wie gutes Essen, sauberes Trinkwasser, gute gesundheitliche Versorgung, Wohnung, Wärme, Zugang zu Bildung und ein stabiles soziales Netz erfüllt sein.


    So übel das klingt, ja, das hatte ich alles. Ich bin nicht verhungert und nicht erfroren. Wenn ich krank war, wurde ich zum Arzt gebracht. Wärme gab die Heizung und die Katze und Zugang zu Bildung gabs auch (bis zum Abi war das kein Problem, erst danach, weil ich böses Kind studieren wollte). Ein stabiles soziales Netz hatte ich auch. Also doch jammern auf hohem Niveau? Ich weiß es nicht. Es ist halt das, was mir vorgeworfen wurde und wird, dass ich es gut hatte. Aber es fühlte sich niemals gut an. Es war begleitet von Schuldzuweisungen ("wärst du nicht geboren worden, dann hätten wir uns dies und jenes leisten können", obwohl ich angeblich geplant war) und schlechtem Gewissen ("du isst zuviel", "du wächst zu schnell, die Schuhe passen schon wieder nicht mehr") und Kälte ("stell dich nicht so an", "halt den Mund", "sei gefälligst dankbar").