Welcome back, Viva!
Früher hätte ich Deine Vorbehalte beim Gendern noch geteilt und dem Artikel vollumfänglich zugestimmt. Mittlerweile halte ich das, was da steht, in verschiedenen Punke für falsch, auch wenn ich durchaus für "Verbinden statt zu Spalten" wäre.
Es gibt bei dieser Erklärung nur ein Problem: Die Standardvorstellung der meisten Berufsbezeichnungen ist nicht nur die eines Mannes, sondern die eines weißen, christlichen, heterosexuellen Mannes...
Wenn wir im Deutschen gendern, dann sagen wir damit: Diese Information ist so wichtig, dass sie immer mitgesagt werden muss. Und wir sagen: Nur diese Information muss immer mitgesagt werden. Es ist richtig, auf alle anderen Identitätskategorien nur dann zu verweisen, wenn sie relevant sind, nur das Geschlecht wird immer angezeigt, damit machen wir es zur wichtigsten Identitätskategorie.
Da gehe ich noch mit, aber das Folgende ist für mich rein logisch schon Quatsch:
Es ist (heute) selbstverständlich, dass beim Wort Lehrerzimmer oder Schriftstellerverband auch jüdische Lehrer und schwule Schriftsteller gemeint sind, ohne dass wir vom Schriftsteller*schwulen-Verband oder vom Lehrer*juden-Zimmer sprechen, nur weibliche Lehrer und Schriftsteller sollen extra genannt werden. Wenn wir gendern, sagen wir damit, diese Information darf niemals nicht gesagt werden.
Ein türkischer, ein behinderter, ein schwuler Autor, Lehrer oder Immobilienmakler kann manchmal auch einfach nur ein Mensch sein, der Bücher schreibt, Kinder ausbildet oder schimmeligen Baumarktstuck als Liebhaberstück verkauft. Nur eine Frau wird das Frausein niemals los. Und wenn sie sich doch mal als Schriftsteller bezeichnet, erinnert sie ein Kollege. Er erinnert sie daran, dass sie aufgrund ihres Geschlechts niemals Schriftsteller sein kann, sondern immer nur Schriftstellerin, eine Ableitung, eine Form, die eine Grundform braucht, um überhaupt existieren zu können.
Es gibt schon traditionell, quasi "gewachsen", ein Wort für einen weiblichen Lehrer: "Lehrerin". Es gibt aber kein Wort für einen jüdischen Lehrer, auch nicht das hier vorgeschlagene "Lehrerjude".
Wenn ich "Lehrer", sage, kann in dieser Worttüte also von türkischen, behinderten Schwulen bis zum "biodeutschen" Weißbrot alles drin sein - nur keine Frau, denn die wäre ja traditionell, immer schon, eine Lehrerin gewesen und fällt dadurch raus. Will sagen: Wir sind es doch gewohnt, das Geschlecht bei Bezeichnungen mitzudenken, schon gramatikalisch - was ja im Englischen anders ist. Da mag "a teacher" auch einfach "any teacher" sein - hier ist der Lehrer ein der und damit ein Mann.
Was sollen SchülerInnen, die mit einer Rüge nach Hause kommen, sonst auch sagen: "Der Frau Lehrer hat geschimpft", oder "Die Frau Lehrer hat geschimpft", kurz "Die Lehrer hat geschimpft", oder wie? (Davon abgesehen, dass heute kaum noch jemand "Frau Lehrerin" oder "Herr Doktor" sagt, aber sprachlich ist das einfach blöd, so mit Artikel und dann generischem Maskulinum. Und "das Lehrer", möchte ich nun auch echt nicht werden!)
Zudem: Wo soll das aufhören? Alle anderen genannten Gruppen sind ganz deutliche Minderheiten. Muss ich dann das Lehrer*schwulenlesbenbehindertenjudenmuslimesikhhindubuddhistentaoistenzeugenjehovasfurrysmasochisten...-Zimmer ausweisen? Frauen dagegen sind de facto die Bevölkerungsmehrheit. Wenn man es einheitlich machen wollte, müsste es also eigentlich das Lehrerinnenzimmer sein.
Das find ich wiederum gar nicht falsch, aber ich will auch nicht unter den Tisch gekehrt werden. Warum haben die Briten die "actress" gestrichen und nicht den "actor"? Warum ist es besser, mich "Lehrer" zu nennen, als meine Kollegen "Lehrerinnen"?
Ich hatte, glaub ich, spaßeshalber schon mal geschrieben, dass man dann das generische Femininum einführen und bei Männer, die aufs Gendern bestehen, ein "-erich" anhängen soll. Dann bin ich Lehrerin und der Kollege - wenn er denn drauf besteht, ein Lehrerinerich. Und eigentlich auch ein Kolleginerich.
Ich halte jede Wette, dass alle "Gendern ist doch blöd und verunstaltet die Sprache"-Männer sofort darauf bestehen würden, als Bankkauffrauerich oder Immobilienmaklerinerich bezeichnet zu werden.
Aber Spaß beiseite. Eine einheitliche Bezeichnung wäre toll - die müsste dann nur von beiden geschlechtsspezifischen Bezeichnungen abweichen.
Es ist ein bisschen wie Frauenquoten: Nicht schön, mir wäre lieber, dass es das nicht gäbe, aber jetzt gerade brauchen wir es (noch) zur Sichtbarmachung, zurErkämpfung einer Teilhabe.
Die scheinbare sprachliche Maskulinität von generischen Berufsbezeichnungen wirft ein Henne-Ei-Problem auf: Sind die Berufsbezeichnungen inhärent männlich und brauchen daher eine parallele weibliche Form, oder sind sie inhärent generisch und wirken nur deswegen männlich, weil sie historisch nur von Männern ausgeführt werden durften?
Ich sehe dieses Problem nicht. Wir haben hier ein Ei, es ist ein faules, und um das zu verbessern, muss ich nicht wissen, wo das Ei herkam. Fakt ist, dass "der Arzt", "der Lehrer", der "Bankkaufmann" alle einfach männlich zu sein scheinen, und nicht generisch, schon wegen ihres Artikels. Ob das daran liegt, dass traditionell meist Männer Ärzte, Lehrer, Bankkaufmänner waren, ist mir eigentlich egal.
Das mag wie gesagt für "a doctor", "a teacher", "a banker" anders sein.
Hätte Deutschland den angelsächsischen Weg der Geschlechtergerechtigkeit eingeschlagen, dann gäbe es im Jahr 2020 sechsjährige Kinder, für die das Wort Bundeskanzler in erster Assoziation ein weibliches ist, weil sie es noch niemals erlebt haben, dass ein Mann Bundeskanzler ist.
Und sie denken sicher auch an Frauen bei Manager, Kranführer, Taxifahrer, Dachdecker, Maurer, Bankkaufmann, Filialleiter,...
Nee, so einfach ist es eben nicht. Ich wähle einen Beruf, in dem ich mich sehen kann. Wenn mir das generische Maskulinum aber ganz viele Berufe "ausblendet", ergreife ich sie als Mädchen nicht. Wenn Mädchen sie nicht (in großer Zahl) ergreifen, ändern sich die Bilder aber auch nicht. Eine Frau Bundeskanzler macht leider "den Handwerker" noch nicht flächendeckend zur Frau.