Meine 10jährige hat im Sommer letzten Jahres zusammen mit ihrer besten Freundin an einer unserer IGSsen hier angefangen.
Mich irritiert deren Konzept total und mich würde interessieren ob das bei euch an anderen IGSsen auch so läuft und vor allem: Was genau ist die Idee dahinter?
Diese Schule hier legt extrem viel Wert auf die Bewertung der eigenen Leistungen.
Sie arbeiten mit "Kompass-Plänen". Das sind im Prinzip Wochenpläne, die auf 14 Tage ausgelegt sind und von allen Fächern Aufgaben erhalten. Die Kinder sollen diese dann in den Kompassstunden erarbeiten und sich bei jeder Aufgabe selbst einschätzen: Wie habe ich gearbeitet? Ziel erreicht? Überwiegend erreicht? teilweise erreicht? Nicht erreicht?
Auch den Gesamtkompass sollen sie einschätzen.
Anschließend nimmt dann der Lehrer bei jedem Kompass eine Einschätzung zu jeder Aufgabe vor.
Danach müssen die Pläne den Eltern zur Unterschrift vorgelegt werden.
Ebenso die Lernentwicklungskontrollen. Die Kinder müssen sich das selbst bewerten. Dann nimmt der Lehrer eine Bewertung vor und anschließend müssen die Eltern unterschreiben.
Auch der Entwicklungsbericht am Ende des Schuljahres. Die Lehrer schreiben einen Brief an die Eltern mit einer Bewertung des Schülers und darunter werden dann noch alle einzelnen Fächer, das Arbeits- und das Sozialverhalten bewertet in den vier unterschiedlichen Kategorie.
Im Anschluss findet der Elternsprechtag statt. Dort werden die Kinder gefragt, ob sie zufrieden sind mit ihrem Zeugnis. Ob sie etwas verbessern wollen. Es werden Ziele für das nächste halbe Jahr festgelegt.
Im Anschluss müssen die Schüler eigenständig diesen Brief bearbeiten, den sie da bekommen haben und schriftlich festhalten, was ihnen gefallen hat, was sie nicht gut fanden, welcher Satz besonders wichtig für sie war usw...
Mich irritiert dieses Vorgehen.
Ich bin ja nun auch Pädagogin und kenne dieses extrem häufige und zwanghafte Reflektieren eigentlich nur aus dem heilpädagogischen Krisenbereich, in dem Kinder so massiv desolat sind, dass sie ununterbrochen wieder angeregt werden müssen, ihr eigenes Verhalten zu reflektieren, damit überhaupt ein Lernen und eine Gemeinschaftlichkeit statt finden können.
Meine Tochter und ihre Freundin können damit überhaupt nichts anfangen. Sie empfinden das als komplett sinnlos und verstehen nicht, worum es dabei geht.
Sie sind beide sehr leistungsstark, haben die Grundschule absolut selbständig durchlaufen (Wir mussten nie bei den Hausaufgaben, bei Referaten oä helfen), sind sozial absolut adäquat aufgestellt und sehr interessiert an neuen Lerninhalten.
Mein Eindruck ist aber, dass an der Schule jetzt mehr Wert auf die ständige Reflektion als auf die Lehrinhalte gelegt wird.
Unsere Mädels langweilen sich. Das sagen sie so. Und wenn wir sie fragen, was sie denn so machen, was sie langweilig ist, rasseln sie in Veräppelstimme irgendwelche Lerninhalte runter, die sie entweder bereits im Kindergarten gelernt haben ("Die goldene Regel" im Verhalten zB) oder sie erzählen, dass sie lieber ein Buch unterm Tisch lesen, weil alles total chaotisch ist und der Unterricht ihnen nichts bringt.
Es wirkt so, als sei das Konzept hauptsächlich darauf ausgerichtet zu lernen zu lernen. Das aber können unsere Mädels.
Sie scheinen auch tatsächlich viel zu kichern und sich abzulenken im Unterricht - wie sie sagen aus Langeweile.
Meine Tochter ist zB so eine, die inhaltlich neugierig ist und gut und schnell lernt, aber eher schlampig mit Schrift und Form. War auch in der Grundschule schon so. Störte sie nie weiter. Und wenn es dann dafür ne 2 statt einer 1 gab - so what?
Hier an der Schule wird es so ausgelegt, als könne sie das Formelle noch nicht - und fragen wir danach, ob es nicht sinnvoll wäre, den Kindern ein bisschen mehr Input zu geben bzw evtl mehr Eigenverantwortung beim Lernen, spannende Projekte oä - dann wird gesagt: Soweit sind die Kinder ja noch nicht!
Eben weil Formalia zB nicht eingehalten werden.
Für ein Kind wie meine Tochter oder auch zB ihre Freundin, die tatsächlich wenig ehrgeizig sind in der Schule, dafür aber hochengagiert bei spannenden Themen und sich gut und ausfürhlich mit den Themen auseinander setzen, die sie interessieren, ist dieses Vorgehen sehr demotivierend.
Meine Tochter wird die formellen Dinge nie einwandfrei einhalten. Da bin ich mir sehr sicher. Es wird ihr immer egal sein, ob das Geodreieck nun gerade anliegt oder nicht. Egal ob das nun eine 4 gibt oder nicht.
Sie kann sich also pro forma als Ziel setzen, dass sie daran arbeiten will mehr auf diese Sachen zu achten - eben weil das ein Ziel ist, das die Lehrer ihr vorschlagen und das sie dann der Einfachheitshalber übernimmt, wil sie gar keine Lust hat, irgendwelche Ziele zu formulieren - es wird sie niemals nie befriedigen, wenn sie an dem Punkt dann ihr Ziel erreicht. Denn es ist ihr egal.
Was also genau bringt dieses ständige Reflektieren, sich einschätzen und eingeschätzt werden wenn letztlich doch nur die gleichen Dinge gefordert werden, die auch an anderen Schulformen gefordert und dann eben entsprechend benotet werden?
Bei uns aktuell nur eine in den Keller rutschende Motivation
Ich empfinde dieses ständige Bewerten als viel enger und undurchschaubarer als Noten. Ich hatte es aber so verstanden, dass genau das die Schule nicht will.
Komisch ist auch der Umgang mit Leistung.
Im Schwimmen zB haben die Mädels ein überwiegend erreicht. Das hat uns gewundert, denn das was als Anforderungen aufgeschrieben war, sind Silber Grundanforderungen und die konnten sie bereits in der Grundschule. Also haben wir Eltern beim Elternsprechtag nachgefragt und zur Antwort bekommen: Die Kinder, die einen Sprung machen im Unterricht - also deutlich was neues lernen und zB das Sehpferdchen schaffen - die bekommen ein "erreicht". Die Kinder, die diesen Sprung nicht machen aber eben auf gutem Level mitareitet ein "überwiegend erreicht". Nur wurden leider gar keine Inhalte angeboten, die unseren Mädels einen Sprung ermöglicht hätten Gold wäre ja zB eine Idee gewesen. Aber das stand gar nicht an, sondern lauter Dinge, die sie eh schon konnten. Was haben sie also gemacht? Das gemacht, was sie machen mussten und sich ansonsten gelangweilt und rumgealbert.
Das kann es doch nicht sein, oder?
Und wenn man das dann anspricht, dann kriegt man zur Antwort: Naja, die Kinder könnten sich ja auch selber neue Aufgaben setzen
Das finde ich schräg. Auf der einen Seite trauen sie ihnen noch kein selbständigeres Arbeiten außer den Kompass zu und gleichzeitig sollen sie aber von ganz allein auf die Idee kommen, sich neue Lernziele auszudenken.
Ich weiß auch nicht, ob das so ander gesamten Schule läuft oder ob unsere Klasse da extrem ist. Sie haben 5 Parallelklassen in diesem 5. Jahrgang und alle I-Kinder in eine Klasse gepackt. Das ist die Klasse unserer Mädels. Dh sie haben 25 Schüler. Davon haben 6 Kinder einen I-Status; alle im emotional/sozialen Bereich. Zusätzlich haben die Gesamtschulen hier eh das Problem leistungsstarke Kinder zu kriegen, dh durchschnittlich sind es eher sehr viel weniger als 1/3 leistungsstarke Kinder. Dadurch ist in unserer Klasse eine eher schwierige Konstellation entstanden. Das macht die Förderung der leistungsstarken Kinder natürlich nicht ganz leicht, ist unser Eindruck.
Ergo irgnendwie sind wir unglücklich über die Schulsituation und verstehen deren Konzept nicht mehr.
Auch die Kinder sind unzufrieden, verbringen extrem viel Zeit in der Schule durch den Ganztag und langweilen sich hauptsächlich bzw sind mit sozialem Lernen beschäftigt, was sie in dem Rahmen nicht nötig hätten, aber gezwungenermaßen tun müssen, da 1. das Konzept scheinbar so ist und 2. die Klassenkonstellation so ist.
Das war jetzt ein bisschen viel und ich habe es auch alles noch sehr wirr im Kopf.
Aber vielleicht mag mir ja doch jemand erklären, was hinter diesem ständigen Bewerten steckt und wie es bei ihm an der IGS läuft