Wo liegt für euch der Unterschied zwischen dem Lehrfach Mythologie und Religion an einer Bekenntnisschule?
Mythologie ist ein Teil der Kulturgeschichte: was wer wann geglaubt hat.
Religion ist das, was jetzt geglaubt wird.
Das wurde bei uns tatsächlich nicht groß unterschieden.
Bei uns kamen Bibelgeschichten und Mythen relativ gleichrangig im Hauptunterricht dran. Wir hatten z.B. im Grammatikunterricht Beispielsätze mit Noah und seiner Arche oder irgendwas aus dem Gilgamesch-Epos.
Das ist mir damals überhaupt nicht aufgefallen. War halt so. Wir haben aber auch zuhause vor dem Essen und als Teil des Einschlafrituals gebetet.
Religionsunterricht war aufgeteilt in Christengemeinde, Evangelische Religion und Freichristlicher Unterricht. Meines Wissens haben alle teilgenommen (der eine Katholik war "freiwillig" im ev. Kurs - die Alternative wäre der "freichristliche" Unterricht gewesen, den unsere Klassenlehrerin machte, von Haus aus Kunstlehrerin) - dass die Teilnahme am Reliunterricht optional sein könnte, habe ich erst später erfahren.
Ich war im evangelischen Reli-Unterricht und wir haben in den ersten 6 Jahren vor allem Geschichten aus der Bibel und später dann auch zu Mohammed gehört und Lieder gesungen und gebastelt und Matzen gegessen. Ab der 7. Klasse hatten wir einen Relilehrer, der auch unser Politiklehrer war, und der auf mich immer so christentums-fern wirkte, dass ich sehr überascht war, als ich erfuhr, dass er Mitglied der Kreissynode ist. Ich glaube, wir haben bei ihm deutlich häufiger Artikel aus der taz als in der Bibel gelesen - und in der 13. Klasse Siddharta von Hermann Hesse...
In der 9. Klasse habe ich dann ein Term lang eine Waldorfschule in Wales besucht und die hatten keinen Reli-Unterricht, aber bekamen wir tatsächlich auch verschiedene Schöpfungsmythen erzählt.
Mir war in meiner Erinnerung immer klar, dass das alles Geschichten sind, egal ob Rapunzel, Jesus, Gilgamesch oder Izanagi und Izanami. Und dass das etwas anderes ist als die Geschichte, die im Geschichtsunterricht erzählt wird. Bzw. war ich eher teilweise noch misstrauisch gegenüber manchen Inhalten, die uns in Geschichte erzählt wurden, z.B. zum Leben in Sparta. Das kam mir doch unwahrscheinlich grausam vor...
Nur an das Christkind, den Nikolaus und den Osterhasen habe ich eine Weile geglaubt.
Am Ende der zwölften Klasse sollten alle in der Lage sein, sich eine komplexe Aufgabe zu stellen, die Bearbeitung über viele Monate zu strukturieren und zu dokumentieren und gegen Schuljahresende die fertige Lösung zu präsentieren. Die Jahresarbeiten der zwölften Klassen sind immer ein echtes Highlight! Gesehen habe ich da schon alles von Schafhaltung über die Restaurierung einer Rostlaube zum zugelassenen Auto, Konzerte des Niveaus einer Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule bis hin zu einer Forschungsarbeit, die das Niveau einer Studienarbeit im Hauptstudium des betreffenden Fachs hatte. Diese Fähigkeit, sich etwas selbst zu erarbeiten, ist das Lehrziel der Waldorfschulen.
Das finde ich interessant, weil ich das bei allem, was ich so über Waldorfschulen gelesen habe, im Unterricht nicht verankert sehe. Anders als z.B. bei Montessori, wo ja von Anfang an großer Wert auf selbstständiges Arbeiten, Freiarbeit, Wochenpläne, Projektarbeit,...gelegt wird. Also da sehe ich, dass über Jahre an das selbstständige Arbeiten und dass sich selbst Inhalte erarbeiten herangeführt wird. Bei Waldorf habe ich das in den Beschreibungen eigentlich nie als besonders selbstbestimmt wahrgenommen sondern eher im Gegenteil, das viel im Gleichschritt stattfindet. Vielleicht mit Ausnahme der großen Theaterstücke? Wo hattest du denn das GEfühl, dass sich dieses Ziel im Unterricht widerspiegelt?
Bei uns war es so, dass die Jahresarbeit nicht verpflichtend war, sondern gemäß der hessischen Prüfungsordnung man als 5. Prüfungsfach auch eine mündliche Prüfung machen durfte. Davon haben die allermeisten Gebrauch gemacht. Ich glaube, nur vier haben sich für eine Jahresarbeit entschieden und ich glaube einer für eine Präsentation.
Aber ich würde zustimmen, dass man das dann halt einfach irgendwie kann? Ich meine, das sind Abiturient:innen mit einer breit gefächerten Ausbildung plus Hobbys, mit fast einem Jahr Zeit, ich fände es hochgradig erschreckend, wenn die das nicht könnten.
Das Publikum an Waldorfschulen sind zudem meist Familien mit überdurchschnittlich erfolgreichen Eltern. Den Einfluss des Elternhauses würde ich wirklich auf gar keinen Fall unterschätzen. Das sind einfach relativ viele patente, in jeder Hinsicht halbwegs gut erzogene SuS mit überdurchschnittlich guten familiären Voraussetzungen. Ich habe ab und zu meinem Vater Texte zur Korrektur gegeben (keine Leistungsnachweise, sondern z.B. den Text fürs Programmheft fürs Theaterstück in der 12. Klasse), der hatte immer mehr zu meckern als mein Deutschlehrer.
Ernstgemeinte Frage
Wo liegt für euch der Unterschied zwischen dem Lehrfach Mythologie und Religion an einer Bekenntnisschule?
Es gibt an der Waldorfschule kein Fach Mythologie sondern die Mythen kommen im Hauptunterricht (der verschiedene Fachbereiche abdeckt) vor. Da ist die Kritik, dass die Kinder dann teilweise nicht unterscheiden können während beim Religionsunterricht ja relativ klar ist, dass es da auch um Glauben geht.
Soweit ich weiss gibt es durch alle Stufen das Fach Erzählstoff, in dfm Märchen, nordische Mythologie usw behandelt wird.
Siehe hier https://www.waldorfschule.de/f…s/Stundentafel_FWS_FL.pdf
Das ist kein eigenes Fach, sondern Teil des Hauptunterrichts. Der hat immer am Anfang einen rhythmischen Teil mit Gedichten, Singen, Bewegungsspielen etc., dann einen fachlichen Teil und am Ende oft einen ruhigeren Teil, in dem eben Märchen, mythische Erzählungen etc. vorkommen können.
In der 8./9. Klasse hatten wir direkt vor und nach den Sommerferien jeweils eine Geschichtsepoche bei unserem neuen Klassenbetreuer, da hat er uns immer am Ende der Stunde aus "Im Westen nichts Neues" vorgelesen.